Prof. Dr. med. Ursel Heudorf

In dem vorangehenden Beitrag beschreibt Herr Wucher das aktuelle, ziel- und lösungsorientierte Vorgehen des Gesundheitsamtes Marburg bei der Hygieneüberwachung stellvertretend für viele Gesundheitsämter. Dies zeigt die Lernkurve auf allen Seiten, insbesondere aber auch bei dem öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). In einem persönlichen Rückblick über fast 30 Jahre infektionshygienische Überwachung im ÖGD will ich diese Entwicklung, die strukturellen und rechtlichen Hintergründe und unsere daraus entwickelte „Haltung“ dieser Aufgabe und den Vertretern der medizinischen Einrichtungen gegenüber schildern.

Von der seuchenhygienischen Überwachung von Krankenhäusern zu Zeiten des Bundesseuchengesetzes…

Insbesondere das Auftreten von HIV- und AIDS haben in den 1980er Jahren Hygienemaßnahmen vorangetrieben. Mehrfach zu verwendende Blutentnahmebestecke und Spritzen wurden zunehmend durch Einmalmaterialien ersetzt und dem Personalschutz wurde mehr Beachtung geschenkt. Nach einer Serie schwerer Krankenhausinfektionen wurde im Jahr 1976 die Kommission für Krankenhaushygiene (die spätere KRINKO) ins Leben gerufen, die sehr rasch umfangreiche Empfehlungen zur baulich funktionellen Gestaltung und organisatorischen Maßnahmen erstellte.

Im Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt am Main wurden bereits vor 1990 regelmäßige Hygienebegehungen der Krankenhäuser vorgenommen. In „meinen“ ersten Jahren lagen dabei die Schwerpunkte bei der Ausstattung mit Händedesinfektionsmittelspendern, der Erarbeitung klarer Vorgaben für Hygienestandards und -strukturen (Reinigungs- und Desinfektionspläne, Hygieneplänen) etc. Denn obwohl die Empfehlungen der KRINKO schon fast 15 Jahre alt waren, hatten 1990 nur weniger als 20 % der Kliniken (mit mehr als 10 Betten) diese Strukturen sowie Hygienefachkräfte, hygienebeauftragte Ärzte, beratende Hygieniker etabliert. Angesichts der wegen der damals noch nicht rechtsverbindlichen KRINKO-Empfehlungen oft sehr ermüdenden Diskussionen vor Ort, ob bestimmte Maßnahmen wirklich erforderlich sind, luden wir 1999 erstmals alle Hygieniker ein, um gemeinsam einen Grundkonsens der Anforderungen für die Einrichtungen in Frankfurt festzulegen. Da der erste Termin an einem Aschermittwoch stattfand und gut aufgenommen wurde, entstand hieraus der jährliche „Hygienische Aschermittwoch“, der nach meiner Kenntnis bis heute fortgeführt wird.

Das Bundesseuchengesetz sah im medizinischen Bereich nur die Überwachung der Krankenhäuser vor. Arztpraxen wurden nur bei Beschwerden begangen, wobei wir wenn immer möglich Vertreter der Ärztekammer baten, uns zu begleiten, quasi als Ombudsmann der Praxisinhaber. Ich erinnere einige bemerkenswerte Begehungen mit Dr. Fach, dem damaligen Vorsitzenden der Bezirksärztekammer Frankfurt.

Da immer mehr invasive und hygienerelevante Therapien und Verfahren auch ambulant vorgenommen wurden, wollten wir solche Einrichtungen auch regelmäßig überwachen. Die Dialyseeinrichtungen begrüßten unsere Anfrage und wurden ab Mitte der 1990er Jahre auf freiwilliger Basis überwacht. Dem Wunsch, auch Einrichtungen für ambulantes Operieren zu überwachen, wurde jedoch seitens der Kassenärztlichen Vereinigung mit dem (absolut korrekten) Hinweis auf die fehlende Rechtsgrundlage nicht entsprochen.

… zur infektionshygienischen Überwachung nach dem Infektionsschutzgesetz

Das änderte sich mit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) im Jahr 2001. Jetzt waren nicht nur Krankenhäuser, sondern u. a. auch „Einrichtungen für ambulantes Operieren“ und Dialyseeinrichtungen überwachungspflichtig (Pflichtaufgabe), darüber hinaus konnten auch Arztpraxen, Zahnarztpraxen und Praxen sonstiger Heilberufe überwacht werden (Kannaufgabe). Damit stieg die Zahl der zu überwachenden medizinischen Einrichtungen in Frankfurt von 28 um ca. 200 plus ca. 2000 Arztpraxen, ca. 580 Zahnarztpraxen und ca. 140 Heilpraktikerpraxen. Dafür erhielt die Abteilung eine zusätzliche Stelle, sodass jetzt – neben der Abteilungsleitung – eine Arztstelle (80%) und zwei Stellen Hygienefachkraft zur Verfügung standen. Mit einer guten Standardisierung, edv-unterstützten, schlanken Verfahren und risikobasierter Priorisierung – und insbesondere mit der entwickelten „Haltung“ (s. u.) – konnten die nachfolgend geschilderten umfassende Begehungsprogramme gut bewältigt werden.

Weitere wesentliche Neuerungen im damals sehr innovativen IfSG waren zum einen die Betonung der Eigenverantwortung der Einrichtungen für die Infektionsprävention (§1 IfSG) und der Verweis, dass die Einrichtungen den Stand der Wissenschaft bei der Infektionsprävention beachten müssen, dies werde „vermutet, wenn jeweils die veröffentlichten Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut … beachtet worden sind“ (§ 23 IfSG). Somit waren die Empfehlungen der KRINKO jetzt rechtlich verankert und konnten – ohne zeitaufwendige kontroverse Diskussionen – gefordert werden. Wenn Einrichtungen davon abweichen, müssen sie darlegen, dass sie diesen Stand mindestens einhalten.

Ab diesem Zeitpunkt führten wir in den Kliniken jährlich standardisierte Begehungen durch, die neben allgemeinen Fragen auch die jeweils aktuelle KRINKO-Empfehlung im Fokus hatte, z.B. Hygiene beim Operieren, bei der Aufbereitung von Medizinprodukten, beim Endoskopieren, Händehygiene etc. Mit der weiteren Überarbeitung des IfSG im Jahr 2011 kam dann auch die Betrachtung des Antibiotika-Einsatzes und des Antibiotic-Stewardships hinzu [1].

Vor der Überwachung der ambulanten Operierer hatten wir gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung die Praxisbetreiber zu einer Fortbildungs- und Informationsveranstaltung eingeladen. Als der von uns beauftragte Klinik-Hygieniker dort mit Bildern von Zentralsterilisationen mit neuesten Großsterilisatoren den Anwesenden zeigte „wie man das richtig macht“, brach sich der Unmut der Anwesenden Bahn, die Veranstaltung musste unterbrochen werden. Damit begann unsere Lernkurve. Denn unsere Lehre daraus war, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und die Probleme und Anforderungen aus Sicht der Praxisbetreiber und ihrer Mitarbeiter zu sehen. So konnten wir leicht umsetzbare, praxisgerechte Hilfen anbieten. Zu dieser Zeit hielt praktisch keine ambulante OP-Einrichtung die Anforderungen des Medizinprodukte-Rechts (MP Recht) zur Aufbereitung der Medizinprodukte ein, letztendlich hätten alle Praxen geschlossen werden können. Um jedoch die Patientenversorgung nicht zu gefährden, entwickelten wir – im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips, wonach alle Maßnahmen nicht nur legitim, sondern auch geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen – mit Unterstützung der Experten unseres Hygiene-Aschermittwochs vier Kernelemente, bei deren Einhaltung das Gesundheitsamt nicht nach § 16 IfSG von einer Infektionsgefahr ausgehen und Maßnahmen einleiten musste – auch wenn nicht alle Detail-Vorgaben des MP-Rechts eingehalten wurden. Denn: unsere Rechtsgrundlage war und ist das IfSG, nicht das MP-Recht (worauf wir die Praxen gleichwohl hinwiesen). Diese vier Kernelemente und unsere Ergebnisse veröffentlichten wir im Bundesgesundheitsblatt [2]. Inzwischen haben sich in diesem Bereich grundlegende Verbesserungen eingestellt und wir konnten die vier Kernelemente ad acta legen.

Lernkurve des ÖGD: Transparenz, Perspektivenwechsel und Beratung vor Kontrolle

Diesen Perspektivenwechsel führten wir im Weiteren umfassend fort: im Sinne der „Beratung vor Kontrolle„ boten wir Fortbildungen für die Praxen und ihre spezifischen Hygiene-Herausforderungen an, „übersetzten“ die oft schwer lesbaren Richtlinien in eine einfach verständliche Sprache – mit Konzentration auf das Wesentliche. Wesentlich war uns ein transparentes Vorgehen, die Betonung der Eigenverantwortung der Einrichtungen und das Miteinander für das gemeinsame Ziel der Infektionsprävention [3]. Den in den ersten Jahren häufig gehörten eher abwehrenden Satz „Hygiene ist nicht alles“ konnten wir nur bestätigen und ergänzten ihn mit: „Aber ohne Hygiene ist alles nichts“. Denn auch wenn Ärzte gut operieren, können Hygienefehler, beispielsweise nicht sachgerecht aufbereitete Instrumente, nicht nur die Gesundheit der Patienten schädigen und den OP-Erfolg zunichtemachen, sondern auch den Ruf der Praxis beeinträchtigen. Hygiene ist also das gemeinsame Ziel des ÖGD und der medizinischen Einrichtungen.

Die Priorisierung der Begehungen der Arztpraxen führten wir nach einer Risikoanalyse nach Invasivität der Diagnose- und Behandlungsmethoden durch. Jedes Jahr überprüften wir eine andere Fachgruppe (s. Tabelle) – und legten Wert darauf, jeweils alle Praxen dieser Fachrichtung zu begehen. Nach den alarmierenden Ergebnissen der HYGEA-Studie 2002 [4], wo ein Großteil der untersuchten Endoskope (Coloskope) relevante Keimbelastungen aufwies, begingen wir als nächstes die ambulanten (und stationären) Endoskopierer. Die Veröffentlichung der Ergebnisse im HÄBL [5], die große Unterschiede in der Hygiene zwischen Endoskopie-Abteilungen in Krankenhäusern und in ambulanten Endoskopie-Praxen zeigten, brachte uns den Vorwurf ein, die ambulanten Endoskopierer zu schädigen. Unser Vorschlag, die notwendigen Verbesserungen umgehend umsetzen, damit wir dies unverzüglich überprüfen und veröffentlichen, wurde sofort aufgegriffen. So schnell und so umfassend wie hier konnten wir nirgendwo Verbesserungen erreichen: bereits nach wenigen Monaten wurde die Erfolgsgeschichte wiederum im HÄBL [6] publiziert. Die Lernkurve der Endoskopie-Einrichtungen setzte sich in den nächsten Jahren deutlich weiter fort [7].

Für die Überwachung der Zahnarztpraxen entwickelten wir ein gemeinsames Hygieneprojekt, das mir heftige Kritik („Schmusekurs“) von Kollegen aus dem ÖGD einbrachte. Nach Darlegung der Ergebnisse [8] nahm die Kritik ab. Nach der KRINKO-Empfehlung zur Aufbereitung flexibler Cystoskope begingen wir die Urologen. Bei der Begehung der gynäkologischen Praxen stand dann insbesondere die sachgerechte Aufbereitung der Spekula im Mittelpunkt. Vor der Begehung der Praxen für Allgemeinmedizin und Innere Medizin veröffentlichten wir gemeinsam mit der Landesärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen drei kurze Beiträge im HÄBL mit den wesentlichen Punkten der Praxishygiene [9, 10, 11]. Im Zusammenhang mit den Begehungen wurde die in der Regel eher selten erforderliche und deswegen auch wenig standardisiert vorgenommene Aufbereitung steriler Medizinprodukte von den Praxen weitestgehend durch die inzwischen auf dem Markt befindlichen sichereren Einwegprodukte – oder durch eine externe Aufbereitung ersetzt. Weitere Beispiele s. Tabelle.

Im Sinne größtmöglicher Transparenz werteten wir die Ergebnisse der Begehungen der Krankenhäuser und der Arztpraxen anonymisiert und standardisiert aus und publizierten sie, nicht nur in den Jahresberichten des Amtes und in Fachzeitschriften für den ÖGD, sondern insbesondere auch in Fachzeitschriften der jeweiligen Fachbereiche (Pädiatrie, Gynäkologie, Urologie, HNO, Augenheilkunde etc.) (Alle sind auch abrufbar unter ursel.heudorf.org).

Die Ergebnisse geben der entwickelten Haltung, die Vertreter der Einrichtungen als Partner mit dem gemeinsamen Ziel der Infektionsprävention zu betrachten, Recht. Diese Haltung habe ich viele Jahre bis zu meinem Ausscheiden aus dem ÖGD in den Kursen für angehende Amtsärzte weitergegeben. Erntete ich hier in den ersten Jahren häufig noch Unverständnis und Kritik, freue ich mich, dass diese Haltung im ÖGD inzwischen Standard ist, wie es auch aus dem Beitrag von Herrn Wucher zu erkennen ist.

Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, Ehem. Leiterin der Hygieneabteilung und stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt am Main, ursel.heudorf.org

Die Literaturhinweise finden Sie hier.

Tab. 1: Beispiele Begehungen von Arztpraxen – Frankfurt am Main 2002–2016
JahrAmbulante Arztpraxis
2002Ambulante Operierer [2]
2003Ambulante Endoskopierer [5, 6, 12, 13]
2004Heilpraktiker [14]
2005Zahnärzte – Pilotprojekt [8]
2006Urologen – Cystoskop-Aufbereitung [15, 16]
2007Allgemeinmediziner/Internisten [17]
2008Ambulante Operierer (wdh) [17]
2009Zahnärzte (wdh)
2010Dialysen
2011Gynäkologen [18]
2012Pädiater [19]
2013Ambulante Endoskopierer (wdh) [7, 20], HNO-Ärzte [21], Heilpraktiker (wdh) [22]
2014Routine *, Gynäkologen, Urologen, Dialysen (wdh)
2015Routine *, Augenärzte [23]
2016Zahnärzte (wdh)
*ambulante Operierer alle 3 Jahre; andere Ärzte alle 5 Jahre; wdh: Wiederholung

Qualifizierungslehrgang für MFA: Aufbereitung von Medizinprodukten (SAC)

Termin:
Beginn 27.03.2025

Information und Anmeldung:
Die fachspezifische Fortbildung zum Erwerb der Sachkenntnis wird auf der Grundlage des Curriculums der Bundesärztekammer „Aufbereitung von Medizinprodukten in der Arztpraxis für Medizinische Fachangestellte“ durchgeführt.

Julia Werner
Fon: 06032 782–185
E-Mail: julia.werner@laekh.de 

Weitere Infos finden Sie auf den Seiten der Carl-Oelemann-Schule.