Auftakt von „Kiffen bis der Arzt kommt?“ im Landkreis Bergstraße

„Wie viel Cannabis ist für über 18-Jährige legal?“, „Wirkt sich der Konsum auf das Denkvermögen aus?“, „Greifen Kinder rauchender Eltern später ebenfalls zu Zigarette oder Joint?“: Während draußen der Regen gegen die Fenster peitscht, wird in der Aula der Alfred-Delp-Schule im südhessischen Lampertheim rege diskutiert. Immer wieder strecken Schülerinnen und Schüler der 7. Klassen bei der Auftaktveranstaltung des Präventionsprojekts „Kiffen bis der Arzt kommt?“ der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) im Landkreis Bergstraße ihre Finger in die Luft, um Fragen rund um das Thema Cannabis zu stellen.

Dr. med. Karl-Wilhelm Klingler, Kardiologe und als Experte für das Präventionsprojekt aktiv, nimmt sich nach einem Vortrag über Wirkungen und Risiken von Cannabis für jede Antwort Zeit. Er erklärt beispielsweise, dass das menschliche Gehirn erst im Erwachsenenalter vollständig entwickelt sei und der Wirkstoff THC bis zu diesem Zeitpunkt in die zerebrale Entwicklung eingreifen könne. Mit gefährlichen Folgen für die psychische Gesundheit. „Und, ja, wenn Vater oder Mutter rauchen, ist die Hemmschwelle niedriger, selbst zu Nikotin oder Cannabis zu greifen.“ Klingler rät dem jungen Publikum, Abstand zu Suchtmitteln zu halten: „Ihr braucht das Rauchen und das Kiffen wirklich nicht.“

Kritik an Teillegalisierung von Cannabis

Auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Veranstaltung betonten Lehrer, Politiker und Vertreter der Landesärztekammer die Notwendigkeit von Suchtprävention. So kritisierte die Erste Kreisbeigeordnete Angelika Beckenbach (CDU) die 2024 auf Bundesebene neu geschaffene Gesetzeslage. „Für mich persönlich ist es eine ungute Entscheidung, Cannabis teilweise zu legalisieren.“ Dadurch entstehe der falsche Eindruck, der Konsum von Cannabis sei „nicht so schlimm“. Mit ähnlichen Argumenten äußerte sich auch der Lampertheimer Bürgermeister Gottfried Störmer (parteilos) kritisch zur teilweisen Legalisierung.

Wie einige Schüler bemerkten, erzeuge der erleichterte Zugang zu Cannabis im Kreis von Gleichaltrigen Druck auf einzelne Jugendliche. Sie hätten sich daher ein klares Verbot der Droge gewünscht. Andere Schüler berichteten, dass schon unter den Siebtklässlern zahlreiche Mädchen und Jungen unterschiedliche Substanzen konsumierten.

Prävention durch Aufklärung

Ob Alkohol, Nikotin oder Cannabis: Da Altersbeschränkungen Jugendliche nicht automatisch vom Konsum abhalten, setzt auch der Kreis Bergstraße auf Prävention durch Aufklärung an Schulen. Neben dem Alkoholpräventionsprojekt „Hackedicht – Besser geht’s dir ohne!“ der LÄKH wird künftig „Kiffen bis der Arzt kommt?“ in dem südhessischen Kreis angeboten. Grundsätzlich sind die jeweils doppelstündigen Veranstaltungen beider hessenweiten Projekte für Klassen mit bis zu 30 Schülerinnen und Schüler konzipiert; die Landesärztekammer Hessen übernimmt pro Schule die Kosten für zwei Doppelstunden. Weitere Veranstaltungen werden in der Regel von den Fördervereinen der Schulen getragen. Um mehr Jugendliche erreichen zu können, informieren Ärztinnen und Ärzte im Landkreis Bergstraße auch größere Gruppen.

Im Juni dieses Jahres feierte das Cannabis-Präventionsprojekt seine Premiere an der Wöhlerschule in Frankfurt. Die Pressekonferenz unterstützten dabei auch der Hessische Kultusminister Armin Schwarz sowie Frankfurts Schuldezernent Dieter Clemens. Etliche Medien, sowohl Print- und Onlinezeitungen als auch TV-Sender, berichteten über den erfolgreichen Auftakt. Der Präsident der Landesärztekammer, Dr. med. Edgar Pinkowski, Minister Schwarz und der Suchtbeauftragte der LÄKH, Dr. med. Mathias Luderer, referierten bei der Pressekonferenz über die Risiken des Cannabiskonsums insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene und die entscheidende Rolle der Suchtprävention.

Das in ganz Hessen angebotene Cannabispräventionsprojekt orientiert sich an dem erfolgreichen Schwesterprojekt „Hackedicht“. Ärztinnen und Ärzten wird ein „Werkzeugkasten“ an Methoden und Materialien zur Verfügung gestellt, die sie der jeweiligen Lerngruppe individuell anpassen können. Dabei stehen den Referentinnen und Referenten eine Präsentation, verschiedene didaktische Methoden wie etwa Arbeitsblätter, ein Kurzfilm und ein Cannabis-Quiz zur Verfügung.

Hohe Nachfrage nach „Hackedicht – Besser geht’s dir ohne!“

Dass neben Cannabis nach wie vor Alkohol eine wichtige Rolle für das jugendliche Suchtverhalten spielt, zeigt unter anderem die unvermindert hohe Nachfrage hessischer Schulen nach Veranstaltungen des Alkoholpräventionsprojekts „Hackedicht – Besser geht’s dir ohne!“ der LÄKH. Auch die aktuellen Studiendaten der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Alkoholkonsum junger Menschen lassen aufhorchen.

Zwar stagniert der regelmäßige Alkoholkonsum 12- bis 25-Jähriger seit einigen Jahren auf ähnlichem Niveau. Doch das sogenannte Rauschtrinken hat nach einem vorübergehenden Rückgang während der Corona-Pandemie wieder deutlich zugenommen. Mit 17,1 Prozent bei den männlichen Jugendlichen und 13,1 Prozent bei den weiblichen Jugendlichen sowie 46,2 Prozent bei den jungen Männern und 32,0 Prozent bei den jungen Frauen im Jahr 2023 hat es inzwischen wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht.

Kein Wunder, dass das 2007 ins Leben gerufene Alkoholpräventionsprojekt der LÄKH gewissermaßen ein Dauerbrenner ist. Mit „Hackedicht – Besser geht’s dir ohne!“ werden Kinder und Jugendliche ab elf Jahren an hessischen Schulen direkt angesprochen. Ziel ist es, ohne erhobenen Zeigefinger über die Risiken des Alkoholkonsums aufzuklären, Hilfsangebote bekannt zu machen und die Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten in Suchtprävention und Suchthilfe darzustellen.

Finanzielle Unterstützung notwendig

Das Projekt, das die Stabsstelle Medien der Landesärztekammer ebenso wie das neue Projekt „Kiffen bis der Arzt kommt?“ in Abstimmung mit dem Suchtausschuss der LÄKH gestaltet hat, wird von der hessischen Landesregierung ideell unterstützt. Um beide Projekte in größerem Rahmen auch hessenweit anbieten zu können, bedarf es jedoch künftig auch finanzieller Förderung durch Politik und Gesellschaft.

Beratung und praktische Übungen mit Rauschbrillen

Die Ärztinnen und Ärzte werden von der Landesärztekammer auf Anfrage an die Schulen vermittelt und klären in Abstimmung mit den Fach- und Beratungslehrern im Unterricht, bei Projekttagen, auf Informationsveranstaltungen und auf Elternabenden über Alkohol und seine Folgen auf. Sie diskutieren mit den Schülern, beantworten ihre Fragen und weisen auf Hilfsangebote hin. Bis heute (Stand 1.12.2024) fanden über 140 Aktionen mit rund 10.800 Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Altersklassen an hessischen Schulen statt. Ärztinnen und Ärzte aus ganz Hessen wirken an dem Projekt mit. Die für zwei Schulstunden konzipierten Aktionen gliedern sich in Information, Diskussion und anschauliche Übungen. Mit dem Einsatz von Rauschbrillen wird in unterschiedlichen und an die Altersstufen angepassten Szenarien die eingeschränkte Sehfähigkeit unter Alkoholeinfluss demonstriert. Außerdem stellt die Landesärztekammer neben einem Informationsflyer und Fragebögen für Jugendliche, Materialien sowie einen Mustervortrag für die beteiligten Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung. In den jugendgerecht konzipierten und regelmäßig aktualisierten Vortrag fließen Erfahrungen und Anregungen der mitwirkenden Ärztinnen und Ärzte ein.

Vertrauensvolle Atmosphäre

„Wichtig ist, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, ihr Vertrauen zu gewinnen und im geschützten Rahmen auch mögliche Probleme anzusprechen“, erklärt die Ärztin Dr. med. Jeanette Weber, die von Anfang an bei „Hackedicht – Besser geht’s dir ohne!“ mitwirkt und inzwischen zusätzlich auch Aktionen für „Kiffen bis der Arzt kommt?“ durchführt. „Gleich zu Beginn weise ich auf die ärztliche Schweigepflicht hin. Nichts, was in dem Raum besprochen wird, soll nach außen dringen.“ Voraussetzung für diesen vertrauensvollen Rahmen ist in der Regel eine begrenzte Gruppengröße, wie zum Beispiel eine einzelne Klasse.

Über Risiken informieren

Dass übermäßiger Alkoholkonsum zu körperlichen und psychischen Erkrankungen und sogar bis zum Tod führen kann, ist vielen Jugendlichen nicht bewusst. Dies gilt auch für mögliche Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Lebererkrankungen, Schädigungen des Gehirns, Depressionen oder Krebs. Aber auch die Gefahren von Alkohol im Straßenverkehr werden thematisiert. Zu diesem Thema hat etwa Prof. Dr. med. Dirk Rüsch, der ebenfalls seit Jahren regelmäßig Aktionen im Rahmen des Präventionsprojekts durchführt, die Präsentation durch anschauliches Bildmaterial ergänzt. Informationen über die Risiken und gesundheitlichen Gefahren sind Bestandteil der Aktionen.

„Ich merke, dass die Schülerinnen und Schüler viele Fragen haben und neugierig sind, das Thema mal aus der ärztlichen Perspektive zu sehen. Es kann aus meiner Sicht ein wichtiger Baustein der Prävention sein, wenn es als Teil eines Gesamtkonzepts von Kita, Grundschule bis weiterführende Schule eingebettet ist“, sagt Dr. med. Birgit Wollenberg, wie Weber und Rüsch seit Jahren bei dem Projekt dabei. Darauf, dass Jugendliche das erste Mal Alkohol im Beisein von Erwachsenen trinken, weist Dr. med. Claudia Raab, seit 2015 bei dem Projekt dabei, hin: „Die Erfahrungen, die ich bisher mit den Schülerinnen und Schüler machen durfte, zeigen mir, wie wichtig es wäre, auch die Eltern mit in das Boot zu nehmen“.

Über die Aufklärung hinaus machen die mitwirkenden Ärztinnen und Ärzte auf Hilfsangebote, zum Beispiel von Drogen- und Suchtberatungsstellen, sowie auf die Hausärztin oder den Hausarzt als Ansprechpartner aufmerksam.

Evaluierung der Projekte

Wie die Evaluierung der „Hackedicht“-Aktionen zeigt, stoßen die Veranstaltungen bei Schülerinnen und Schülern durchweg auf positive Resonanz. Das bestätigen auch teilnehmende Lehrerinnen und Lehrer: Man habe den Eindruck, dass die Aufklärungsaktion in den Klassen einen nachhaltigen Eindruck hinterlasse. Auch das Cannabis-Präventionsprojekt „Kiffen bis der Arzt kommt?“ wird evaluiert.

Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten erbeten

„Wichtig ist, mit den Präventionsbemühungen nicht nachzulassen und Kinder und Jugendliche weiterhin über die Risiken des Alkohol- und des Cannabiskonsums aufzuklären – und zwar hessenweit“, betont der hessische Ärztekammerpräsident Dr. med. Edgar Pinkowski. „Wir würden uns daher sehr freuen, wenn noch mehr Kolleginnen und Kollegen an unseren beiden Projekten mitwirken. Wir bieten eine gründliche Einführung und unterstützen Ihr Engagement.“

„Suchtprävention durch Aufklärung, Beratung und die Vernetzung aller Beteiligten ist das langfristige Ziel beider Präventionsprojekte der Landesärztekammer Hessen“, betont Ärztekammerpräsident Pinkowski. „Um Jugendliche vor den Gefahren von Suchtmitteln wie Alkohol und Cannabis zu schützen, ist die Zusammenarbeit von Ärzten, Lehrern, Eltern und Suchtberatungsstellen unerlässlich.“

Katja Möhrle, Lukas Reus

Weitere Ärztinnen und Ärzte für die Präventionsprojekte gesucht

Für die Präventionsprojekte „Hackedicht – Besser geht’s dir ohne!“ sowie „Cannabis – Kiffen bis der Arzt kommt?“ sucht die Stabsstelle Medien auch weiterhin noch interessierte Ärztinnen und Ärzte, die sich aktiv für den Gesundheits- und Jugendschutz in Hessen engagieren wollen. Für die Präventionsarbeit ist für Ärztinnen und Ärzte kein spezielles Vorwissen nötig, die Bereitschaft und der Wille, sich in das Thema einzuarbeiten sowie sich mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersstufen auseinanderzusetzen, ist vonnöten. Besonderen Bedarf an Ärztinnen und Ärzten hat das Projekt „Cannabis“ im Raum Gelnhausen, NeuAnspach und Friedberg, aber auch alle anderen Interessenten können sich per E-Mail an beate.voelker@laekh.de oder Fon: 069 97672 340 wenden.