Bei Redaktionsschluss waren die Koalitionsverhandlungen für die neue Bundesregierung noch in vollem Gang und deren Ausgang noch nicht absehbar. Offen war sogar noch der Termin für die Wahl des Bundeskanzlers. Doch so sehr unser Land rasch wieder eine funktions- und vor allem handlungsfähige Regierung benötigt, so wichtig sind gründliche Absprachen für den Koalitionsvertrag, denn dieser muss eine solide, verlässliche und tragfähige Grundlage für das Regierungshandeln der neuen Legislaturperiode gewährleisten. Nicht umsonst heißt es im Volksmund „Eile mit Weile“.

Während das Thema Gesundheit im Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielte, hat sich die Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege der künftigen Koalitionäre mit den größten Herausforderungen befasst. Das Ergebnis weist einige Licht-, aber auch einige Schattenseiten auf. Herausfordernd ist das Aufgabenpaket für die zukünftige Leitung des Bundesgesundheitsministeriums in jedem Fall, zumal es auch einige Bereiche anderer Ministerien betrifft. So berührt zum Beispiel der vorgesehene Pakt für Kindergesundheit, den ich ausdrücklich als ersten Schritt begrüße, die Bereiche Bildung, Familie und so auch die Kultusministerien der Länder. Je Schule sind 30.000 Euro vorgesehen. Wofür das Geld ausgegeben werden darf – hoffentlich für die Verbesserung der Gesundheitskompetenz –, wird mit Sicherheit noch viele Fragen aufwerfen.

Vielleicht kann das versprochene Bürokratieentlastungsgesetz für das Gesundheitssystem, das schon innerhalb der ersten sechs Monate durch Verringerung von Dokumentationspflichten und Kontrolldichten für Entlastung sorgen soll, als positives Beispiel dienen. Hier sollte die künftige Regierung auf die zahlreichen Vorschläge der Expertinnen und Experten, nämlich der im Gesundheitssystem tätigen Fachleute, zurückgreifen. Nur so kann dieses Vorhaben gelingen.

Das gilt auch für die Umsetzung der Krankenhausreform, die nicht unerwartet einige Änderungen oder genauer gesagt Korrekturen erfahren soll. So soll nun beispielsweise das Vollzeitäquivalent für Ärztinnen und Ärzte bei 38,5 Stunden liegen und nicht mehr bei 40 Stunden. Damit ist die in vielen Leistungsgruppen geltende Anforderung von drei Fachärztinnen, -ärzten leichter umsetzbar, denn 38,5 Stunden spiegeln die Realität vieler Tarifverträge wider. Realitätssinn oder Anerkennung der verfassungsgemäßen Finanzierung von Krankenhausinvestitionskosten zeigt sich auch in der Ankündigung, den Krankenhaustransformationsfonds nicht mit Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern über den Bund mithilfe des Sondervermögens zu finanzieren. Positiv ist auch die Ankündigung, für bedarfsnotwendige Krankenhäuser die Lücke der Betriebskostenfinanzierung aus den Jahren 2022 und 2023 zu schließen. Davor wird jedoch noch die Beantwortung der Frage stehen, welche Häuser als bedarfsnotwendig einzuordnen sind. Durchhaltevermögen ist daher angesagt.

Kritisch sehe ich aber einige Pläne für die ambulante Versorgung. So soll eine fachärztliche Versorgung in Krankenhäusern ambulant möglich werden, wenn es den Kassenärztlichen Vereinigungen zuvor nicht gelungen ist, den Zeitkorridor für einen fachärztlichen Termin einzuhalten. Dieser soll vom Primärarzt oder über die 116 117 festgelegt werden. Statt unbegrenzte Leistungsversprechen zu beenden, soll hier ein weiterer Eingriff in die Gestaltungsfreiheit eines freien Berufes erfolgen, den ich verfassungsrechtlich für mehr als bedenklich halte. Außerdem soll es Honorarabschläge in fachärztlichen überversorgten Gebieten geben. Schon jetzt werden ca. 20 % der erbrachten Leistungen nicht vergütet. Dafür gibt es eigentlich nur den Begriff der Zechprellerei. Wer noch mehr Termine und Leistungen fordert, muss diese auch zu 100 % bezahlen. Zudem frage ich mich, welche stationär tätigen Kolleginnen und Kollegen über Valenzen für ambulante Termine verfügen. Nicht zuletzt ist ein unbestrittenes Ziel der Krankenhausreform, die Zahl der Krankenhäuser zu verringern.

Hier zeigt sich einmal mehr, wie komplex das Zusammenspiel im Gesundheitssystem ist. Wenn ich an einem Schräubchen drehe, muss ich die Auswirkungen im Gesamtsystem bedenken. Das beginnt bei der Ausgestaltung des Primärarztsystems und reicht bis zu der vorgesehenen Kompetenzerweiterung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe. Leider findet sich in dem Text der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege kein einziger Satz über die dringend benötigte Förderung der ambulanten fachärztlichen Weiterbildung.

Einmal mehr fordere ich den Einbezug unseres ärztlichen Sachverstands, denn wir arbeiten täglich in diesem System. Unsere Expertise ist unverzichtbar.

Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident