Die anthropogene Klimakrise ist eine der bedeutendsten medizinischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts [1]. Durch die rasend schnell zunehmende Beeinträchtigung der Ökosysteme ist auch unser Wohlstand substanziell bedroht [2]. Auch Folgen für die menschliche Gesundheit sind bereits jetzt klar belegt und werden mit steigender globaler Durchschnittstemperatur zunehmen. Das Gesundheitssystem ist einerseits für die Behandlung von resultierenden Gesundheitsfolgen zuständig, andererseits ist es selbst für weltweit ca. 4,4 % des Ausstoßes an Treibhausgasen verantwortlich [3].
Kliniken für Anästhesiologie gehören zu den größten Treibhausgas-Emittenten in Krankenhäusern [4]. Die zur Allgemeinanästhesie genutzten volatilen Anästhetika sind als halogenierte Kohlenwasserstoffe potente Treibhausgase und machen dabei bis zu zwei Drittel des CO2-Fußabdrucks der Kliniken aus [5]. Dies entspricht bis zu 2,5 % des CO2-Fußabdrucks des gesamten Gesundheitssystems [6]. Die klimaschädlichsten Narkosen mit Desfluran und Lachgas generieren in einer 7-stündigen Narkose mit 2 Litern/min Frischgasfluss am Beatmungsgerät, einem nicht ungewöhnlichen Wert, den äquivalenten CO2-Ausstoß einer Autoreise von Norwegen bis nach Südafrika [7]. Das alternative moderne volatile Anästhetikum Sevofluran hat einen ca. 20-fach geringeren CO2-Fußabdruck als Desfluran und stellt angesichts fehlender Evidenz für patientenrelevante Vorteile seitens Desfluran eine adäquate Alternative dar [8]. Bereits durch einfache Maßnahmen, wie den Verzicht auf Desfluran und Lachgas, die Reduktion des Frischgasflusses wenn möglich auf 0,5 Liter/min sowie die Präferenz von totalintravenöser Anästhesie (TIVA) bzw. Regionalanästhesie, kann ohne Einbußen an die Versorgungsqualität eine signifikante Reduktion des Ausstoßes von CO2-Äquivalenten erreicht werden [9].
Ziel einer seit April 2021 laufenden Studie am Universitätsklinikum Gießen ist die Reduktion der Nutzungsmenge von volatilen Anästhetika, insbesondere von Desfluran. Kern der Untersuchung ist erstens die Schulung des ärztlichen Personals zum Thema der Klimarelevanz volatiler Anästhetika mittels Fortbildungen, Aufklebern mit Informationen bzw. QR-Codes an Narkosegeräten und Vaporen sowie die Erstellung einer SOP „Klimafreundliche Narkose“. Zweitens werden außerdem die Desfluran-Vapore nicht mehr am Narkosegerät vorgehalten, sondern sind arbeitsplatznah gelagert. Bei Indikationsstellung kann der Vapor selbstständig sofort zum Einsatz gebracht werden. Diese einfachen Anpassungen sind von vermutlich großem ökologischem Nutzen und kommen ohne Verbote oder Einschränkungen beim (informierten) behandelnden ärztlichen Personal aus.
Wöchentlich werden erneut installierte Desfluran-Vapore wieder demontiert und eingelagert. Neben einer sich andeutenden deutlichen Reduktion der Nutzungsmenge von Desfluran ist weiterhin eine Reduktion der Kosten als zusätzlicher ökonomischer Anreiz zu erwähnen, da Desfluran in der Nutzung deutlich teurer ist als Sevofluran.
Wir möchten gern insbesondere Kolleginnen und Kollegen anderer anästhesiologischer Einrichtungen ermutigen, sich zum einen der Klimaschädlichkeit des eigenen Berufsfeldes bewusst zu werden und zum anderen die Umsetzung beschriebener einfacher Maßnahmen zur Reduktion des ökologischen Fußabdrucks in Betracht zu ziehen. Weitere Chancen zur nachhaltigen Anästhesie und Medizin bestehen insbesondere im Müllmanagement und der Energienutzung. Das Positionspaper des Forums für Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie von BDA/DGAI und der Podcast „Hyperkapnie – Nachhaltigkeit in der Anästhesie“ sind weitere Informationsquellen und Anknüpfungspunkte.
Dr. med. Ferdinand Lehmann, Uniklinik Gießen
Prof. Dr. med. Michael Sander, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin Uniklinik Gießen
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