Leserbrief zu „Offener Brief des Bündnis Junge Ärzte“ und „Gespräch mit Dr. med. Cornelius Weiß...“ zum gleichen Thema, HÄBL 06/2020, S. 356–358
Es hat mich sehr berührt und gleichzeitig erfreut, diesen Bericht der „Jungen Ärzte“ zu lesen und die Stellungnahme dazu von Dr. Cornelius Weiß. Als ich vor mehr als 40 Jahren meine Tätigkeit als Allgemeinmediziner, damals hieß das noch „Landarzt“, im Westerwald aufnahm, gab es keinen Computer, kein Handy und keine Facharzt-Zentren. Ich war für alle Leiden zuständig, habe Kinder auf die Welt gebracht, Unterarmfrakturen – natürlich nach Röntgenaufnahmen in der Praxis – mit Gipsmanschetten behandelt und dergleichen mehr. Meine beiden „Praxismädels“ haben all das auf der Rückseite der Krankenscheine der jeweiligen Patienten vermerkt oder in die Patientenakte eingetragen, egal ob Kassen- oder Privatpatient. Ich sah meine Aufgabe oder, besser gesagt, meine Tätigkeit darin, dem Menschen, der zu mir kam, zu helfen, ihn von seinen Beschwerden zu befreien, so gut ich das konnte. Meine bürokratische Tätigkeit bestand darin, die ausgefüllten Krankenscheine am Ende des Quartals bei der KV abzugeben. Das war’s.
Ich hatte einen 12–14 Stundentag, und es gab keinen Mittwochs- und Sonntagsdienst. Ich habe all das getan, weil ich, ohne es zu wissen, die Prinzipienethik von Tom Beauchamp und James Childress verinnerlicht hatte.
Heute hat sich sehr vieles verändert und sich von der genannten Prinzipienethik innerhalb der medizinischen Tätigkeit weit entfernt. Lukrative Behandlungen innerhalb der Kliniken und Praxen sind heutzutage völlig normal und werden „lautlos“ akzeptiert. Sucht man heutzutage einen Arzt, geht man ins Internet und findet – immer! – den Richtigen. Ein Privatpatient erhält einen Termin innerhalb weniger Tage, der Kassenpatient in den nächsten zwei Monaten. So ist das heutzutage.
Es ist furchtbar, was aus der normalen, oder, besser gesagt, aus der ärzteethischen Begründung unserer Tätigkeit geworden ist, und ich bin sicher, dass es eine zukunftsfähige medizinische Versorgung in Deutschland nicht geben wird, leider!
Ich danke Ihnen dennoch für Ihren Artikel und Ihr Bemühen, die medizinische Ethik und medizinische Versorgung in Deutschland zu verändern bzw. zu verbessern.
Dr. med. Herbert E. Henke, Facharzt für Allgemeinmedizin, Friedrichsdorf