Prof. Dr. iur. Alexander Eufinger

I.  Einführung

Diskriminierungen im Gesundheitswesen sind ein ernstes und oft übersehenes Problem. Es besteht die Gefahr, dass die Qualität der Versorgung beeinträchtigt und das Vertrauen in das Gesundheitssystem untergraben wird. Nach einer repräsentativen Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Diskriminierungserfahrungen in Deutschland berichteten 26,4 % (!) aller befragten Personen, Diskriminierungen im Bereich Gesundheit und Pflege erlebt zu haben. Besonders oft wurden diese Erfahrungen im ambulanten Bereich (Arztpraxis, Psychotherapie, etc.) gemacht (43,3 %). Im Krankenhaus machten 24,9 % der Befragten negative Erfahrungen. Besonders prominent sind Diskriminierungserfahrungen von Patienten mit Migrationshintergrund sowie HIV-Infizierten.

Aber nicht nur im Verhältnis zu Patienten sind Diskriminierungen im Gesundheitswesen ein ernst zu nehmendes Problem. So können Ärzte im Arbeitsverhältnis selbst entsprechende Diskriminierungserfahrungen machen. Zudem sollten Ärzte in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber – insbesondere im ambulanten Bereich – oder auch als Vorgesetzte für die Thematik sensibilisiert werden. Oftmals geschehen derartige Ungleichbehandlungen unbewusst und nicht vorsätzlich. Andererseits ist nicht jede Diskriminierung, welche gesellschaftlich und politisch als solche bezeichnet wird, eine „echte“ und verbotene Benachteiligung im juristischen Sinne. Geregelt ist das deutsche Antidiskriminierungsrecht im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches im Folgenden vorgestellt werden soll.

II.  Das Diskriminierungsrecht

1.  Diskriminierungsmerkmale

Nach § 1 AGG ist es das Ziel des AGG, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Diese Vorschrift definiert für das gesamte AGG diejenigen Merkmale, bei deren Vorliegen eine unzulässige Benachteiligung vorliegt, falls eine Differenzierung daran anknüpft. Es handelt sich um die sog. pönalisierten oder verpönten Merkmale. Nur wenn eines dieser sechs Merkmale gegeben ist, kann überhaupt eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne vorliegen.

Aus medizinischer Sicht ist besonders das Merkmal der Behinderung von Bedeutung. Der Begriff der „Behinderung” ist so zu verstehen, dass er eine Einschränkung erfasst, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet. Alternativ kann auf § 2 Abs. 1 SGB IX abgestellt werden, wonach Menschen behindert sind, wenn ihre „körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Alter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“. Mit der Verwendung des Begriffes „Behinderung” hat der Gesetzgeber also bewusst ein Wort gewählt, das sich von dem der „Krankheit” unterscheidet. Daher lassen sich die beiden Begriffe nicht schlicht und einfach einander gleichsetzen. Eine Ungleichbehandlung von Patienten durch einen Arzt aufgrund ihres unterschiedlichen Krankheitsbildes – etwa HIV-Infektion, Hepatitis, dermatologische Erkrankung, etc. –, stellt somit keine Diskriminierung dar. Der Mediziner differenziert in einem solchen Fall schlichtweg nicht nach einem pönalisierten Merkmal nach § 1 AGG.

2.  Formen der Benachteiligung

In § 3 Abs. 1 S. 1 AGG wird der Begriff der unmittelbaren Benachteiligung legaldefiniert. Eine solche liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes (s. o.) eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Auch hier wird deutlich, dass eine Person in Deutschland nur (juristisch) diskriminiert werden kann, wenn die andere Person an eines dieser sechs Merkmale anknüpft. Unmittelbare Benachteiligungen sind im Gesundheitsbereich, aber auch im Berufsleben relativ einfach zu erkennen. Eine solche würde etwa vorliegen, wenn ein Arzt die Behandlung eines Patienten aufgrund seiner ethnischen Herkunft oder wegen seiner Religion bzw. Weltanschauung ablehnen würde. Gleiches gilt, wenn bestimmten Patientengruppen eine übertrieben empfundene Schmerzschilderung unterstellt (sog. Morbus Mediterraneus; Mittelmeersyndrom) und die Anamnese sowie Diagnose hierauf aufgebaut werden. Dies stellt aus juristischer Sicht eine unmittelbare Benachteiligung aufgrund der ethnischen Herkunft dar. Aber auch „berühmt-berüchtigte“ Stellenausschreibungen, wonach beispielsweise nur Männer, nur Deutsche oder nur Personen mit einwandfreier körperlicher Fitness gesucht und eingestellt werden, stellen unmittelbare Benachteiligungen nach § 3 Abs. 1 S. 1 AGG dar.

Schwieriger ist mitunter die Identifikation einer mittelbaren Diskriminierung. Nach § 3 Abs. 2 S. 1 AGG liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren bestimmte Personengruppen benachteiligen können, ohne dass dies unmittelbar beabsichtigt ist. Im Unterschied zur unmittelbaren Diskriminierung – bei der eine Benachteiligung eben direkt und offensichtlich auf ein Merkmal wie Geschlecht, Alter oder Religion abzielt – ergibt sich die Diskriminierung bei der mittelbaren Form aus diesen indirekten Regelungen oder Anforderungen. Wenn beispielsweise ein Kinderarzt aus Baden-Württemberg nur noch Patienten behandeln möchte, welche über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, ist darin eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 S. 1 AGG aufgrund der ethnischen Herkunft zu sehen. Die Anforderung, dass der Patient oder ein Elternteil über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen muss, stellt in diesem Zusammenhang zunächst einmal ein neutrales Kriterium dar. Dennoch werden durch dieses scheinbar neutrale Kriterium Menschen, welche Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, nachvollziehbarerweise überproportional betroffen sein.

3.  Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung

Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes kann unter Umständen zulässig sein, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. So dürfte es zum Beispiel zulässig sein, dass ein Gynäkologe nur weibliche Sprechstunden- oder Arzthelferinnen einstellt. Zwar handelt es sich um eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, jedoch ist diese insbesondere durch das Intimitätsinteresse der Patientinnen gerechtfertigt. Selbstredend darf ein Chirurg, Neurologe oder Pneumologe eine solche Differenzierung bei der Auswahl seiner Mitarbeiter nicht vornehmen.

Zudem ist eine mittelbare Diskriminierung nicht in jedem Fall rechtswidrig. Nach § 3 Abs. 2 AGG gilt sie als rechtmäßig, wenn die entsprechenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein legitimes Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Dies bedeutet, dass der Arzt oder Arbeitgeber die indirekte Benachteiligung rechtfertigen kann, sofern das angewandte Kriterium für die Tätigkeit oder den Dienst tatsächlich notwendig ist und keine weniger diskriminierende Alternative existiert. Eine solche Rechtfertigung dürfte bei dem Erfordernis der ausreichenden Deutschkenntnisse nicht vorliegen, bestehen doch heutzutage mittels künstlicher Intelligenz (KI) adäquate Übersetzungsmöglichkeiten für den Behandelenden und den Behandler.

4.  Rechtsfolge einer AGG-Benachteiligung

Nach § 21 Abs. 1 und 2 AGG kann der Benachteiligte bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot unbeschadet weiterer Ansprüche die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Zudem ist bei einer Verletzung des Benachteiligungsverbots der Benachteiligende verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Der Schadensersatz bei einem Verstoß gegen das AGG kann stark variieren und hängt von verschiedenen Faktoren ab. In der Regel wird eine Entschädigung für erlittene Diskriminierung gefordert, die zwischen 1.000 und 50.000 Euro liegen kann, abhängig von der Schwere des Verstoßes und den individuellen Umständen des Falles. Das AGG sieht vor, dass Betroffene auch Anspruch auf angemessene Entschädigung haben können, die sowohl immaterielle Schäden als auch mögliche finanzielle Einbußen abdeckt. In vielen Fällen sind konkrete Zahlen jedoch stark abhängig von der Judikatur und den spezifischen Umständen des Einzelfalles. Es empfiehlt sich daher, im Falle eines reklamierten AGG-Verstoßes rechtlichen Rat einzuholen, um die besten Optionen zu besprechen.

III.  Praktische Empfehlungen zur Vermeidung von Diskriminierungen

Wie eingangs erwähnt, erfolgen die meisten Diskriminierungen nicht bewusst und gewollt, sondern sind vielmehr das Ergebnis von Unwissenheit und fehlendem Fingerspitzengefühl. Vor diesem Hintergrund sollten Ärzte beherzigen, im Verhältnis zu Patienten sowie nachgeordneten Mitarbeitenden auf eine diskriminierungsfreie Kommunikation zu achten. Dies bedeutet insbesondere, wertneutrale Aussagen zu formulieren. Nachfolgend sei dies am Beispiel einer Absage für eine Stellenbewerbung illustriert:

„Sehr geehrte*r [Name],

vielen Dank für Ihre Bewerbung und das Interesse an der Position [Stellenbezeichnung]. Wir haben Ihre Unterlagen sorgfältig geprüft. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir uns für einen anderen Bewerber bzw. eine andere Bewerberin entschieden haben, dessen/deren Qualifikationen besser zu unseren aktuellen Anforderungen passen.

Wir wünschen Ihnen für Ihren weiteren beruflichen Weg alles Gute und viel Erfolg.

Mit freundlichen Grüßen“

Dieses Absageschreiben ist völlig wertneutral formuliert. Indizien, welche auf eine Benachteiligung von bestimmten Personengruppen aufgrund pönalisierter Merkmale hindeuten, sind nicht erkennbar. Auch im Verhältnis zum Patienten sollten Mediziner auf eine solch wertneutrale Kommunikation achten. Insbesondere, wenn der Abschluss eines Behandlungsvertrages nach § 630a BGB abgelehnt wird, sollte in der Regel stets auf Kapazitätsengpässe oder sonstige neutrale Gründe verwiesen werden. Keinesfalls darf ein Bezug zu den pönalisierten AGG-Merkmalen hergestellt werden.

Beispiele

Nachfolgend werden noch einige Beispiele – aus Sicht des Arztes sowohl als Vorgesetzter als auch als Behandler – für subtile Kommentare genannt, welche unter Umständen einen Verstoß gegen das AGG indizieren:

Geschlecht

  • „Das ist nichts für Frauen; die sind nicht so belastbar.“
  • „Er ist wirklich gut in seiner Arbeit, für einen Mann in seinem     Alter.“

Alter

  • „Die jüngeren Mitarbeiter haben einfach mehr Energie.“
  • „Ich dachte, du bist schon zu alt für diesen Job.“

Ethnische Herkunft

  • „Sie sprechen aber gut Deutsch für jemanden aus Ihrem Land und können daher Ihre Schmerzen schildern.“
  • „Ich hoffe, Sie sind nicht so emotional und schmerzempfindlich wie andere aus Ihrer Kultur.“

Behinderung

  • „Das ist ein tolles Projekt, aber ich glaube, das wäre für dich zu schwierig.“
  • „Wir brauchen jemanden, der wirklich fit ist, um diesen Job zu machen.“

Sexuelle Orientierung

  • „Ich hätte nicht gedacht, dass jemand wie du so gut in unserem Team funktioniert.“
  • „Das passt nicht zu deinem Lebensstil.“
  • „Bei Ihrem Lebensstil verwundert einen Ihre Krankheit nicht.“

Religion

  • „Ich finde es beeindruckend, dass du das mit deinem Glauben vereinbaren kannst.“
  • „Ich behandle Sie nur, wenn Sie Ihr Kopftuch ablegen.“

IV.  Fazit

Diskriminierungen im Gesundheitswesen sind keine Seltenheit. Allerdings resultieren diese Zurücksetzungen in der überwiegenden Vielzahl der Fälle schlichtweg aus Unwissenheit der handelnden Personen und erfolgen nicht vorsätzlich bzw. bewusst. Akteure im Gesundheitswesen sollten daher insbesondere auf eine wertneutrale Kommunikation – sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form – achten. Jegliche Kommunikation mit einem abwertenden Bezug zur Rasse oder ethnischen Herkunft, zum Geschlecht, zur Religion oder Weltanschauung, zu einer Behinderung, zum Alter oder zur sexuellen Identität sollte vermieden werden. Anderenfalls drohen Unterlassungsansprüche sowie – besonders relevant – Schadensersatzansprüche der benachteiligten Person.

Prof. Dr. iur. Alexander Eufinger, Wiesbaden, Hochschule Rhein-Main