Mit der Weiterbildungsnovelle ändert sich für die kommende Ärztegeneration die wichtigste Grundlage ihrer Fachspezialisierung. Wo stehen wir, wer sind wir und was wollen wir?
„Guten Morgen Herr Kollege, dann lassen sie uns mal loslegen!“ der Oberarzt winkt mit einer herzlichen und routinierten Geste den ersten Patienten rein. „So Herr Miller, machen sie mal das T-Shirt hoch, genau.“ Jovial legt der Oberarzt die rechte Hand auf die Schulter des Assistenzarztes, während er mit der linken auf dem Sono-Bildschirm die relevanten Strukturen zeigt. „Genau, wie besprochen, ein bisschen nach links kippen, genau.“ Diese Szene, sie haben es vermutlich erraten, stammt nicht aus einem Deutschen Krankenhaus, sondern aus einer bekannten US-Amerikanischen Klinikserie. Sie trifft aber in etwa die Idee von Weiterbildung in den Köpfen junger Ärztinnen und Ärzte, beziehungsweise von denen, die es bald sein werden.
Der Arzt ist auch nur ein Mensch
Diese wenig spektakuläre Szene drückt eine Sehnsucht aus, die so trivial wie bedeutend zugleich ist: Ärzte, unabhängig ihrer Hierarchieebene, als Team zu begreifen, Raum und Zeit für Teaching unter echten Bedingungen und die Idee, den Nachwuchs als echte internistische Arbeitshilfe zu begreifen und nicht nur als Aufseher einer anonymen Arztbrief-Manufaktur. Es ist ein tiefes Bedürfnis eines jeden Menschen, so auch der Weiterzubildenden, Anteil am Fortkommen der Gruppe zu haben. Je relevanter der eigene Anteil, desto besser. Studien, die einen Mangel und die daraus resultierenden beruflichen Gratifikationskrisen junger Ärzte zeigen, wurden bereits zu Genüge in BDI-Aktuell und vielen weiteren Publikationen zitiert.
Wenn der Mindeststandard elitär macht
Die Umwälzungen des Gesundheitssektors in den letzten Jahrzehnten haben mit ihren zunehmenden Arbeits- und Dokumentationsverdichtungen dazu geführt, dass es zwar detaillierte Pläne für die Dienst- und Einsatzzeiten der jungen Kolleginnen und Kollegen gibt, aber kein passendes Pendant die Weiterbildung betreffend. Dies hat dazu geführt, dass der Mindeststandard zum Objekt tiefer Sehnsucht geworden ist. Ein Assistent, der in der Regelzeit tatsächlich alle seine (Mindest-)Untersuchungen zusammen hat, ist der König auf jeder Party und sein Geheimnis, wie er das geschafft hat, in sozialen Medien viel wert.
Im jungen Forum, sowie in den jungen Kammern und Arbeitskreisen der Landesärztekammern werden in der Regel andere Drehbücher geschrieben: “Guten Morgen Herr Kollege, viel los heute hm?“, „Ja“. Folge zu Ende.
Arbeitswelt 2.0 trifft Weiterbildungsordnung 1.0
Die rasante Entwicklung und Umwälzung der Arbeitsrealität junger Ärztinnen und Ärzte (und auch der Ober- und Chefärzte!) führte quasi zu einer Art Arbeitswelt 2.0., auf deren Herausforderungen die alte, statische Weiterbildungsordnung bisher keine passende Antwort fand. Wie eine starre Schablone, die nur noch an den äußeren Rändern passt, aber im Inneren keine Kongruenz mehr aufweist.
Formal war alles bestens geregelt: Nur wer ein ausreichend gutes Konzept hat, darf weiterbilden. Überprüft wird es durch die Kammern. Man könnte es ein stark ergebniskontrollorientiertes System nennen. In der Theorie also kein Grund, sich zu beschweren. Wäre da nicht in der Praxis die fehlende Kongruenz im Inneren: 22 % der jungen Kolleginnen und Kollegen nehmen Medikamente, um über den Tag zu kommen, 56 % zeigen Symptome eines Burn-Outs und 63 % schätzen ihren eigenen Gesundheitszustand als gering ein. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Zahlen während der Pandemie nicht verbessert haben. Ganz im Gegenteil berichten fast 60 % der Ärztinnen und Ärzte, ihre Weiterbildung während der Pandemie nicht ausreichend fortsetzen zu können.
Generation Y (es – we can!)
Wer sind diese burn-out-gefährdeten jungen Leute eigentlich und wieso schreiben sie nicht einfach ihre Arztbriefe, bis man das Zeugnis unterschreibt? Im Gegensatz zu vielen Vorurteilen zeichnet sich die jetzige Generation der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung neben ihrem Hang zum Overcomittment (Überengagement, 60 %) vor allem durch eine tiefe Ideologie und Identifikation mit Ihrer Tätigkeit aus. Über 60 % der jungen Arbeitnehmer der Generation Y geben als Hauptgrund für Ihre Tätigkeit die Verbesserung der Gesellschaft an. 94 % möchten ihre Fähigkeiten dazu einsetzen, einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen. Klingt naiv? Ist es vielleicht auch. Es ist vor allem aber eine Chance. Eine Chance, die wir nicht ungenutzt lassen sollten.
Die sanfte Revolution der Kooperativen
Eine Diskussionsrunde des Bündnis Junge Ärzte beim SpiFa-Fachärztetag brachte es auf den Punkt: Das alte Modell des Einzelkämpfers in der Praxis läuft aus. Die Junge Generation wünscht sich kooperative Strukturen und setzt auf andere Werte: Work-Life-Balance und Flexibilität, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Vernetzung, Transparenz und weniger Bürokratie. Hierbei stellt Selbstständigkeit keinen Widerspruch dar, viel mehr könne man durch neue flexible und vernetzte Strukturen eine Art Selbstständigen-Synzytium schaffen. Dass hierfür die Digitalisierung vorangetrieben werden müsse, sei selbstverständlich.
Als kritischer Beobachter mag man sich vielleicht zu dem Gedanken hinreißen lassen, dass auch das naiv sei, da es sicherlich in einem solchen Konstrukt zu Interessenskonflikten der Parteien kommen müsse. Wer so denkt, vergisst, mit welcher Generation und welchen Motiven er es zu tun hat.
Die Weiterbildungsnovelle als Gamechanger
Die neue Weiterbildungsordnung rückt die Kompetenzen in den Vordergrund. In einem mehrstufigen Prozess können sich der Weiterzubildende sowie der Weiterbilder darüber verständigen, ob bestimmte Kompetenzen vorliegen oder nicht. Dieser Austausch soll regelmäßig erfolgen und nicht erst am Ende der gesamten Weiterbildung. Dies bringt gleich mehrere Vorteile mit sich, die das Zeug dazu haben, tiefgreifende Veränderungen in Gang zu bringen: Zum ersten Mal findet echte, institutionalisierte Prozesskontrolle (im Gegensatz zur bisherigen Ergebniskontrolle) statt.
Charmanterweise erfolgt die Kontrolle im Team (Weiterbilder/Assistent) und nicht primär durch die Kammer (außer es wird explizit gewünscht). So kann wieder zusammenwachsen, was in der Medizin Tradition hat: Lehrer und Lernender. Falls es doch zu Problemen kommen sollte, können die Kammern nun sehr viel leichter und schneller anhand von echten Daten gemeinsam mit den Beteiligten Lösungen finden.
Durch diesen ritualisierten Austausch könnte die Weiterbildung wieder mehr in den Fokus des alltäglichen Bewusstseins rücken und langsam an Wichtigkeit gewinnen.
Das E-Logbuch und die Weiterbildungsnovelle brechen die starre Schablone auf und lassen sie atmen, sodass wir sie hoffentlich an zukünftige Entwicklungen schneller anpassen können. Das klingt naiv? Ist es auch. Aber es ist auch eine Chance.
Dr. med. Cornelius Weiß, MPH, Delegierter LÄKH
Nachdruck aus: BDI aktuell, April-Ausgabe, 2021