Die Long Covid-Plattform ist eine Initiative der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG Selbsthilfe e. V.). Als Vertreterin der Interessen chronisch kranker und behinderter Menschen sowie die ihrer Angehörigen setzt sich die Dachorganisation seit 2022 für die Belange von Long Covid-Betroffenen ein. Auf dem Internetportal werden aktuelle, qualitätsgesicherte Informationen zum Stand der Forschung sowie zu Therapie- und Rehabilitationsmöglichkeiten veröffentlicht. Gleichzeitig werden Menschen mit Long Covid-Symptomen unterstützt, sich in Selbsthilfegruppen kennenzulernen und Erfahrungen auszutauschen. Das Interview mit Roland Rischer von der BAG Selbsthilfe über die Inhalte und Ziele der neuen Long Covid-Plattform führte Dr. med. Peter Zürner, Verantwortlicher Redakteur des Hessischen Ärzteblattes.

Das Wissen über Long Covid ist bei vielen Menschen und teilweise auch bei Ärztinnen und Ärzten wenig verbreitet. Wie sind Sie auf die Idee für die Long Covid-Plattform gekommen und wie funktioniert die Vernetzung zwischen Selbsthilfe und Fachleuten?

Roland Rischer: Die Long Covid-Plattform ist eine Initiative der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG Selbsthilfe e. V.) und wird seit Mai 2022 durch die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) gefördert. Man hatte erkannt, dass zahlreiche Menschen nach der Pandemie gesundheitliche Langzeitfolgen haben, die sie in die Berufsunfähigkeit oder Frühverrentung drängen könnten. Um dem entgegenzuwirken, stellte die DRV finanzielle Mittel für verschiedene Projekte bereit, um diesen Menschen gezielt Unterstützung zu bieten. Tatsächlich sprechen wir hier von einer großen Zahl an Betroffenen – manche Studien sagen, dass eine halbe Million Menschen langfristig Hilfe benötigen werden. Unser Projekt hat dabei zwei zentrale Ziele:

Erstens, den Betroffenen eine Plattform zur Selbstorganisation zu bieten, ähnlich wie bei anderen Indikationen, wo Patientengruppen oft stark vertreten und organisiert sind. Zweitens, qualitätsgesicherte Informationen bereitzustellen, die eine fundierte Basis in einer Zeit bieten, in der es leider nicht nur verlässliche Medien gibt. Die Long Covid-Plattform bringt daher verschiedene Stakeholder zusammen – Patientinnen und Patienten, Fachleute aus der Rehabilitation, Forschungsexperten und nicht zuletzt auch politische Entscheidungsträgerinnen und -träger.

Der Bereich der gesellschaftlichen und politischen Vertretung scheint mir besonders wichtig. Leider habe ich das Gefühl, dass das Thema Long Covid in der Öffentlichkeit oft verdrängt wird.

Rischer: Da stimme ich Ihnen zu. Die Politik steht unter großem Druck, Antworten zu liefern, doch tatsächlich bleiben die Resultate oftmals hinter den Erwartungen zurück. Es gibt Aktionen und Initiativen wie Hotlines oder Runde Tische. Doch viele Betroffene fühlen sich nach wie vor nicht gesehen und haben das Gefühl, dass zu wenig geschieht. Wir im Projekt haben uns daher entschieden, unsere Plattform so zu gestalten, dass wir fundierte und nachvollziehbare Informationen bieten – mehr als nur Links zu Studien. Wir arbeiten evidenzbasiert, geben nachvollziehbare Zusammenfassungen von nationalen und internationalen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und möchten den Betroffenen auf diese Weise greifbare Hilfe geben. Das Echo der Betroffenen zeigt uns, dass dies dringend benötigt wird.

Wenn eine Selbsthilfeorganisation gut strukturiert ist, kann sie viel bewirken. Welche Rolle spielt die Long Covid-Plattform im Selbsthilfebereich?

Rischer: Genau das ist unser Ziel. Selbsthilfe ist insbesondere dann eine wirksame Kraft in der Gesellschaft, wenn sie gut organisiert ist. 2023 hat der Ad-hoc Unterausschuss Post-Covid und Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) eine Richtlinie zur Versorgung von Long-Covid-Betroffenen erarbeitet, an der die Patientenvertretung intensiv mitgewirkt hat. Eines unserer Anliegen war, die Patientengruppe, die von der Richtlinie erfasst wird, nicht zu eng zu fassen. Auch Betroffene mit einer Myalgischen Enzephalomyelitis/einem Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) sowie jene, die an Long Covid-ähnlichen Symptomen wie beispielsweise nach einer Covid-19-Impfung (PostVac) leiden, sollten eingeschlossen sein. Das ist ein wichtiges Ergebnis unserer Arbeit im Ausschuss. Selbsthilfeorganisationen wie unsere sorgen dafür, dass die Interessen der Betroffenen auch auf politischer Ebene vertreten werden.

Welche Botschaften haben Sie an die Ärzteschaft für den Umgang mit den Betroffenen?

Rischer: Unsere Botschaften an die Ärzteschaft sind klar strukturiert:

  1. Symptome ernstnehmen: Viele Betroffene fühlen sich mit ihren Beschwerden nicht ausreichend ernst genommen. Hier ist eine gute Diagnostik entscheidend, besonders bei schweren Symptomen wie Fatigue. Es wurden wissenschaftlich anerkannte Tests für Fatigue entwickelt, die in der Diagnostik jedoch oft nicht genutzt werden.
  2. Die richtigen Schritte ergreifen: Die Richtlinie betont die Rolle der Hausärztinnen und Hausärzte als primäre Anlaufstelle. Für viele Symptome – wie beispielsweise Atemprobleme – gibt es effektive Behandlungsansätze, die den Patientinnen und Patienten spürbare Verbesserung bringen.
  3. Dokumentation: Die Dokumentation des Verlaufs ist ebenfalls entscheidend. Es ist wichtig, dass Hausärztinnen und -ärzte den Verlauf festhalten, um die weitere Versorgung der Betroffenen zu koordinieren.
  4. Wissen verbreiten: Ein großes Problem ist, dass das Wissen rund um Long Covid noch immer nicht breit in der Ärzteschaft verankert ist. Hier sehen wir eine Kernaufgabe für die organisierte Ärzteschaft.

Es gibt engagierte Ärztinnen und Ärzte, aber die Ressourcen sind knapp. Wie kann die Arbeit der Ärzte in der Praxis unterstützt werden?

Rischer: Ein wichtiger Faktor ist sicherlich eine aufwandsgerechte Honorierung. Bis dato wird ein Anamnesegespräch von einer halben Stunde bei Long Covid nicht ausreichend vergütet. Nach Inkrafttreten der Richtlinie über eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung für Versicherte mit Verdacht auf Long-Covid und Erkrankungen, die eine ähnliche Ursache oder Krankheitsausprägung aufweisen (LongCOV-RL), im Mai diesen Jahres prüft aktuell der Bewertungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen, inwieweit der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) angepasst werden muss. Hierfür hat der Bewertungsausschuss maximal sechs Monate Zeit. Die geplanten Fortschritte bei der Abrechnung sollten den Ärztinnen und Ärzten anschließend Sicherheit geben, dass ihre Leistungen auch finanziell anerkannt werden. Wir hoffen, dass dies auch der Ärzteschaft den Impuls gibt, sich intensiver mit Long Covid auseinanderzusetzen.

Interview: Dr. med. Peter Zürner, Text: Maren Siepmann

www.long-covid-plattform.de

Die Long Covid-Vernetzungsstelle unterstützt Menschen mit Long Covid-Syndrom und diejenigen, die sich für eine Verbesserung der Long Covid-Behandlung einsetzen. Das Team recherchiert und veröffentlicht aktuelle, qualitätsgesicherte Informationen zum Stand der Forschung und zu Therapie- und Rehabilitationsmöglichkeiten beim Long Covid-Syndrom. Geboten wird ferner über die Internetplattform www.long-covid-plattform.de ein Info- und Austauschforum, das allen Interessierten die Möglichkeit zu Information, Diskussion und Vernetzung bietet. Betroffene können über diese Website beispielsweise Selbsthilfegruppen in ihrer Region oder deutschlandweit finden. Fragen zur Rehabilitation werden beantwortet und es gibt die Möglichkeit, nach spezialisierten Reha-Kliniken zu suchen. Auf der Website gibt es einen Long Covid-Treffpunkt, um andere Betroffene oder am Thema Interessierte persönlich kennenzulernen. Gefördert wird die Long Covid-Vernetzungsstelle durch die Deutsche Rentenversicherung Bund.  (red)

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