Als neue Menschenrechts-, Rassismus- und Diskriminierungsbeauftragte der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) folgt die Kinder- und Jugendärztin Barbara Mühlfeld dem Kardiologen Dr. med. Ernst Girth ins Ehrenamt, der vor 26 Jahren zum ersten Menschenrechtsbeauftragten der LÄKH ernannt wurde – damals noch gegen viele Widerstände. Es war zugleich die erste Einrichtung dieser Art in einer Ärztekammer bundesweit. 2020 wurde Girth auf Vorschlag des Präsidiums zusätzlich zum Rassismusbeauftragten der LÄKH berufen.

Nachdem Sie seit April 2024 die Stellvertreterin von Dr. Girth waren, haben Sie den Staffelstab am 1. November übernommen. Welche Erfahrungen haben Sie bereits in diesem Bereich gesammelt?

Barbara Mühlfeld: Es sind wesentliche Themen, die uns in der Liste demokratischer Ärztinnen und Ärzte (LDÄÄ) regelmäßig beschäftigen und mir keineswegs fremd sind. Im Gegenteil: Schon während meines politischen Engagements als Studentin an der Uni Aachen habe ich mich mit Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung und Rassismus auseinandergesetzt. Und nicht zuletzt auch aufgrund biografischer Erfahrungen.

Als Neunjährige bin ich für zwei Jahre mit meiner Familie nach Westafrika gezogen. Dort musste ich mich in einer staatlichen, französischsprachigen Schule in einer noch sehr rassifizierten Gesellschaft zurechtfinden und habe vieles nicht verstanden. Die Codes zwischen afrikanischen und französischen Schülern etwa. Oder dass die katholische Kirche einerseits behauptete, alle Menschen seien vor Gott gleich, und dass andererseits Unterschiede zwischen Menschen gemacht wurden, wenn es um Kontakte und Verabredungen ging. Sehr schwierige Erfahrungen, die mich als Kind sehr verwirrt und später dazu angespornt haben, mich mit Rassismus zu beschäftigen.

Wann und wie haben Sie begonnen, sich zu engagieren?

Mühlfeld: Nach dem Abitur und vor meinem Studium habe ich für ein Projekt der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in der Sahelzone als Sekretärin gearbeitet und überlegt, ob ich mich später als Ärztin in Afrika engagieren sollte. Damals wurde mir die hochgradige Ambivalenz der sogenannten „Entwicklungshilfe“ deutlich, dieser Weg war keine Option für mich. Dennoch bin ich der Thematik und dem Kontinent verbunden geblieben.

Neben der politischen Relevanz bringe ich also auch meinen ganz persönlichen Bezug in die Nachfolge von Dr. Girth ein.

Menschenrechts-, Rassismus- und Diskriminierungsbeauftragte: Wie sind diese drei Begriffe miteinander verbunden?

Mühlfeld: Eigentlich würde Menschenrechtsbeauftragte reichen, denn Diskriminierung und Rassismus sind Verstöße gegen die Menschenrechte. Der Begriff Rassismus jedoch – in Deutschland jahrzehntelang verpönt und gemieden – ist in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus der internationalen gesellschaftlichen Diskussion gerückt, schließlich auch hier in Deutschland. Die Black Lives Matter-Bewegung nach dem Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd hat dabei eine Rolle gespielt.

Unsere Erfahrung zeigt zudem, dass die Betroffenen, für die ich da bin – also Patientinnen und Patienten, aber auch Gesundheitsfachkräfte, Ärztinnen und Ärzte – offenbar mit den Begriffen Diskriminierung und Rassismus mehr anfangen können. Zumindest hat sich die Fallzahl der Meldungen seit der ergänzenden Einführung dieser beiden Begriffe deutlich erhöht.

Wer ist hauptsächlich von Rassismus und Diskriminierung im Gesundheitswesen betroffen? Und was lösen die Erfahrungen in den Betroffenen aus?

Mühlfeld: Es sind nicht nur Patientinnen und Patienten betroffen, sondern vor allem auch die Gesundheitsfachkräfte, Medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte, Studierende und auch Ärztinnen und Ärzte. Betroffene beschreiben oft eine Art innere Versteinerung, Beschämung, Wortlosigkeit, die sie sehr verletzt und die sie, wenn irgend möglich, zukünftig vermeiden wollen. Auch Trauer darüber, nicht dazuzugehören und Wut über das Ausgesondert Werden sind häufige Reaktionen. Daher kommt es darauf an, Maßnahmen zu ergreifen und Regeln aufzustellen, um diese Menschen zu unterstützen und nicht aus Gedankenlosigkeit die Gefahr von Verletzungen zu erhöhen.

Warum ist die Ombudsstelle der Landesärztekammer aus Ihrer Sicht so wichtig?

Mühlfeld: Rassismus ist Bestandteil unserer Gesellschaft. Im medizinischen Kontext ist der Schaden, den er anrichtet, aufgrund der Verletzlichkeit der Betroffenen besonders hoch. Sich für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen, ist die ureigenste Zuständigkeit der Landesärztekammern. So heißt es in Satz 4 des Genfer Gelöbnisses der Ärzteschaft, das in die (Muster-)Berufsordnung übernommen und damit auch der Präambel der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen vorangestellt worden ist:

Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.

Bei Verstößen dagegen muss es die Möglichkeit geben, sich bei der Ärztekammer zu beschweren. Anlaufstelle ist der oder die Menschenrechts-, Rassismus- und Diskriminierungsbeauftragte.

Können Sie bitte beispielhaft einen Fall benennen, in denen die Ombudsstelle in jüngster Zeit aktiv wurde.

Mühlfeld: Der folgende Fall macht deutlich, wie hoch die Hürden noch immer sind: Durch Fehleinschätzung einer unerfahrenen Ärztin wurde ein vier Monate alter Säugling aus Ghana zu spät als Notfall diagnostiziert. Grund war die geringe Erfahrung der Kollegin mit schwarzer Haut (wie merkt man, dass ein Patient blass wird oder sich die Haut verfärbt?). Aber auch, dass der lautstark und massiv auf eine Notfallbehandlung drängenden Mutter unterstellt wurde, sie übertreibe. Auf den letzten Drücker wurde das Kind operiert, sein Zustand verschlechterte sich erneut und es wurde eine zweite OP erforderlich. Das Kind wäre fast gestorben, denn auch im Krankenhaus fand die Mutter zunächst kein Gehör mit ihrer lebhaft vorgebrachten Besorgnis. Sie hat nach einem Jahr, in dem sie sich vom Erlebten erholen musste, einen sechsseitigen Bericht verfasst, um aufzuzeigen, was aus dem Geschehen für künftige Fälle gelernt werden kann.

Für diese Aufzeichnung erhielt sie die Hilfe einer Beraterin. Dieser Fall übersteigt die Möglichkeiten einer ehrenamtlichen Ombudsstelle. Aber die bei der Beschwerdestelle vorgesehenen Online-Formulare sind für die Mutter, für die das Verfassen des Berichts bereits eine Riesenanstrengung war, eine erneute, hohe Hürde.

Wo möchten Sie als Menschenrechts-, Rassismus- und Diskriminierungsbeauftragte Ihre Akzente setzen?

Mühlfeld: Meine zentralen Anliegen sind, Schwellen zu erniedrigen, für eine höhere Sensibilität und für mehr Wissen zu sorgen. Daraus müssen dann Konsequenzen folgen.

Ich habe begonnen, mich mit Betroffenenorganisationen zu vernetzen. Die Kluft zwischen dem, was diese Organisationen erfahren und dem, was uns bekannt wird, ist erschreckend hoch.

Wichtig ist, dass vom Diskriminierungs- bzw. „Rassismus“-vorwurf betroffene Ärztinnen und Ärzte ein Feedback erhalten und ihre Prozesse überdenken. Wir brauchen diskriminierungssensible Organisationsstrukturen im Gesundheitswesen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass der Rassismusvorwurf auch eine Waffe in einer Auseinandersetzung sein kann, in der ein Patient sich über einen Arzt oder Ärztin ärgert, weil er meint, ihm würden ihm zustehende Leistungen verweigert.

Warum ist eine höhere Sensibilität für Diskriminierung und Rassismus im Gesundheitswesen nötig?

Mühlfeld: Diskriminierungserfahrungen sind sehr tiefgreifend und belasten enorm. Sie können zu Burnout und sogar zur Aufgabe des Berufs führen, häufig von Menschen, die wir besonders in unserem Gesundheitssystem brauchen.

Deutlich wird das zum Beispiel am Fall eines albanischen Pflegers, der von einem Krankenhaus angeworben wurde und auf seiner Station wegen seines besonders sensiblen Umgangs mit Patienten und seiner Fähigkeit, Konflikte zu entschärfen, positiv aufgefallen war. Er wurde deswegen vom Chefarzt der Abteilung für die Weiterbildung zum Konfliktbeauftragten vorgeschlagen. Dennoch habe er so häufig diskriminierende Äußerungen sowohl von Patienten als auch von Teammitgliedern erlebt, dass er sich nach eigenen Angaben mehrmals in der Woche kurz auf die Toilette zum Weinen habe zurückziehen müssen.

Was ihn allerdings zutiefst verletzt habe, sei die Reaktion seines unmittelbaren Vorgesetzten auf seinen höheren Gehaltswunsch gewesen: „Wir haben dich aus deinem albanischen Loch geholt und jetzt willst du auf einmal mehr Geld“: Diese Worte seines Stationsleiters, mit dem er eigentlich sogar locker befreundet gewesen sei, hätten sich wie ein Nackenschlag angefühlt, der ihn vorübergehend habe erstarren lassen.

Tatsächlich beruht ein großer Teil diskriminierenden und „rassistischen“ Verhaltens auf Gedankenlosigkeit. Jemand kann sich rassistisch verhalten, ohne Rassist zu sein. Da der Vorwurf „Du bist ein Rassist“ auf sehr starke Abwehr stößt, geht es nicht darum, Vorwürfe zu machen, sondern darum, die Gedankenlosigkeit aufzubrechen und Menschen zu sensibilisieren. Ihnen muss der Spiegel vorgehalten und klar gemacht werden, dass sie sich unprofessionell verhalten. Ganz entscheidend ist die Haltung der Chefin/des Chefs einer Klinik oder einer Praxis, damit rassistisches und diskriminierendes Verhalten dort gar nicht erst aufkommen kann.

Wie wollen Sie die Menschen erreichen und für mehr Wissen sorgen?

Mühlfeld: Es gibt einen großen Fortbildungsbedarf. Fachlich bezieht sich dieser auf körperliche Merkmale, wie beispielsweise unterschiedliche Hautfarben. Woran erkennt man etwa bei schwarzen Säuglingen eine Neugeborenengelbsucht oder blaue Lippen?

Mein Wunsch ist, dass unsere Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung auf diesem Gebiet Fortbildungen anbietet.

Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Akademie, möglicherweise in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, Fortbildungen zum Thema Rassismus und Diskriminierung anbietet. Denkbar wären für mich in diesem Rahmen mobile Fortbildungen für Praxisteams. Solche Angebote möchte ich anstoßen.

„Chancen und Herausforderungen durch gesellschaftliche Vielfalt in der Medizin“ lautet der Titel eines Fortbildungssymposiums am 26. März 2025 in der Landesärztekammer in Frankfurt, Hanauer Landstraße 152. Das von mir moderierte Symposium findet anlässlich der Verabschiedung von Herrn Dr. Girth im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus “ als Beitrag der LÄKH zu diesen UN-Aktionswochen statt.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Mühlfeld: Wie der Fall des Säuglings aus Ghana zeigt, ist wohl mehr notwendig als eine Ombudsstelle, denn unsere Möglichkeiten sind begrenzt. „Rassismus“ ist ein ärztlicher Kunstfehler! Mir ist bewusst, dass eine solche ehrenamtliche Stelle eine Alibifunktion haben kann. Und genau das will ich nicht. Ich denke, dass es sich um ein Querschnittsthema für nahezu alle Bereiche der Landesärztekammer handelt und daher perspektivisch hauptamtlich, z. B. mit einer Stabstelle, angegangen werden sollte. Mein Amt würde damit überflüssig – noch besser wäre natürlich, wenn es auch inhaltlich überflüssig würde, weil es keinen Grund mehr für eine solche Stelle gibt! Leider sieht es danach nicht aus.

Interview: Katja Möhrle

Beitrag der LÄKH zu den „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ der UN

Im Rahmen eines Symposiums am 26. März 2025 in der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) in Frankfurt, Hanauer Landstraße 152, soll Dr. med. Ernst Girth aus dem Ehrenamt des Menschenrechts-, Rassismus- und Diskriminierungsbeauftragten der LÄKH verabschiedet werden. Seine Nachfolgerin Barbara Mühlfeld hat ein praxisorientiertes Programm zusammengestellt, welches das komplexe Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Weitere Infos und Anmeldung über den elektronischen Veranstaltungskalender der Akademie.