Jutta Mosig-Frey, erfahrene Medizinische Fachangestellte (MFA), Diplom-Sozialpädagogin und Personaltrainerin, hat über Jahrzehnte im Gesundheitswesen umfassende Einblicke in den Praxisalltag gewonnen. Sie bietet u. a. an der Carl-Oelemann-Schule (COS) Seminare und Fortbildungen an, darunter den Kurs „Aggression im Praxisalltag“, der 2024 erstmals stattgefunden hat. „Aggressionen in Praxen sind nicht neu, aber sie haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Vor allem seit Corona ist die Zündschnur bei vielen Menschen kürzer geworden “, erklärt sie.
Mosig-Frey berichtet vor allem von einer Zunahme verbaler Entgleisungen: „Heute hören wir Beleidigungen, die früher undenkbar waren. Respektlosigkeit und Unhöflichkeit nehmen erschreckend zu. Verbale Aggressionen schlagen außerdem vermehrt in körperliche Aggressionen um.“ Da werden Gegenstände wie Locher oder Vasen geworfen, auch kommt es zu Handgreiflichkeiten und Belästigungen.
Dennoch sind Patientinnen und Patienten, die als „schwierig“ wahrgenommen werden, laut Mosig-Frey keine neue Erscheinung. „Ich mag es nicht, alle Patienteninnen und Patienten in eine Schublade zu stecken. Wichtig ist, zu erkennen und wahrzunehmen, welche Personen vor einem stehen: Ob es sich um Aggressionen stets unzufriedener Patienten handelt, die sich z.B. über Wartezeiten beschweren, um Patienten, die aufgrund einer Erkrankung aggressiv auftreten oder ob sich eine gefährliche Situation anbahnt.“ Die eigene Kommunikation und Handlungsweise müsse darauf individuell angepasst werden.
Prävention durch Frühwarnsysteme und Organisation
„Es kommt auf das Frühwarnsystem an“, erklärt Mosig-Frey. „Oft erkennt man schon beim Betreten der Praxis, ob ein Patient angespannt ist. Gerade in Hausarztpraxen, wo viele Patienten bekannt sind, kann durch kommunikative und organisatorische Maßnahmen frühzeitig reagiert und eine Eskalation vermieden werden.“
Ein weiterer zentraler Punkt sei die Teamarbeit. „Ärztinnen und Ärzte müssen hundertprozentig hinter ihren Mitarbeitenden stehen. Es braucht feste Absprachen darüber, wie in solchen Situationen reagiert wird. Notfallsysteme wie z. B. ein Codewort und klare Regeln schaffen Sicherheit.“ Sie betont: „Wenn ich als Mitarbeiterin nicht weiß, wie ich mich verhalten darf, wirke ich unsicher – und das spürt mein Gegenüber. Mit klaren Handlungskompetenzen kann sich die MFA professionell und selbstbewusst in kritischen Situationen verhalten.“
Schulung für den Ernstfall: Authentizität und Persönlichkeit stärken
Der Kurs „Aggression im Praxisalltag“ kombiniert Theorie, Gruppenarbeit und praktische Übungen. Ziel der Schulung ist die Erweiterung der Kommunikations- und Handlungskompetenz. Zu lernen, sich in gefährlichen Situationen souverän und sicher zu verhalten, Kommunikationstechniken und souveräne Körpersprache einzusetzen, deeskalierende Worte zu benutzen und Deeskalationstechniken anzuwenden. Neben Kommunikationstheorie stehen Rollenspiele und intensiver Austausch im Vordergrund. „Ich arbeite in Rollenspielen mit Überraschungselementen – zum Beispiel plötzliches dichtes Herantreten, Anfassen, ein angedeuteter Wurf z.B. mit einem Locher oder verbaler, lauter Beschimpfung. Die erste Reaktion ist oft Überraschung, körperliches Zurückziehen und leise, nervöse Sprechweise. Am Ende des Seminars ist es immer wieder schön zu erleben, wie die Teilnehmerinnen professionell und selbstbewusst reagieren.“
Mosig-Frey legt Wert auf individuelle Ansätze: „Jede Mitarbeiterin muss ihren eigenen Weg finden. Es bringt nichts, wenn ich sage ‚das müssen Sie so machen.‘ Wichtig ist, dass die Teilnehmenden sich selbst gut kennen, damit sie sicher agieren. “ Manche MFA würden eher aktiv handeln, andere sich selbst schützen – beides richtige Verhaltensweisen. Mosig-Frey ruft dazu auf, Vorfälle konsequent zu melden. „Nutzen Sie den Meldebogen der Landesärztekammer Hessen. Und holen Sie die Berufsgenossenschaft ins Boot. Viele Praxisteams wissen gar nicht, welche Unterstützungs- und Hilfsmöglichkeiten es gibt.“ Weitere Infos und den Link zum Meldebogen finden Sie auf der Website der Landesäztekammer Hessen.
Ziel des Kurses ist, das Bewusstsein für das Thema zu schärfen und Mitarbeitende zu stärken. „Mit klarer Kommunikation, guter Organisation, hervorragender Teamarbeit und unterstützender Schulung sind Praxen und ihre Mitarbeitenden besser auf aggressive Situationen und den Umgang mit diesen vorbereitet“, so Mosig-Frey abschließend.
Der nächste Kurs findet am 29. März 2025 statt – ein wichtiger Schritt, um den Herausforderungen des Praxisalltags professionell zu begegnen.
Maren Siepmann
Weiterführende Links
- Infos zur Fortbildung und Anmeldung
- Flyer
- Infos zum Thema Gewalt gegen Ärzteschaft und Team sowie den Link zum Meldebogen finden Sie auf der Website der Landesärztekammer Hessen.