Sexualität ist in der Arztpraxis noch immer ein Tabu. Im ICD-11 gibt es ein neues Kapitel zur sexuellen Gesundheit. Die Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung der Landesärztekammer Hessen bietet wieder einen Basiskurs Sexualmedizin an.

Im ICD-11 werden sexuelle Funktionsstörungen nicht mehr klassifikatorisch organischen oder nichtorganischen Kapiteln zugeschrieben, das heißt Krankheiten des Urogenitaltraktes versus sexuelle Dysfunktionen durch psychische Störungen. Stattdessen wurde ein eigenes Kapitel über Zustände mit Bezug zur sexuellen Gesundheit formuliert und in vier Hauptgruppen unterteilt: sexuelle Dysfunktionen, sexuelle Schmerzstörungen, ätiologische Aspekte bei sexuellen Funktions- und Schmerzstörungen, Geschlechtsinkonkruenz. Letztgenannte ist zum Beispiel durch eine „Inkongruenz zwischen dem empfundenen Geschlecht und dem zugewiesenen Geschlecht gekennzeichnet. Geschlechtsvariante Verhaltensweisen und Vorlieben allein sind keine Grundlage für die Zuweisung von Diagnosen in dieser Gruppe“ [1].

Insofern spiegelt sich der sukzessiv veränderte gesellschaftliche Diskurs auf Konzepte von krank und gesund – wie wiederholt am Thema Sexualität beobachtbar – in Veränderungen im Diagnosesystem wider. Risiken der Stigmatisierung und der Psychopathologisierung soll so gewissermaßen entgegengewirkt werden.

Ebenso werden Diagnosen, die konsensuelle sexuelle Praktiken und Solosex-Aktivitäten einschließen, das heißt „Fetischismus“, „Fetischistischer Transvestitismus“ und „Sadomasochismus“ bei nicht zu erwartendem prinzipiellen Leidensdruck oder Funktionseinbußen gestrichen. Die Paraphilien verbleiben im ICD-11 im Kapitel der psychischen und Verhaltensstörungen. „Paraphile Störungen sind durch anhaltende und intensive Muster atypischer sexueller Erregung gekennzeichnet, die sich in sexuellen Gedanken, Phantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen äußern, die sich auf andere Personen beziehen, die aufgrund ihres Alters oder ihres Status nicht einwilligungsfähig oder -willig sind“ [1]. Im ICD-11 werden diesbezüglich expliziert: Exhibitionismus, Voyeurismus, Pädophilie, Frotteurismus und eine sexuell sadistische Störung unter Ausübung von Zwang. Ferner wurde eine zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung unter die Impulskontrollstörungen subsumiert. Sie erfasst die Unfähigkeit, sexuelles Verhalten trotz negativer Folgen zu kontrollieren, und kann auch im Zusammenhang mit Internetpornografie Verwendung finden.

Enttabuisierung versus Nicht-Thematisierung in Sprechstunden

Die zunehmende Thematisierung des Sexuellen lässt sich in verschiedenen Lebensbereichen beobachten, im Laufe der Zeit vergleichsweise enttabuisiert. Die Kaum-Thematisierung in Ausbildung oder alltäglicher medizinischer Versorgung irritiert demzufolge bei nachweislich hoher Prävalenz sexueller Probleme (m: 33,4 %, w: 45,7 %) in der repräsentativen Studie zu Gesundheit und Sexualität in Deutschland [2]. In einer Befragung hausärztlich versorgter Patient*innen berichten nur 10,3 % der Frauen und 7,2 % der Männer darüber, dass ihnen bereits einmal ein Angebot gemacht wurde, bei Bedarf über Sexualität oder sexuelle Probleme zu sprechen [3]. Vor allem die eigene Unsicherheit wurde von Hausärzt*innen als Ursache einer möglichen Nicht-Thematisierung genannt [4]. Dabei treten sexuelle Probleme infolge von körperlichen oder psychischen Erkrankungen wie auch hormonellen Veränderungen auf, können somit als Frühwarnzeichen fungieren, entstehen durch den Einfluss von Medikamenten oder belastenden Lebensereignissen. Obwohl kein Zweifel an entsprechend hoher klinischen Relevanz besteht, scheint der Einstieg in die Thematik im klinischen Alltag schwer, was dazu führen muss, dass zahlreiche Betroffene unzureichend behandelt bleiben. 

2025 bietet die Akademie der Landesärztekammer Hessen einen neu konzipierten Basiskurs Sexualmedizin an (siehe Infokasten). Dieser vermittelt Fachärzt*innen eine Basiskompetenz in sexualmedizinischen Fragen. Inhalte sind die theoretische Einführung in sexualmedizinisch relevante Themen der Diagnostik, Klassifikation und Ätiologie, Sexualität und Recht sowie das Erlernen der Sexualanamnese. Dazugehörige Fertigkeiten und Erfahrungen werden in Kleingruppen geübt und ausgetauscht. Der Basiskurs wird bundesweit als Modul 1 im Rahmen der Zusatz-Weiterbildung Sexualmedizin anerkannt.

Basiskurs Sexualmedizin – Modul 1 (Teil A–C)
Termine: 

31.01.–01.02.2025: Ort: Bildungszentrum der LÄKH Hessen, Carl-Oelemann-Weg 5, 61231 Bad Nauheim

21.02.2025 und 16.05.–17.05.2025: Ort: Landesärztekammer Hessen (LÄKH), Hanauer Landstr. 152, 60314 Frankfurt

Information und Anmeldung:Andrea Flören, Fon: 06032 782-238, E-Mail: andrea.floeren@laekh.de
www.akademie-laekh.de

Dr. med. Ute Engelbach, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zusatzbezeichnung Sexualmedizin; Universitätsklinikum Frankfurt

Die Literaturhinweise finden Sie hier.