Bei einer Presseveranstaltung der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) beleuchteten Expertinnen und Experten aus der Kinder- und Jugendmedizin sowie angrenzenden Disziplinen die Bedeutung einer gelungenen Kommunikation in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Intensiv wurde über die Herausforderungen sowie praxisnahe Lösungsansätze diskutiert. Anlass war der Fall einer Kinderarztpraxis in Kirchheim unter Teck, die ein Hinweisschild aufgehängt hatte, das eine Behandlung von ausreichenden Deutschkenntnissen oder der Anwesenheit eines Dolmetschers abhängig machte. Diese Maßnahme sorgte für mediale Aufmerksamkeit und führte zu einer breiten öffentlichen Diskussion. Die teilnehmenden Experten sehen darin jedoch weniger einen Einzelfall als vielmehr ein systematisches Problem. Moderiert wurde der Runde Tisch von Katja Möhrle, Leiterin der Stabsstelle Medien, und Maren Siepmann, Referentin und Stv. Leiterin der Stabsstelle Medien.
Professionelle Dolmetscher nötig
„Es handelt sich hier um ein strukturelles Problem, das alle Beteiligten betrifft: Ärztinnen und Ärzte, Patienten und Eltern,“ erklärte Dr. med. Peter Zürner, Präsidiumsmitglied der LÄKH, in seiner Einleitung. „Die Kommunikation darf nicht von improvisierten Übersetzungsversuchen durch Angehörige oder Hilfspersonal abhängen.“ Er plädierte für den Einsatz professioneller Dolmetscher, deren Dienste von den Krankenkassen finanziert werden sollten. Gerade in der interkulturellen Kommunikation gehe es oft um Details, die kulturell unterschiedlich interpretiert werden könnten und somit leicht missverstanden würden.
In der Kinder- und Jugendmedizin sei die Situation besonders komplex, wie die Diskussionsteilnehmenden schilderten. Dr. med. Soraya Seyyedi, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin aus Wiesbaden und Sprecherin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Hessen, berichtete von einer Praxisrealität, in der Sprachbarrieren immer mehr zum Alltag gehören: „Ich habe viele Patienten, mit denen ich mich kaum verständigen kann. Oft bleibt nur die Hoffnung, dass irgendjemand dabei ist, der ein wenig Deutsch spricht.“ Häufig kämen Angehörige, Kinder oder digitale Übersetzungsprogramme zum Einsatz. „Doch das ist alles unzureichend. Angehörige übersetzen nicht immer alles oder lassen heikle Themen aus. Kinder haben weder das notwendige Verständnis für medizinische Fachbegriffe noch die Reife, solche Gespräche zu führen und digitale Übersetzer sind in der Hektik des Praxisalltags weder schnell noch zuverlässig.“
Grundlagen der Kommunikation in der Medizin
Dass Kommunikation in der Medizin weit mehr als ein Hilfsmittel ist, machte Dr. med. Barbara Jaeger, Präsidiumsmitglied der LÄKH und niedergelassene Fachärztin für Psychosomatische Medizin aus Offenbach, deutlich: „Alles wird im Gespräch vermittelt. Bis zu 90 % der Diagnosesicherheit erreiche ich über die Anamnese, wenn ich die richtigen Fragen stelle und die Antworten verstehe.“ Aber Kommunikation sei nicht nur für die Diagnostik zentral. „Ich brauche eine rechtssichere Aufklärung, um mich abzusichern, und ich brauche Vertrauen, damit ein Behandlungsbündnis entsteht. Ohne ein solches Bündnis ist keine langfristige Therapie möglich – und das wirkt sich auf den Behandlungserfolg aus.“
Gerade in der Kinder- und Jugendmedizin sei die Kommunikation oft noch vielschichtiger. „Wir sprechen nicht nur mit einem Patienten, sondern in der Regel sind mindestens drei Personen anwesend: Kind, Eltern und eventuell weitere Familienangehörige,“ erklärte Barbara Mühlfeld, die als Menschenrechtsbeauftragte der LÄKH tätig ist und über viele Jahre in einer Kinderarztpraxis in Bad Homburg niedergelassen war. Hinzu komme, dass Kinder je nach Alter andere Kommunikationsbedürfnisse hätten: „Kleinkinder reagieren stark auf nonverbale Signale, ältere Kinder wollen als eigenständige Persönlichkeiten ernst genommen werden, und Eltern müssen gleichzeitig informiert und beruhigt werden.“ Auch Mühlfeld unterstrich, dass eine unzureichende Kommunikation nicht nur medizinische Risiken berge, sondern auch rechtlich problematisch sei: „Wenn ich nicht sicher bin, ob die Familie meine Aufklärung verstanden hat, ist meine Behandlung juristisch fragwürdig. Eine fehlende oder fehlerhafte Aufklärung kann für mich haftungsrechtliche Konsequenzen haben. Das ist keine Kleinigkeit.“
Die Teilnehmenden waren sich einig, dass professionelle Dolmetscher ein wesentlicher Teil der Lösung sein könnten. Doch die Realität sehe anders aus. „Die Idealvorstellung ist ein Dolmetscher, der sprachlich und kulturell geschult ist und die Familie durch den gesamten Prozess begleitet. Aber das passiert praktisch nie,“ so Seyyedi. Stattdessen sei Improvisation die Regel: „Oft müssen wir selbst mit Händen und Füßen kommunizieren.“ Dolmetscherinnen und Dolmetscher müssten zudem über sprachliche Fähigkeiten hinaus auch kulturelle und medizinische Grundkenntnisse haben. „Es reicht nicht, nur Wörter zu übersetzen. Viele Familien haben andere Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit. Dolmetscher müssen verstehen, wo die Familie steht, um sensibel vermitteln zu können.“
Strategien für eine vertrauensvolle Atmosphäre
„Eine gute Kommunikation beginnt bereits außerhalb des Sprechzimmers und fängt bei der Anmeldung an“, ergänzte Dr. med. Christof Stork, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin aus Wiesbaden und Delegierter der LÄKH. Geschultes Personal sei essenziell, um bereits frühzeitig Anliegen zu erfassen und den notwendigen Zeitbedarf für Gespräche abzuschätzen. Ebenso wichtig sei die Vernetzung der Praxis mit lokalen Initiativen und Dolmetscherdiensten, um Sprachbarrieren zu überwinden. Hier sieht Stork auch eine Aufgabe für Institutionen wie die Landesärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung, durch zentrale Informationsangebote den Ärztinnen und Ärzten Orientierung zu bieten.
Neben den sprachlichen Herausforderungen betonte Stork, dass soziale Unterschiede ebenfalls häufig Kommunikationsprobleme verursachen. Er sieht die ärztliche Arbeit auch als politische Aufgabe: „Wir müssen uns bewusst sein, dass Kommunikationsschwierigkeiten nicht nur sprachliche, sondern auch soziale Ursachen haben.“ In solchen Situationen sei es entscheidend, nicht nur die medizinischen, sondern auch die sozialen und kulturellen Hintergründe der Familien zu verstehen. Stork plädierte für eine ganzheitliche Herangehensweise und sieht in der besseren Verknüpfung von medizinischen und sozialen Unterstützungsstrukturen einen Schlüssel zur Verbesserung der Situation.
Zwar war im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ursprünglich vorgesehen, Sprachmittlungsdienste in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen. Doch angesichts der aktuellen politischen Lage müsse man davon ausgehen, dass dies nun nicht mehr umgesetzt werde, so Seyyedi: „Das wäre ein Rückschritt. Professionelle Dolmetscher würden nicht nur die Arbeit der Ärzte erleichtern, sondern auch langfristig Kosten senken, indem sie Fehldiagnosen und Behandlungsfehler vermeiden.“
Fazit
Die Diskussion zeigte eindrücklich, wie zentral die Kommunikation in der Kinder- und Jugendmedizin ist – und wie sehr Sprachbarrieren die Qualität der Versorgung gefährden. „Medizin ist ohne Beziehung nicht möglich,“ fasste Jaeger zusammen. „Und Beziehung entsteht nur durch gelungene Kommunikation.“ Die Forderung der Experten ist klar: Es braucht mehr Ressourcen, bessere Vernetzung und verbindliche politische Regelungen, um allen Kindern – unabhängig von ihrer (sozialen) Herkunft – eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu garantieren.
Maren Siepmann
Ausreichende Finanzierung von Sprachmittlung in der Patientenversorgung gefordert
Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen verabschiedet Resolution
Gelungene Kommunikation ist die Grundlage wirksamer medizinischer Behandlung und ärztlicher Tätigkeit. Dagegen verstärken mangelnde Kommunikation und Sprachbarrieren soziale Schieflagen und bewirken gesundheitliche Schädigung sowie Ausgrenzung der davon betroffenen Menschen. Mit großer Mehrheit hat die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen am 23. November 2024 daher die Politik in Land und Bund aufgefordert, eine ausreichende Finanzierung von Sprachmittlung – Übertragung von einer Sprache in die andere – bei medizinischen Behandlungen gesetzlich zu verankern und den Zugang niederschwellig zu ermöglichen.
Das Problem der Sprachbarriere könne am einfachsten durch eine ausreichende Zahl qualifizierter und geeigneter Sprachmittler beseitigt bzw. minimiert werden, die für alle patientenversorgenden Berufsgruppen im Gesundheitswesen abrufbar sein müsse, erklärten die Delegierten. Gerade in der Betreuung chronisch Erkrankter oder von Menschen, die von umfangreichen operativen Eingriffen betroffen sind, könnten durch qualifizierte Sprachmittlung viele Schäden und damit verbundene Kosten abgewendet werden. (red)