Aus Frust den weißen Kittel an den Nagel gehängt? Warum junge Ärztinnen und Ärzte aus der Patientenversorgung aussteigen
Ergebnisse einer neuen Umfrage der Landesärztekammer Hessen
Die jüngste Arztzahlstudie von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung läßt befürchten, daß dem deutschen Gesundheitswesen der ärztliche Nachwuchs ausgeht. Der Anteil junger Ärztinnen und Ärzte an allen berufstätigen Ärzten ist von 27,4% im Jahr 1991 auf nur noch 17 % im Jahr 2002 zurückgegangen. Offenbar entscheiden sich immer mehr Studenten nach Abschluß ihres Medizinstudiums gegen eine ärztliche Tätigkeit. Aber auch viele junge Ärztinnen und Ärzte, die bereits in der Patientenversorgung gearbeitet haben, steigen aus und suchen sich attraktivere Berufsalternativen oder wandern ins Ausland ab.
Die jetzt vorliegenden Ergebnisse einer neuen Umfrage der Landesärztekammer Hessen, die in diesem Frühjahr unter nicht mehr in der Patientenversorgung tätigen Ärztinnen und Ärzten (Jahrgang 1963 und jünger) durchgeführt worden ist, bestätigen nicht nur die Erkenntnisse der Arztzahlstudie von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, sondern auch die Resultate der im vergangenen Jahre vorgestellten Umfrage der Landesärztekammer Hessen zur Arbeitsbelastung und -zufriedenheit der Krankenhausärztinnen und –ärzte in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Sie geben außerdem erstmals Auskunft darüber, warum die Befragten den weißen Kittel an den Nagel gehängt haben und wohin sie abgewandert sind.
Wer sind die "Aussteiger"? 426 hessische Ärztinnen und Ärzte (die Hälfte aller bei der Landesärztekammer Hessen als "nicht in der Patientenversorgung tätig" gemeldeten dieser Altersgruppe) wurden nach dem Zufallsprinzip auswählt und angeschrieben. Mit 60% war die Rücklaufquote der Fragebögen hoch; 222 Antworten konnten ausgewertet werden. Dabei handelt es sich sowohl um Ärztinnen und Ärzte, die zwar berufstätig, aber dauerhaft nicht kurativ ( d.h. nicht in der Patientenversorgung ) tätig sind ( 104 ), als auch um Ärztinnen, die vorübergehend oder dauerhaft im Haushalt arbeiten ( 118 ).
Als Gründe für den Ausstieg aus der Patientenversorgung gaben rund vier Fünftel der Berufstätigen "Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen" ( 79% ) und "Unzufriedenheit mit den Arbeitszeiten" ( 77% ) an. Dabei fällt vor allem die Unzufriedenheit der jungen Ärztinnen und Ärzte mit dem "Umfang an Verwaltungsarbeit" auf. Die Frage nach den Karrierechancen wurde von Frauen und Männern unterschiedlich bewertet: Für 75% der befragten Ärzte, aber nur für 42% der Ärztinnen, spielte die "Unzufriedenheit mit der Entwicklung der beruflichen Karriere" eine entscheidende Rolle.
Wo arbeiten die noch berufstätigen aber aus der Patientenversorgung "ausgestiegenen" Ärztinnen und Ärzte heute? 26% nennen die Pharmaindustrie als Arbeitgeber, 42% sind im sonstigen Gesundheitswesen beschäftigt; dazu zählen Krankenhäuser (Management, Verwaltung, Qualitätssicherung u.s.w.), Forschung und Wissenschaft, Behörden, Lehre/Weiterbildung, Informatik, Medizinjournalismus und Medizintechnik. Nur 21% der "Aussteiger" üben einen Beruf außerhalb des Gesundheitswesens aus.
Wichtige Erkenntnis: Der Ausstieg aus der Patientenversorgung verbessert die Arbeitszufriedenheit dieser Ärztinnen und Ärzte offenbar erheblich. So bewerten sie ihre derzeitige Tätigkeit deutlich besser als die frühere in der Patientenversorgung, vor allem, was Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten betrifft. 80% der befragten "Aussteiger" sind mit ihrer jetzigen Beschäftigung zufrieden oder sehr zufrieden.
Die "Berufung Arzt" endet zwar nicht unwiderruflich mit dem Ausstieg aus der Patientenversorgung ( Etwas mehr als die Hälfte der Befragten ( 51% ) könnten sich theoretisch vorstellen, die ärztliche Tätigkeit in der Patientenversorgung zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen und würden sich auch heute wieder dafür entscheiden, Arzt zu werden. Doch unter den gegenwärtigen Bedingungen scheint der Arztberuf vielen keine Freude mehr zu machen.
Die Umfrage zeigt deutlich, daß dringend Maßnahmen ergriffen werden müssen, um eine weitere Abwanderung junger Ärztinnen und Ärzte aus der Patientenversorgung zu verhindern. Die Abschaffung der Tätigkeit als Arzt/ Ärztin im Praktikum
( AiP ) und die damit verbundene bessere Bezahlung von ärztlichen Berufsanfängern ist ein erster wesentlicher Schritt. Zu begrüßen ist vor allem auch die lang erwartete und gestern bekanntgegebene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, nach der Bereitschaftsdienst von Ärzten in Kliniken grundsätzlich als Arbeitszeit zu werten ist
( siehe Pressemitteilung der Landesärztekammer Hessen vom 09.09.03 ). Dringend müssen nun neue Arbeitszeitmodelle im Krankenhaus entwickelt und die zusätzliche Belastungen von Klinikärztinnen und -ärzten durch Verwaltungsarbeiten reduziert werden.
Die Landesärztekammer Hessen hat deshalb an der Carl – Oelemann - Schule in Bad Nauheim ein neues Fortbildungsangebot „Klinikassistenz" für Arzthelferinnen geschaffen, das die Absolventinnen speziell für die Entlastung der Krankenhausärzte von organisatorischen und Verwaltungstätigkeiten qualifizieren und damit auch ein neues zukunftsweisendes Tätigkeitsfeld für Arzthelferinnen erschließen soll. Der erste Kurs beginnt am 26.09.2003.