Gemeinsam die Angst vor dem Sterben nehmen
Forderung nach Stärkung vorhandener Strukturen in der palliativen Versorgung auf der 4. Fachtagung "Palliative Versorgung und hospizliche Begleitung in Hessen" in Bad Nauheim
Das Interesse an einer weiteren Vernetzung der palliativen Versorgung in Hessen ist unvermindert hoch: Über 200 ehrenamtliche Betreuer, Ärzte, Pfleger und einige Seelsorger nahmen gestern an der 4. Fachtagung "Palliative Versorgung und hospizliche Begleitung in Hessen" im Fortbildungszentrum der Landesärztekammer Hessen in Bad Nauheim teil. "Angst, Hilflosigkeit, Schmerzen und Einsamkeit belasten die Menschen am Ende ihres Lebens", sagte die Präsidentin der Landesärztekammer Hessen, Dr. med. Ursula Stüwe zu Beginn der Veranstaltung. "Wir wollen unsere Patienten daher gemeinsam mit allen uns in der palliativen Medizin und Betreuung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die Angst vor dem Sterben nehmen, sie begleiten und ihre Angehörigen unterstützen."
Auch in diesem Jahr standen der Informationsaustausch und die Verbesserung der Zusammenarbeit aller an der Sterbebegleitung beteiligten Berufsgruppen auf regionaler Ebene im Mittelpunkt der interdisziplinären Tagung (Schirmherrin: Hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger, Leitung und Moderation: Prof. Dr. med. Ernst-Gerhard Loch, Dr. med. Michael Popović), die gemeinsam von der Akademie für Ärztliche Fortbildung und Weiterbildung, der Koordinations- und Ansprechstelle für Dienste der Sterbebegleitung und Angehörigenbetreuung (KASA) und der Landesarbeitsgemeinschaft Hospize Hessen veranstaltet wurde. Darüber hinaus bot die Fachtagung Informationen zur aktuellen Gesetzgebung und einen Überblick über die vorhandenen Strukturen zur hospizlichen und palliativen Versorgung in den hessischen Regionen.
Eindeutig sprach sich Ärztekammerpräsidentin Stüwe gegen aktive Sterbehilfe aus und verurteilte gegenläufige Strömungen, die einen Hamburger Händler ermutigt hätten, kürzlich eine "Suizidmaschine" zu präsentieren. "Noch haben sich die Krankenkassen erstaunlicherweise nicht dazu geäußert,", bedauerte Stüwe und forderte deren Vertreter zu einer klaren Stellungnahme auf. Dass die wachsende Ökonomisierung inzwischen auch vor dem Sterben nicht mehr zurückschrecke, mache deutlich, dass das Thema Palliative Versorgung und hospizliche Begleitung wichtiger sei denn je. Stüwe plädierte dafür, die Palliativmedizin als Bestandteil des Medizinstudiums zu etablieren.
"In der schwächsten Phase des Lebens ist an der Menschenwürde unbedingt festzuhalten", unterstrich auch Dr. Stephan Hölz vom Hessischen Sozialministerium in seinem Grußwort. Obwohl heute 80-90% der Menschen in Krankenhäusern oder Heimen stürben, hofften die meisten, die letzte Zeit ihres Lebens in vertrauter Umgebung zu Hause verbringen zu können. Hölz bezeichnete die von menschlicher Zuwendung getragene Sterbebegleitung durch Hospizarbeit und Palliativmedizin daher als wichtig und sprach sich für ein partnerschaftliches Miteinander beider Bereiche aus. Grundsätzlich begrüßte er die nach dem § 37 b des Sozialgesetzbuches V formulierten neuen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesaussschusses zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV). So werde dem Grundsatz "ambulant vor stationär" Rechnung getragen. Kritisch merkte Hölz jedoch an, dass wichtige Richtlinien, wie die zur Spezialisierung der Leistungserbringer und Vorschläge zur interprofessionellen Zusammenarbeit vage blieben. "Nur die Akteure vor Ort können die Situation vor Ort beurteilen", hob Hölz hervor.
Dr. Thomas Schindler, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Paliativmedizin, teilte die Bedenken in seiner Analyse der neuen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses. So sei die Absicht des Gesetzgebers, die palliative Versorgung im Zuge der 2007 verabschiedeten Gesundheitsreform (GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz) zu fördern, zwar gut, aber offensichtlich nicht gut vorbereitet gewesen. Schindler nannte den Gesetzestext und auch die später erlassenen Richtlinien an einigen Stellen unbestimmt. So hätten nur ca. 10% der Sterbenden einen besonderen Versorgungsbedarf; das Gros der Patienten würde weiterhin von den Strukturen der allgemeinen Palliativversorgung betreut. Wie lassen sich die 10% identifizieren, gibt es Instrumente dafür und wer regelt das? Auf diese Fragen gäben die neuen Beschlüsse keine Antwort. Auch werde nicht gesagt, wer die Leistungserbringer seien. Schindler meldete außerdem Bedenken der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin an, ob die Zusatzweiterbildung "Palliativmedizin" als Qualifikation ausreiche, um dem - durchaus erfahrenen Hausarzt - unterstützend zur Seite zu stehen. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin und der Deutsche Hospiz- und Palliativ-Verband hätten auf Bundesebene gemeinsam Vorschläge und Empfehlungen vorgelegt, berichtete Schindler. Man wisse jedoch nicht, wie rasch diese umgesetzt würden.
"Sollen wir warten? Und wie lange?", fragte Pfarrer Peter Otto von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Hospize Hessen. Man warte schon geraume Zeit auf das SAPV-Programm, auf seine Präzisierung durch Richtlinien und auf die Umsetzung. Noch handele es sich bei SAPV allerdings um ein "verpacktes Überraschungs-Ei". Zugleich dränge sich der Eindruck auf, dass die Einrichtung realer Palliative Care Teams von einigen Beteiligten gar nicht wirklich erwünscht sei. Ein Zeichen dafür sei, dass das vom Gesetzgeber bereit gestellte Geld zwar vorhanden sei (80 Mio € allein für das Jahr 2007), aber nicht abgerufen wurde, weil der Verteilungskampf so brutal sei. "Lassen Sie uns nicht mehr abwarten, sondern gestalten wir die Umsetzung vor Ort in Hessen mit", appellierte Otto daher. Dies erfordere eine enge Kooperation aller an der Sterbebegleitung Beteiligten und die Einsicht in die Gleichwertigkeit der vier Säulen der palliativen Betreuung: medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Versorgung. In Hessen seien Zusammenarbeit und Vernetzung der an der Sterbebegleitung beteiligten Berufsgruppen auf der Grundlage der vergangenen drei Fachtagungen in Bad Nauheim aufgebaut worden. "Lassen Sie uns nicht länger warten, sondern das Feld selbst bestellen", forderte Otto.
Dass die regionale Vernetzung auch im letzten Jahr erfolgreich fortgeschritten ist, zeigten die Berichte aus sechs hessischen Regionen. In Diskussionen und Workshops wurden weitere Unterstützungsangebote und Strukturen zur Verbesserung der Arbeit erörtert. Ein mögliches Unterstützungsangebot können Regionale Hospiz- und Palliativkonferenzen (RHPK) sein, die von gemeinsamen Arbeitsgruppen aus Vertretern örtlicher Gesundheitsämter, Bezirksärztekammern der Landesärztekammer, der LAG Hospize und der KASA getragen werden sollen. Ihre Aufgabe wird es sein, die vorhandenen Strukturen in den Regionen zu beraten, zu unterstützen und die Kommunikation in der Versorgung zu fördern. Die Teilnehmer der 4. Fachtagung waren sich darin einig, dass es zukünftig darauf ankommen muss, auch in den ländlichen Regionen Hessens nachhaltige Strukturen zu schaffen, wie sie in den Ballungsgebieten bereits existieren. Zugleich soll der Kreis der Menschen, die sich im Bereich der hospizlichen und palliativen Versorgung engagieren, erweitert werden.