Dr. med. Johannes Scholl

Die Vorstellung, ohne Diäten und körperliche Aktivität und ohne Einschränkungen bei der Nahrungsauswahl signifikant abzunehmen, klingt verlockend. Mit Semaglutid, einem ursprünglich zur Therapie des Diabetes mellitus entwickelten GLP-1-Analogon, scheint diese Idee in der Behandlung der Adipositas nun Realität zu werden.

Semaglutid: Hype oder Hoffnung?

Die Frage, ob Semaglutid auch für nicht-diabetische Patienten oder gar für übergewichtige Kinder und Jugendliche eingesetzt werden sollte, wirft viele Diskussionen auf. [1] In meiner Praxis werde ich zunehmend auf die Präparate Ozempic® und Wegovy® angesprochen. Ozempic® wird in einer Dosierung von 0,25 bis 1,0 mg Semaglutid pro Woche bei Diabetes mellitus Typ 2 angewendet, während Wegovy® mit einer Dosierung bis zu 2,4 mg pro Woche für die Therapie der Adipositas zugelassen ist. Die wachsende Nachfrage hat phasenweise zu Lieferengpässen geführt, insbesondere bei Ozempic®, da es häufig off-label zur Gewichtsreduktion verwendet wird. Diese hohe Nachfrage spiegelt sich auch im wirtschaftlichen Erfolg des Herstellers Novo Nordisk wider, der seit 2018 zu einem der wertvollsten Unternehmen Europas aufgestiegen ist.

Mechanismus von GLP-1 und seine Rolle im Zuckerstoffwechsel

Semaglutid gehört zur Klasse der Glucagon-like Peptid-1 (GLP-1)-Rezeptoragonisten, welche sowohl die Insulinsekretion stimulieren als auch die Glucagonfreisetzung hemmen. Zusätzlich bewirkt Semaglutid dosisabhängig eine signifikante Gewichtsreduktion [2] und zeigt positive Effekte auf die Herzleistung bei Patienten mit Herzinsuffizienz [3] sowie eine Reduktion des kardiovaskulären Gesamtrisikos [4]. Diese Eigenschaften führen zu der Überlegung, Semaglutid breit zur Gewichtsreduktion einzusetzen, auch bei Patienten ohne diagnostizierten Diabetes mellitus. Um diese Fragestellung adäquat zu beantworten, ist ein grundlegendes Verständnis der Wirkung der intestinalen Hormone entscheidend.

Geschichte der Inkretin-Forschung

Vor etwa 120 Jahren war Diabetes mellitus, damals noch nicht in die Typen 1 und 2 unterteilt, eine seltene und fast immer tödlich verlaufende Erkrankung. Schon früh vermuteten Forscher einen Zusammenhang zwischen der Pankreasfunktion und dem erhöhten Blutzuckerspiegel. Im Jahr 1906 wurde erstmals die Hypothese aufgestellt, dass spezifische „Extrakte“ aus dem Dünndarm die Pankreasfunktion stimulieren könnten. Diese Substanzen wurden später als „Inkretine“ bezeichnet. Die Entdeckung des Insulins im Jahr 1921 revolutionierte die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1, doch es dauerte Jahrzehnte, bis die Rolle der Darmhormone im Zuckerstoffwechsel und deren Einfluss auf die Insulinsekretion im Typ-2-Diabetes enträtselt wurde [5].

GLP-1 und GIP: Unterschiede in der Insulinmodulation

Ein zentraler Schritt in der Erforschung der Inkretine war die Entdeckung des Glucose-abhängigen insulinotropen Peptids (GIP) in den 1980er-Jahren, welches im oberen Dünndarm produziert wird und eine potente Stimulation der Insulinausschüttung bewirkt. Lebensmittel mit hohem glykämischen Index wie Traubenzucker, Weißbrot und stärkehaltige Produkte lösen eine ausgeprägte GIP-Ausschüttung aus. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes verliert GIP jedoch weitgehend seine Wirkung, was das Fortschreiten der Insulinresistenz begünstigt [6]. Im Gegensatz dazu bleibt die Wirkung von GLP-1 auch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes erhalten.

GLP-1: Wirkmechanismen und klinische Anwendung

GLP-1, welches im unteren Dünndarm gebildet wird, steigert postprandial die Insulinsekretion und hemmt gleichzeitig die Glucagonfreisetzung, wodurch es sowohl postprandiale Blutzuckerspitzen als auch den Nüchternblutzucker reduziert [7]. Ein entscheidender Vorteil von GLP-1 liegt darin, dass es kaum zu Hypoglykämien führt, da die Wirkung mit sinkendem Blutzuckerspiegel nachlässt. Allerdings hat GLP-1 eine kurze Halbwertszeit von nur ein bis zwei Minuten, was in frühen Versuchen die Verabreichung als intravenöse Dauerinfusion erforderlich machte [8].

Entwicklung synthetischer GLP-1-Analoga

Die kurze Halbwertszeit von GLP-1 führte zur Erforschung von Substanzen, die den Abbau des Hormons im Körper verzögern. Der Durchbruch kam 2004 mit der Einführung des ersten Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4)-Inhibitors, Vildagliptin. Dieser hemmte das Abbauenzym DPP-4 und ermöglichte eine Verlängerung der GLP-1-Wirkung [8]. Parallel dazu wurde Exenatide, ein GLP-1-Analogon aus dem Speichel des Gila-Monsters synthetisiert, einer in der Wüste von Arizona/USA heimischen Krustenechse. Exenatide weist eine längere Halbwertszeit auf und muss zweimal täglich subkutan injiziert werden [8]. Mit der Weiterentwicklung von GLP-1-Analoga wie Liraglutid und Dulaglutid konnte die Halbwertszeit auf bis zu fünf Tage verlängert werden. Semaglutid, das derzeitige Präparat der Wahl, erlaubt durch seine wöchentliche Injektion eine praktikable Anwendung mit hoher Effektivität in der Blutzuckerkontrolle und der Gewichtsreduktion.

Semaglutid in der Adipositas- therapie

In klinischen Studien, insbesondere der STEP-Studienreihe, zeigte Semaglutid eine signifikante Gewichtsreduktion auch bei adipösen Patienten ohne Diabetes mellitus. In der STEP 1-Studie erreichten Patienten eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 15 % innerhalb von 68 Wochen im Vergleich zu 2,4 % bei alleiniger Lebensstilintervention [2]. Jedoch kommt es regelhaft nach dem Absetzen der Medikation zu einer raschen Gewichtszunahme [9], wohingegen bei Fortführung der Therapie das reduzierte Gewicht stabilisiert werden kann [10]. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Diarrhö, Emesis und Verstopfung werden bei 20–45 % der Behandelten beobachtet [2]. Bei durchschnittlich einem von 200 Patienten kommt es zu einer akuten Pankreatitis, was einer Risikosteigerung um den Faktor 9 entspricht [11].

Langzeitrisiken und Sicherheitsbedenken

Trotz der positiven Effekte auf den Gewichtsverlust gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Langzeitanwendung von Semaglutid. Insbesondere das Risiko einer Gallensteinbildung, die dreimal häufiger unter Semaglutid auftritt als unter Placebo, sowie die potenzielle Förderung von Schilddrüsenkarzinomen sind in den Blickpunkt geraten.

In präklinischen Studien führte Semaglutid bei Ratten zu einer vermehrten Inzidenz von medullären Schilddrüsenkarzinomen, weshalb sowohl die FDA als auch die EMA Warnhinweise für Patienten mit einer genetischen Disposition für Schilddrüsenkrebs herausgegeben haben. Noch sind keine Berichte über eine relevante Häufung von Schilddrüsenkarzinomen beim Menschen eingegangen, jedoch ist die bisherige Therapiedauer unter hohen Dosen von Semaglutid noch recht kurz. Um das Risiko solcher Langzeitkomplikationen beim Menschen abschließend bewerten zu können, sind vermutlich noch mehrere Jahre an Nachbeobachtung notwendig.

Eine weitere, wenig beachtete Tatsache ist die Höhe der GLP1-Stimulation, die durch Semaglutid bewirkt wird. Während nach einer langsam verdaulichen Mahlzeit GLP1-Spiegel von 30–40 pmol/l über 3–4 Stunden erreicht werden [12], zeigen die pharmakokinetischen Basisdaten zu Semaglutid, dass die unter der Dosis von 1,0 mg/Woche im Steady-State erreichten Wirkspiegel bei 32–34 nmol/l lagen [13]. Selbst unter Berücksichtigung des 1,24-fach höheren Molekulargewichts von Semaglutid im Vergleich zu GLP1 entspricht dies immer noch einer 600–800-fach höheren GLP1-Stimulation im Vergleich zu natürlicherweise entstehenden GLP1-Spiegel – und dies über eine Woche und nicht über 3–4 Stunden.

Ob eine solch extreme, einseitige Überstimulation eines komplexen Hormonsystems über Jahrzehnte verträglich sein wird, kann bisher noch niemand garantieren.

Tirzepatid: Ein dualer GIP/GLP-1-Rezeptoragonist

Tirzepatid ist ein dualer Agonist, der sowohl auf den Glucose-abhängigen insulinotropen Peptid (GIP)-Rezeptor als auch den Glucagon-like Peptid-1 (GLP-1)-Rezeptor wirkt. Die Kombination beider Mechanismen führt zu einer potenteren Wirkung auf den Glukose- und Energiestoffwechsel, was Tirzepatid zu einem vielversprechenden Kandidaten für die Behandlung von Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 macht [14].

Wirkmechanismus von Tirzepatid

Tirzepatid aktiviert sowohl GIP- als auch GLP-1-Rezeptoren, die jeweils eine unterschiedliche, aber synergistische Rolle in der Regulation des Stoffwechsels spielen. GIP steigert die Insulinsekretion nach der Nahrungsaufnahme und fördert die Lipidverwertung. Gleichzeitig hemmt GLP-1 die Glucagonausschüttung, verzögert die Magenentleerung und hat einen appetithemmenden Effekt. Durch diese duale Wirkung kommt es nicht nur zu einer besseren Blutzuckerkontrolle, sondern auch zu einer signifikanten Gewichtsreduktion.

Theoretisch sollte eine GIP-Stimulation im oberen Dünndarm zu einer deutlich verstärkten Insulinausschüttung mit Steigerung der de-novo-Lipogenese führen und prinzipiell eine Gewichtszunahme fördern. Diesen Effekt kennt man von einer hohen Zufuhr schnell verfügbarer Kohlenhydrate, beispielsweise aus Brot, Reis oder Cornflakes. [6]

Anders als Semaglutid, das auch nach Wochen keinen Wirkungsverlust zeigt, unterliegt die GIP-Stimulation im Dünndarm jedoch einer Tachyphylaxie, das heißt ihre Wirkung auf die Insulinausschüttung lässt nach einigen Tagen Dauerstimulation nach. Die GIP-hemmende Wirkung im Gehirn, die den Appetit unterdrückt, bleibt jedoch erhalten. Dies ist die wahrscheinliche Erklärung für die Tatsache, dass die Wirkung der GLP1-Stimulation durch die zusätzliche GIP-antagonistische Wirkung im Gehirn verstärkt und durch die GIP-agonistische Wirkung im Darm nicht geschwächt wird [15].

Klinische Daten zu Tirzepatid

In der SURPASS-Studienreihe wurde Tirzepatid auf seine Wirksamkeit bei Diabetes mellitus und Adipositas untersucht. In der SURPASS-2-Studie, die Tirzepatid mit Semaglutid (1 mg wöchentlich) verglich, zeigte Tirzepatid in Dosen von 5 mg, 10 mg und 15 mg pro Woche eine überlegene Wirkung. Der durchschnittliche Gewichtsverlust betrug 7,6 kg, 10,8 kg und 12,9 kg für die entsprechenden Tirzepatid-Dosen, im Vergleich zu 8,4 kg bei Semaglutid [16].

In der Adipositastherapie erreichte Tirzepatid in der SURMOUNT-1-Studie bei nicht-diabetischen Patienten mit Übergewicht oder Adipositas einen Gewichtsverlust von bis zu 22,5 % des Ausgangsgewichts bei der höchsten Dosis (15 mg) nach 72 Wochen [17]. Allerdings kann es aufgrund der initial erhaltenen GIP-Wirkung in der Auftitrierungsphase bei 1 von 60 Patienten zu einer Hypoglykämie kommen. Das Nebenwirkungsprofil von Tirzepatid ist vergleichbar mit dem von GLP-1-Agonisten, wobei gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö am häufigsten auftreten [17].

Retatrutid: Ein Triple-Agonist für GIP, GLP-1 und Glucagon

Retatrutid ist ein neuartiger Triple-Agonist, der gleichzeitig die Rezeptoren für GIP, GLP-1 und Glucagon aktiviert. Diese Substanz repräsentiert eine der neuesten Entwicklungen in der Pharmakotherapie der Adipositas und zielt darauf ab, die Vorteile aller drei hormonellen Mechanismen zu kombinieren.

Die Aktivierung der GIP- und GLP-1-Rezeptoren durch Retatrutid führt zu einer Verbesserung der Insulinsekretion und der Hemmung der Glucagonfreisetzung, was sich günstig auf die Glukosekontrolle auswirkt. Zusätzlich regt die Glucagon-Komponente den Energieverbrauch an, indem sie die Lipolyse und die Thermogenese in Leber und Fettgewebe stimuliert [18].

Klinische Daten zu Retatrutid

In einer Phase-2-Studie, die Retatrutid bei adipösen Erwachsenen untersuchte, erreichte die höchste getestete Dosis (12 mg) eine beeindruckende Gewichtsreduktion von bis zu 24,2 % des Ausgangsgewichts innerhalb von 48 Wochen [19]. Damit übertrifft Retatrutid die Wirkstärke sowohl von Semaglutid als auch Tirzepatid und stellt möglicherweise die effektivste bisher getestete Substanz zur Adipositastherapie dar.

Das Nebenwirkungsprofil von Retatrutid ähnelt dem von anderen GLP-1-Agonisten, jedoch wird die zusätzliche Glucagon-Komponente potenziell mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Beschwerden und Gallenerkrankungen in Verbindung gebracht.

Vergleich der Wirkstärke: Semaglutid, Tirzepatid und Retatrutid

Im direkten Vergleich der Studienergebnisse zeigt sich, dass sowohl Tirzepatid als auch Retatrutid eine signifikant stärkere Gewichtsreduktion als Semaglutid erzielen. Während Semaglutid in der höchsten Dosis (2,4 mg/Woche) in der STEP-1-Studie eine Gewichtsreduktion von etwa 15 % erreichte, führte Tirzepatid zu einer Gewichtsreduktion von bis zu 22,5 %, während Retatrutid sogar eine Reduktion von über 24 % zeigte.

Abnahme der Muskelmasse bei Gewichtsreduktion

Ein wichtiger Aspekt bei der Anwendung von Inkretin-Mimetika zur Gewichtsreduktion ist die Abnahme der Muskelmasse. In Studien zur Gewichtsreduktion zeigt sich, dass ein relevanter Anteil der verlorenen Körpermasse aus Muskelmasse besteht. Der Anteil des Muskelmassenverlustes im Verhältnis zur Gesamtgewichtsreduktion ist jedoch bei verschiedenen Methoden unterschiedlich. Der Erhalt der Muskelmasse ist ein kritischer Aspekt bei der langfristigen Aufrechterhaltung der metabolischen Gesundheit und der Funktionalität, insbesondere bei älteren, adipösen Patienten mit gleichzeitiger Sarkopenie.

In einer randomisierten Studie zur Gewichtsreduktion bei gesunden Erwachsenen wurde die Körperzusammensetzung nach 16 Wochen kalorienreduzierter Kost mit Mahlzeitenersatz, unter fettarmer Diät, unter kohlenhydratarmer Diät, unter einer besonders ballaststoffreichen Diät sowie unter einer proteinreichen, kalorienreduzierten Diät untersucht. Es zeigte sich in allen Gruppen mit Ausnahme der proteinreichen Diät ein anteiliger Verlust an Muskelmasse an der gesamten Gewichtsreduktion von etwa 25 %. Bei proteinreicher Diät lag der Verlust an Muskelmasse jedoch nur bei 11 % [20].

Auch Daten aus bariatrischen Studien zeigen, dass etwa 20–25 % des verlorenen Gewichts durch den Verlust an Muskelmasse entsteht [21].

Muskelmasseverlust unter Inkretin-Mimetika

Für Semaglutid und andere Inkretin-Mimetika liegen aus Studien wie STEP 1 und SURMOUNT-1 Daten zur Veränderung der Körperzusammensetzung vor. In der STEP 1-Studie, die Semaglutid bei Patienten mit Adipositas untersuchte, betrug der Anteil des Muskelmasse-Verlustes etwa 40 % des verlorenen Körpergewichts. Ähnliche Ergebnisse wurden bei Tirzepatid in der SURMOUNT-1-Studie beobachtet, bei der auch rund 35–40 % des verlorenen Gewichts aus der Reduktion der Muskelmasse resultierte.

Verglichen mit den Ergebnissen der Studie von Willoughby et al. (2018) scheint der Muskelmassenverlust bei Inkretin-Mimetika höher zu sein als bei anderen Methoden und insbesondere höher als bei einer diätbedingten Gewichtsreduktion unter Supplementierung mit Protein.

Zusammenfassend ist der Muskelmasseverlust bei der Anwendung von Inkretin-Mimetika signifikant höher als bei diätbedingten Gewichtsverlustmethoden und nach bariatrischer Chirurgie. Deshalb sollte der Zusammensetzung der Ernährung im Rahmen einer durch Inkretin-Mimetika angestrebten Gewichtsreduktion ein größerer Stellenwert beigemessen und die Bedeutung einer ausreichenden und qualitativ hochwertigen Proteinzufuhr betont werden.

Gewichtserhalt nach Absetzen von Inkretin-Mimetika

Ein wenig beachteter Aspekt bei der Diskussion der Inkretin-Mimetika zur Adipositastherapie ist das Fehlen einer klaren Exit-Strategie. Der Wunsch vieler Patienten wäre es, nach einer gewissen Behandlungszeit und erreichter Gewichtsreduktion die Medikamente absetzen und das reduzierte Körpergewicht langfristig halten zu können. Jedoch fehlt es bisher an Forschung zu dieser Frage.

In den meisten Studien, wie der STEP-4 und der STEP-5-Studie, bei der die langfristigen Effekte von Semaglutid untersucht wurden, zeigten Patienten nach dem Absetzen des Medikaments eine deutliche Gewichtszunahme innerhalb weniger Monate [9]. Die Hersteller argumentieren, dass die Behandlung mit Inkretin-Mimetika im Grunde eine lebenslange Therapie sein sollte.

Die Gründe für die fehlende Erforschung einer Exit-Strategie sind verständlicherweise ökonomischer Natur. Pharmaunternehmen, die Inkretin-Mimetika entwickeln und vertreiben, haben ein starkes finanzielles Interesse daran, dass Patienten ihre Medikamente langfristig einnehmen. Eine nur intermittierende Therapie oder eine Strategie, bei der das Medikament nach einer gewissen Zeit vollständig abgesetzt werden könnte, würde den potenziellen Umsatz erheblich mindern.

Mögliche Exit-Strategie

Aus medizinischer Sicht wäre es gerade wegen möglicher langfristiger Nebenwirkungen wünschenswert, Konzepte zu entwickeln, die es den Patienten ermöglichen, das einmal erreichte Gewicht auch ohne medikamentöse Unterstützung zu halten. Ansätze wie eine intensive Lebensstilintervention inklusive kohlenhydratarmer, proteinreicher Diäten sowie regelmäßige körperliche Aktivität und hier insbesondere das Krafttraining könnten ein alternativer Weg sein, um das Gewicht zu stabilisieren. Eine solche Studie plant Prof. David Ludwig, Adipositas-Experte an der Harvard-Universität (persönliche Mitteilung). Nach seinen Angaben wären rund 8 Mio. US-Dollar für die randomisierte Studie notwendig, um verschieden Exit-Strategien zu testen, doch ist die Finanzierung der Studie ungeklärt. Es finden sich bisher keine Sponsoren.

Dr. med. Johannes Scholl, Stellv. Vorsitzender der Deutschen Akademie für Präventivmedizin e. V., Europastr. 10, Rüdesheim, E-Mail: scholl@akaprev.de

Die Literaturangaben finden Sie hier.