Durch mangelhafte Patientencompliance und Therapieadhärenz entstehen laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus 2011 dem deutschen Gesundheitssystem jährlich mindestens 7–10 Milliarden Euro zusätzliche Kosten. Diese hohen, vermutlich weiter angestiegenen Summen sind in Zeiten knapper Kassen besonders schmerzlich. Auf der Seite der Behandelnden bestimmt beispielsweise die hessische Berufsordnung für Ärzte in § 7 Abs. 1 Satz 2, dass Patienten das Recht haben, empfohlene Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen abzulehnen, und dies von Seiten der Ärzte zu respektieren sei. Eine noch zu wenig diskutierte Frage ist, ob nicht auch die Patientenseite für mangelnde Compliance rechtlich Verantwortung tragen sollte.

Die Ausgangslage

Die Begriffe der Patientencompliance und Therapieadhärenz sind nicht gesetzlich definiert. Für das Zusammenwirken von Behandelnden und Patienten findet sich allerdings eine zentrale, zivilrechtliche Vorschrift in § 630c Abs. 1 BGB. Diese bestimmt lakonisch, dass Behandelnder und Patient zusammenwirken „sollen“. Von einer (einklagbaren) Rechtspflicht kann hier schon aufgrund der Formulierung keine Rede sein. Hätte der Gesetzgeber eine echte Pflicht zur Mitwirkung auf Patientenseite regeln wollen, hätte er das Verb „müssen“ verwendet. Juristisch handelt es sich bei dem in § 630c Abs. 1 BGB geregelten Zusammenwirken nur um eine sogenannte Obliegenheit, die im Unterschied zur Rechtspflicht nicht erzwungen werden kann. Der Patient sollte ihr aber im eigenen Interesse nachkommen, weil eine Obliegenheitsverletzung für ihn selbst Nachteile nach sich ziehen kann („Verschulden gegen sich selbst“). Eine Haftung auf Erfüllung oder gar auf Schadenersatz kommt hingegen nicht in Betracht.

Phasen der Patientencompliance/Therapieadhärenz

In der juristischen Literatur werden die in § 630c BGB gesetzlich normierten Verhaltensobliegenheiten der Patienten in der Regel in zwei Phasen unterteilt:

1) Die Anamnesephase, in welcher Patienten gehalten sind, dem Arzt/der Ärztin sämtliche für die Behandlung relevanten Informationen, z. B. über bestehende Vorerkrankungen oder derzeit eingenommene Medikamente, mitzuteilen.

2) Die Therapiephase, in welcher Patienten gehalten sind, den therapeutischen Anweisungen des Arztes/der Ärztin nachzukommen, z. B. Medikamente nach Verordnung einzunehmen, Kontrolltermine wahrzunehmen oder auf Genussmittel zu verzichten.

Die Nichtbeachtung der zu erwartenden Mitwirkung kann in beiden Phasen erhebliche Nachteile für den Patienten nach sich ziehen. Aber kann sich der behandelnde Arzt/die Ärztin – zumindest bei schuldhaftem Verhalten des Patienten – vor mangelnder Compliance und Adhärenz schützen?

Rechtsfolgen mangelnder Patientenmitwirkung

Von Notfällen oder besonderen rechtlichen Verpflichtungen abgesehen hat der Arzt/die Ärztin die Möglichkeit, den Behandlungsvertrag mit einem abweisenden oder unwilligen Patienten zu kündigen, wenn dieser trotz umfassender Beratung und fundierter Verordnung uneinsichtig ist (§ 630b i. V.m. § 627 BGB).

Kommt es jedoch in Folge von mangelnder Compliance oder Adhärenz zu einem Haftungsfall für den Arzt oder die Ärztin, sollte auch daran gedacht werden, Patienten ggf. über ein sog. Mitverschulden nach § 254 BGB an der Schadenshöhe zu beteiligen. Dies erfolgt in der Regel über eine Schadensquotelung bis hin zum vollständigen Wegfall des Schadenersatzanspruchs.

Dass die Rechtsprechung bisher noch zurückhaltend mit der Annahme eines Mitverschuldens auf Patientenseite ist, wie z. B. im Fall eines Patienten, der die in der Packungsbeilage angegebene Höchstdosis eines Arzneimittels um das ca. 25-fache überschritten hatte (BGH, Urteil vom 24.01.1989, Az.: VI ZR 112/88), muss angesichts des Bildes vom selbstbestimmten Patienten kritisch hinterfragt werden. Der fortschreitende Rollenwandel im Arzt-Patientenverhältnis – weg von einer ehemals paternalistisch geprägten Beziehung hin zum Leitbild des mündigen Patienten, der auf Augenhöhe mit dem Arzt/der Ärztin steht – verlangt zumindest in zivilrechtlicher Hinsicht nach einer angemessenen juristischen Verantwortung beider am Behandlungsvertrag beteiligter Parteien.1

Prof. Dr. Julia Gokel LL.M., SRH Hochschule Heidelberg, Fachanwältin für Medizinrecht, Kanzlei Lyck+Pätzold, E-Mail: juliamaria.gokel@srh.de

Etymologie compliance & Adhärenz

Der aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum stammende Begriff „compliance“ (Einhaltung, Befolgung, Gefügigkeit), der heute vor allem im Management verwendet wird, um die Regeltreue eines Unternehmens zu beschreiben, stammt ursprünglich aus der Medizin. In diesem Kontext wird er verwendet, um das Akzeptanzverhalten der Patientinnen und Patienten gegenüber medizinischen oder psychotherapeutischen Maßnahmen zu beschreiben („Patientencompliance“). Der Begriff wurde in jüngerer Zeit zunehmend durch den partnerschaftlicheren Begriff der Adhärenz (von lateinisch: „adhaerere“ – sich an etwas anschließen) abgelöst. Dieser Begriff stellt die aktive Rolle der Patientinnen und Patienten im Sinne eines kollegialen Zusammenwirkens mit dem Arzt/der Ärztin innerhalb des Behandlungsprozesses heraus. (gok)

Mit Blick auf die eingangs erwähnten hohe Kostenlast für das deutsche Gesundheitssystem stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit ein Selbstverschulden auf Patientenseite auch im System der gesetzlichen Krankenversicherung – etwa durch Leistungskürzungen – sanktioniert werden kann.