Prof. Eufinger stellt in dieser Ausgabe dankenswerterweise die möglichen juristischen Konsequenzen bei nachgewiesenen Verstößen gegen das AGG im medizinischen Bereich dar. Dem sollen im Folgenden Beispiele aus der Praxis der Menschenrechts-, Diskriminierungs- und Rassismusbeauftragten an der Landesärztekammer Hessen gegenübergestellt werden; hier unter besonderer Berücksichtigung des Genfer Gelöbnisses, das Teil der Präambel des Heilberufegesetzes ist.
Seit November 2023 sind in der Ombudsstelle insgesamt 10 Beschwerden eingegangen. Die Vorwürfe umfassen Diskriminierungen aufgrund von Rassismus (2), Ableismus (Behindertenfeindlichkeit bzw. Diskriminierung wegen einer chronischen Erkrankung) (1), antimuslimische (3) und sonstige herkunftsbezogene Diskriminierung, in einem Fall unter Einsatz körperlicher Gewalt (3) sowie Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung (1). In einem weiteren 11. Fall handelte es sich um eine anonyme Beschwerde, der wir grundsätzlich nicht nachgehen. In etwa der Hälfte der Fälle konnten die Vorwürfe geklärt und bereinigt werden, sehr zur Erleichterung der betroffenen Patientinnen und Patienten. In allen Fällen bedurfte es eines „standings“ der Beschwerdeführer, zum Teil wurde die Beschwerde durch Helferinnen (Angehörige, Beratungsstellen) abgefasst.
Entschuldigungen oft erfolgreich
Aus den meisten Beschwerden spricht eine starke Verunsicherung ob der Einordnung des Erlebten. Dies gilt insbesondere, wenn Sprachbarrieren vorhanden sind. Aber auch ein fehlender Rapport bei guten wechselseitigen Sprachkenntnissen zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin lassen Missverständnisse entstehen. Bei drei der Beschwerden stand der Eindruck im Vordergrund, aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse oder der Herkunft nicht ernst genommen zu werden. Da, wo ganz offensichtlich Grenzen verletzt wurden, fanden sich in den Berichten Beschreibungen von psychischer Kränkung und Verzweiflung. Wenn sich in einem solchen Fall eine Klärung und Entschuldigung seitens des betroffenen Arztes/der Ärztin herbeiführen ließ, war die Erleichterung und auch Dankbarkeit besonders groß.
Wie viele dieser Fälle wären im Sinne des AGG oder nach der Heilberufeordnung justitiabel gewesen? Eine entsprechende juristische Auswertung der Fälle war aus Zeitgründen bisher nicht möglich und auch eine berufsrechtliche Beurteilung ist nur für die Fälle vorgesehen, in denen es zu keiner gütlichen Einigung kommt. Eine exemplarische Bewertung einzelner anonymisierter Fälle wäre zu einem späteren Zeitpunkt sicherlich interessant. So ist der Nachweis, dass im Einzelfall aufgrund von rassistischen Vorurteilen eine Behandlung nicht oder anders erfolgte als bei nicht rassistisch „gelesenen“ Menschen womöglich nicht immer eindeutig zu erbringen, insbesondere nicht aus einer Position der Schwäche heraus.
Was als Rassismus oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wahrgenommen wird, kommt – auch außerhalb des medizinischen Alltags – nicht selten in sehr leisen Zwischentönen daher, die von den Betroffenen sehr wohl, von durchaus wohlmeinenden Nicht-Betroffenen aber kaum oder gar nicht gehört werden. Da ist zum Beispiel die besonders laute Stimme am Empfang bei Sprachproblemen – die nicht zum besseren Verständnis des Gesagten führt, wohl aber vom Gegenüber intuitiv eher als bedrohlich, bedrängend wahrgenommen und blockierend wirken kann. Oder die Reduktion des Sprachinhalts auf 3-Wort-Sätze unter Verwendung von Infinitiven, womöglich in der zweiten Person Singular – die noch nicht einmal bei geistiger Behinderung verstanden würde. („Du, da unterschreiben! Dann hinsetzen!“)
Bemerkungen können ausgrenzen
Aber auch die Verwendung eines besonders elaborierten Sprachcodes in einer solchen Situation kann Hilflosigkeit und Unverständnis erzeugen und damit die Schwelle zur Mitteilung aus der Intimsphäre der eigenen Erkrankung deutlich erhöhen. Bemerkungen über die Kleidung, insbesondere bei nach muslimischer Tradition gekleideten Frauen werden als verletzend empfunden und haben in der Arzt-Patienten-Kommunikation keinen Platz („Sie haben ja einen so warmen Mantel an! Es ist doch so heiß draußen, ich kann das gar nicht mit ansehen...“).
Auch der Klassiker, das anteilnehmende „Wo kommen Sie denn eigentlich her?“ sollte aus der Liste der möglichen Gesprächseröffnungen gestrichen werden. Menschen, die dem Äußeren nach z.B. asiatisch oder afrikanisch „gelesen“ werden, aber hier in Deutschland geboren und deren Vorfahren möglicherweise vor zwei oder 3 Generationen eingewandert sind, bekommen so immer wieder gespiegelt, dass sie eigentlich nicht dazugehören, keine „richtigen“ Deutsche sind.
Durch Zeitdruck und enge Taktung der Behandlungen im Bereich der ambulanten Medizin mit der einhergehenden hohen Belastung in nahezu allen Gesundheitsberufen werden Menschen mit eingeschränkten deutschen Sprachkenntnissen, aber auch anderen Vorstellungen über Krankheitszusammenhänge und medizinische Versorgung nicht selten als ‚Problem‘ wahrgenommen; Äußerungen des Genervt Seins, der Ungeduld in Tonfall und Gesten aber verstärken gerade im auf nonverbale Verständigung angewiesenen Kontakt das Gefühl der Ablehnung und des Unerwünscht Seins des Gegenübers. Auch das erzeugt Druck und kann zu Blockierungen führen.
Dies nur einige wenige Beispiele dafür, wie Mikroprozesse darüber entscheiden können, ob der für einen Behandlungserfolg notwendige Rapport entsteht oder nicht.
Der NaDiRa – Bericht 2023 (Bericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors) zeigt als erste größere deutschlandweite Untersuchung zum Rassismus im Gesundheitswesen eine der schwerwiegendsten Folgen: Arztkonsultationen werden nach diskriminierenden (oder als diskriminierend empfundenen) Erfahrungen hinausgezögert oder vermieden; Patientinnen und Patienten bringen sich in Gefahr, Krankheitsverläufe werden schwerer, die Belastung aller Beteiligten höher.
Barbara Mühlfeld, Menschenrechts-, Rassismus- und Diskriminierungsbeauftragte der Landesärztekammer Hessen
Kontakt: menschenrechtsbeauftragte@laekh.de
Ein Interview mit der neuen Menschenrechts-, Rassismus- und Diskriminierungsbeauftragten der Landesärztekammer Hessen finden Sie in Ausgabe 02/2025, S. 91.
Beitrag der LÄKH zu den „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ der UN
Im Rahmen eines Symposiums am 26. März 2025 in der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) in Frankfurt, Hanauer Landstraße 152, soll Dr. med. Ernst Girth aus dem Ehrenamt des Menschenrechts-, Rassismus- und Diskriminierungsbeauftragten der LÄKH verabschiedet werden. Seine Nachfolgerin Barbara Mühlfeld hat ein praxisorientiertes Programm zusammengestellt, welches das komplexe Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.
Weitere Infos und Anmeldung im Veranstaltungskalender der Akademie.