Die Opioidsubstitutionstherapie ist der Goldstandard für eine der schwersten psychiatrischen Erkrankungen: die Opioidabhängigkeit. Die Behandlung mit Methadon, Buprenorphin oder Morphin ist nicht nur geeignet, Suchterkrankte in einen regelmäßigen ärztlichen und therapeutischen Kontakt zu bringen, sie senkt auch das Risiko für Überdosierungen und Infektionen und kann Beschaffungskriminalität überflüssig machen. Aktuell erreicht diese Therapieform aber nur einen geringen Teil der Betroffenen.

Was die flächendeckende Versorgung außerdem gefährdet, ist, dass deutlich weniger junge ÄrztInnen eine Arbeit in der Substitution beginnen, als KollegInnen altersbedingt ausscheiden. In den vergangenen zehn Jahren sank die Anzahl der substituierenden Ärztinnen kontinuierlich. 2023 boten noch gut 2400 Behandler deutschlandweit eine Opioidsubstitution an – bei zuletzt gleichbleibenden Zahlen an SubstitutionspatientInnen.

In den kommenden Jahren werden viele der substituierenden ÄrztInnen in den Ruhestand gehen und ihre klinische Arbeit niederlegen. Notwendig für den Erhalt der suffizienten Versorgung wäre also, dass sich mehr junge ÄrztInnen für eine Arbeit in der Opioidsubstitution entscheiden, als sie es aktuell tun.

Das Desinteresse an der Substitutionstherapie liegt nicht zwangsläufig am Fachbereich an sich. Medizinstudierende kommen in der Ausbildung kaum mit suchtmedizinischen Themen in Kontakt und können daher kein Interesse an dem durchaus facettenreichen Fachbereich entwickeln. Die Suchtmedizin ist innerhalb der Medizin stigmatisiert, PatientInnen gelten als schwierig und die Behandlungen als frustran (Magnan et al., 2024). Hartnäckig halten sich Gerüchte, man stehe durch die Substitutionsbehandlung „immer mit einem Bein im Gefängnis“ oder die Behandlung werde so gut wie nicht vergütet. Zudem hat die gute suchtmedizinische Arbeit der vergangene Jahrzehnte dafür gesorgt, dass vielerorts früher unbehandelte Opioidabhängigkeiten und das hiermit verbundene Leid nicht mehr öffentlich sichtbar sind. Wie notwendig flächendeckende Substitutionsangebote sind, ist damit auch gesamtgesellschaftlich aus dem Fokus geraten.

Um dem sich abzeichnenden Versorgungsengpässen etwas entgegenzusetzen, hat sich 2019 die Initiative „Junge Suchtmedizin“ gegründet. Seitdem ist eine interdisziplinäre Gruppe aus aktuell gut 30 Studierenden, ÄrztInnen, PsychologInnen und Sozialarbeitenden entstanden.

Gebildet wurde die „Junge Suchtmedizin“ als Untergruppe der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS, www.dgsuchtmedizin.de), von der sie unterstützt wird. Alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich und industrieunabhängig. Die Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, Stigmata abzubauen, Wissen zu vermitteln und Studierende von der Substitution zu begeistern .

Folgende Projekte werden Medizinstudierenden zu diesen Zwecken derzeit kostenlos angeboten :

  • „Spotlight Sucht“: Das Alleinstellungsmerkmal dieser Seminare-Reihe, die digital stattfindet, ist, dass jeweils neben einem fachlichen Experten immer auch ein Betroffener mit eigenen Konsum- und Therapie-Erfahrungen referiert. So können unter den Studierenden Vorbehalte abgebaut und neue Sichtweisen eingenommen werden. Eingeladen sind neben Studierenden aller Fächer auch interessierte Ärzte und Ärztinnen. Das Format kann als Vorbereitung für eine Rotation in die Suchtmedizin dienen oder helfen, im klinischen Alltag die eigenen Patienten und Patientinnen besser zu verstehen.
  • Eine jährliche Summer School, um suchtmedizinisches Wissen zu vermitteln und Vorurteile abzubauen. Die Summer School findet an drei aufeinanderfolgenden Tagen statt. Für 20 Studierende wird ein Programm erstellt, das neben Vorträgen und Workshops auch Exkursionen ins Suchthilfesystem beinhaltet (z.B. Substitutionsambulanzen, Apotheken mit Substitutionsausgabe, Beratungsstellen, Suchtstation im Stuttgarter Klinikum). Über die gesamte Veranstaltung ist eine Betroffene mit anwesend. Für die Studierenden ist es oft die erste Gelegenheit, mit einer substituierten Person privat in Kontakt zu kommen. Dieses Vorgehen ist nachgewiesenermaßen wirksam im Abbau von Stigmatisierungen (Bielenberg et al., 2021).
  • Auf der Website www.jungesuchtmedizin.de besteht ein Verzeichnis suchtmedizinischer Praxen. Hierfür wurden deutschlandweit suchtmedizinische Praxen befragt, ob sie Famulaturen und PJ-Plätze anbieten. So können interessierte Studierende Praxen in ihrer Nähe finden, kontaktieren und in einer Famulatur selbst „hands on“-Erfahrungen in der Substitution sammeln. Die Wahrscheinlichkeit, sich später selbst für die Arbeit in der Suchtmedizin zu entscheiden, erhöht sich damit wahrscheinlich.
  • Workshops auf Kongressen wie dem Kongress der DG Suchtmedizin (Leipzig) dem Interdisziplinären Suchtkongress (München) und dem Kongress der DGPPN (Berlin) sowie die Vernetzung mit KVen, Landesärztekammern, Betroffenen-Verbänden wir „JES e.V.“ oder „Stigma e.V.“
  • Ob das beschriebene Vorgehen das Ziel erreicht, mehr junge ÄrztInnen von der Arbeit in der Substitution zu überzeugen, bleibt abzuwarten, da sich die studentische Zielgruppe noch im Studium befindet. Wer die Initiative unterstützen möchte oder Fragen hat, kann sich an die Autorin oder direkt an die Initiative wenden: info@jungesuchtmedizin.de.

Dr. med. Deborah Scholz-Hehn, Stellv. Drogen- und Suchtbeauftragte der Landesärztekammer Hessen

Die Quellen finden Sie hier.

Hilfe bei Suchtproblemen für Berufsangehörige – individuell, unbürokratisch, vertraulich

Wenn Sie als Ärztin/Arzt oder ihre Mitarbeitenden von einer Suchterkrankung betroffen sind, können Sie sich – auf Wunsch auch anonym – an die beiden Drogen- und Suchtbeauftragten der Landesärztekammer Hessen wenden. Alle Angaben werden vertraulich behandelt und unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Ein persönliches Gespräch kann mittwochs und donnerstags telefonisch über Miriam Mißler (Sekretariat) vereinbart werden, Fon: 069 97672-149, außerhalb dieser Zeiten per E-Mail an: suchtbeauftragter@laekh.de

Informationen auf der Web­site der LÄKH finden Sie auf der Seite Drogen- und Suchtbeauftragte.

Im HÄBL 05/2020 wird auf S. 301 die Arbeit der Drogen- und Suchtbeauftragten unserer Kammer mit Fallbeispielen vorgestellt. Den Artikel finden Sie im HÄBL-Archiv auf der Website der LÄKH.

Dr. med. Mathias Luderer, Drogen- und Suchtbeauftragter der Landesärztekammer Hessen

Dr. med. Deborah Scholz-Hehn, Stellv. Drogen- und Suchtbeauftragte der Landesärztekammer Hessen