Dr. med. Tobias Weirauch
Begibt man sich heute, rund 115 Jahre nach Robert Kochs Tod, auf die Suche nach den beschwerlichen Anfängen, die der modernen Infektionsforschung den Weg ebneten, stößt man in den Geschichtsbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts auf große Namen wie Antoni van Leeuwenhoek, Lazzaro Spallanzani oder Edward Jenner. Bereits diese, der fachfremden Gesellschaft womöglich eher unbekannten Charaktere, trugen mit ihren Arbeiten auf unterschiedlichste Weise zum Gelingen späterer Errungenschaften bei. Endgültig in Fahrt kam der Forschungszweig jedoch spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich unter einem breiten öffentlichen Interesse bahnbrechende Ereignisse überschlugen und wegweisende Gesetzmäßigkeiten formuliert werden konnten. Die Geschichten dieser Koryphäen inspirieren Forschende aus aller Welt bis heute.
Was wären moderne Labore beispielsweise ohne ihre Mikroskope? In den unterschiedlichsten Forschungsbereichen der Medizin sind sie heute nicht mehr wegzudenken. Als Begründer der Mikroskopie sehen viele Historiker den niederländischen Tuchhändler Antoni van Leeuwenhoek, der in Delft die Vielfalt des Lebens einer zuvor verborgenen Welt entdeckte. Dabei gilt er als der erste Mensch, der Blutzellen und Mikroorganismen auf mikroskopischer Ebene bewundern konnte. Schon vor der Lebzeit des Niederländers existierten primitive Mikroskope, deren geringe Auflösung sich allerdings maßgeblich von van Leeuwenhoeks Instrumenten unterschied. Van Leeuwenhoek schliff seine Linsen derart präzise, dass ihm die mikroskopische Welt in 260– bis 280-facher Vergrößerung eröffnet wurde. Wie er die selbst konstruierten Mikroskope jedoch anfertigte, wollte er zu Lebzeiten nicht preisgeben. Allgemein galt van Leeuwenhoek als Eigenbrötler, der unermüdlich und schier besessen an seinen Instrumenten arbeitete, um diese zu perfektionieren. Vor allem in seiner brennenden Wissbegier lag der Antrieb des Autodidakten, der nie eine wissenschaftlich akademische Ausbildung genießen konnte, in nahezu 180 Briefen der Royal Society in London über seine sorgfältig dokumentierten Beobachtungen zu berichten. Möglich wurde dies 1673 durch Rainer de Graaf, einem Delfter Mitglied der Royal Society, der die Obrigkeiten erstmals über van Leeuwenhoeks Instrumente unterrichtete. In der Folge erlangte van Leeuwenhoek größten Ruhm unter den bedeutendsten Ärzten und Wissenschaftlern seiner Zeit. Die Royal Society ernannte ihn 1680 zum Mitglied. Der verdiente Höhepunkt im Leben eines unorthodoxen Einzelgängers. Seine Briefe, die später ins Lateinische übersetzt wurden, revolutionieren nicht nur die Medizin, sie öffneten die Tür in eine neue Welt.
Die Geburtsstunde der Impfung datieren viele Wissenschaftler hingegen auf den 14. Mai 1796, als der Brite Edward Jenner dem achtjährigen James Philipps Rinderpockenlymphe injizierte, die aus Kuhpockenpusteln einer Milchmagd stammte. Der Junge litt in der Folge über einige Tage an den unangenehmen, aber weitestgehend harmlosen Symptomen der Kuhpocken. Jenner wollte erkannt haben, dass überstandene Kuhpocken die Menschen gegen die „echten“ Pocken immunisieren. Begründet wurde seine Annahme vor allem durch den sog. Milchmädchen-Mythos, der den von Kuhpocken betroffenen Melkerinnen nachsagte, dass diese nicht an den gefährlichen Pocken erkrankten. Um seine These zu belegen, variolierte Jenner seinem Probanden sechs Wochen nach seinem Impfversuch frischen Pockeneiter. Ein sehr riskantes Unterfangen, das aus heutiger Sicht höchst fragwürdig erscheint. Doch Impfling und Arzt hatten Glück, denn der junge Philipps blieb frei von Symptomen. Jenner taufte seine Methode „Vaccination“, von lat. vacca, dem Wort für Kuh. Sein Artikel wurde von der Royal Society zunächst jedoch abgelehnt, da sein Versuch nur an einem einzigen Probanden durchgeführt wurde. Dies veranlasste den britischen Mediziner, weitere Kinder zu immunisieren. Darunter auch seinen elf Monate alten Sohn Robert. Nach Veröffentlichung seiner Ergebnisse 1798 setzte sich seine Lehre schließlich als immunologischer Meilenstein durch.
Unerwähnt bleibt dabei meist die richtungsweisende Vorarbeit von Mary Wortley Montagu, die den Gedanken einer Impfung nach Europa brachte und den britischen König Georg I. überzeugen konnte, Impfversuche vorzunehmen. Die spätere Methode von Jenner unterschied sich jedoch grundlegend von vorausgegangen Versuchen der Pockenvariolation. Denn zuvor wurden unklare Virusmengen in äußerst gefährlichen Lebendimpfungen verarbeitet. Ein sichereres Heilmittel wurde in weiten Teilen der Welt sehnsüchtig erwartet, da epidemiologischen Schätzungen zu Folge bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fast zehn Prozent der Kleinkinder an Pocken verstarben. Dass man sich der Erklärung der wissenschaftlichen Hintergründe erst viele Jahrzehnte später näherte, verwehrte Jenner jedoch nicht seinen Ruhm. Selbst Napoleon aus dem verfeindeten Frankreich honorierte Jenner mit einer Ehrenmedaille, da er das Werk des Briten als eine der größten Errungenschaften der Menschheit betrachtete. Zum Erfolg trug jedoch auch Jenners Verzicht einer Patentierung bei, wodurch die Impfung kostengünstig blieb und somit auch der ärmeren Bevölkerung zur Verfügung stand. Jenner behielt damit recht, dass die Menschheit die Pocken mit Impfungen ausrotten werde, wenngleich dies noch fast 200 Jahre dauern sollte.
Der Chemiker Louis Pasteur begann sein Studium in Paris mit dem Ziel, Gymnasiallehrer zu werden. Doch Pasteur befasste sich schon im frühen Berufsleben, in welchem er bereits mit 25 Professor für Physik bzw. kurze Zeit später Ordinarius für Chemie in Lille wurde, lieber mit optischer Aktivität, als an Schulen zu unterrichten. Er gilt durch seine frühen Arbeiten als ein Begründer der Stereochemie, welche sich mit dem dreidimensionalen Aufbau von Molekülen beschäftigt. Als Verursacher der Gärung hatte Pasteur schon in jungen Jahren Mikroorganismen als Ursache in Verdacht. Dies konnte er durch eine Reihe von späteren Experimenten auch belegen. Dabei beschrieb er unterschiedliche Formen der Gärung, welche jeweils unter Anwesenheit bestimmter Mikroorganismen determiniert werden. Folgerichtig leitete er ein Verfahren zur Haltbarmachung ab, dass wir heute noch Pasteurisierung nennen.
Pasteur betrat die wissenschaftliche Bühne in zahlreichen Themenfeldern, wobei allen voran die von ihm beflügelte Impfstoffentwicklung eines seiner wichtigsten Vermächtnisse bleibt. Dabei versuchte sich der Chemiker zunächst an veterinärmedizinischen Seuchen wie etwa der Geflügelcholera oder dem Schweinerotlauf. Erst nach langem Zögern widmete er seine Aufmerksamkeit der Tollwut, einer relevanten humanpathogenen Bedrohung. Zuvor wurden Menschen nur mit der von Jenner etablierten Pockenimpfung sowie der seinerzeit neuartigen Choleraimpfung des spanischen Bakteriologen Jaume Ferran i Clua geimpft. Mit dem Durchbruch der Tollwutimpfung blieb vielen der neunjährige Joseph Meister aus dem Elsass in Erinnerung, der im Sommer 1885 mehrfach von einem tollwütigen Hund gebissen wurde und durch Zufälle zum ersten Probanden Pasteurs wurde.
Pasteur war selbst kein Arzt, weshalb er sich zuvor lange weigerte, seinen an Hunden erprobten Impfstoff am Menschen anzuwenden. Doch diesmal sollte es anders kommen, obwohl sich auch Emile Roux, zeitlebens einer der wichtigsten ärztlichen Mitarbeiter Pasteurs, der Ausführung des Experiments verweigerte. Dabei soll Emile Roux als Wegbereiter der Methode zur Trocknung von Kaninchenrückenmark gelten, ohne die eine Verwirklichung der Vakzine nicht möglich gewesen wäre. Doch Pasteur beanspruchte die Entwicklung zu Lebzeiten für sich. Der Kinderarzt Jacques-Joseph Grancher, ein Freund von Louis Pasteur, erklärte sich schließlich bereit, den Jungen zu behandeln. Joseph Meister überlebte eine Abfolge zahlreicher Injektionen des abgeschwächten Tollwut-Erregers und blieb seinem Lebensretter Pasteur über dessen Tod im Jahr 1895 treu verbunden. Ab 1913 arbeitete er als Pförtner am Institut Pasteur in Paris. Pasteur ging als glühender Patriot, Träger des Großkreuzes der französischen Ehrenlegion, aber vor allem als streitbarer Wissenschaftler in die medizinischen Geschichtsbücher ein.
Als größter Widersacher von Louis Pasteur und als einer der erfolgreichsten Mediziner auf Seiten der Deutschen gilt Robert Koch. Nach dem Abitur studierte Koch in Göttingen, wo er 1866 das medizinische Examen ablegte und promovierte. Dort begegnete er auch dem Anatomen Jakob Henle, welcher Koch die strenge Zucht der wissenschaftlichen Methodik lehrte, der Koch (fast) sein ganzes Berufsleben treu bleiben sollte.
In den frühen Jahren arbeitete Koch u. a. als Arzt im Allgemeinen Krankenhaus Hamburg, als Landarzt sowie als Feldarzt im Deutsch-Französischen Krieg. 1872 ließ sich Koch in Wollstein als Kreisphysikus nieder, wo er neben der fast tagesausfüllenden Patientenversorgung und unter heute kaum vorstellbaren Bedingungen zu forschen begann. Dabei musste Koch sein Laboratorium im Sprechzimmer hinter einem Vorhang verbergen. Seine Aufmerksamkeit galt Anfang der 1870er-Jahre vor allem dem Milzbranderreger. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, dass aus dem praktizierenden Landarzt der wohl bedeutendste deutsche Bakteriologe werden sollte.
Die entscheidende Wendung erfuhr sein Leben erst 1876, als Koch mit einigen Laborkisten nach Breslau fuhr, um Friedrich Cohnheim, dem Lehrstuhlinhaber der Breslauer Pathologie, sowie Ferdinand Julius Cohn, dem späteren Entwickler einer Bakterien-Klassifikations-Systematik, seine Milzbrandexperimente vorzustellen. Mit Begeisterung nahmen diese zur Kenntnis, dass Koch den Erreger aus Blut und Milz einer an Milzbrand verstorbenen Maus in seinen Kulturgefäßen züchtete. Bereits nach 24 Stunden konnten die beiden Breslauer Professoren das Wachstum des Bakteriums mikroskopisch bewundern. Koch übertrug den Erreger auf weitere Versuchstiere, welche folglich Symptome des Milzbrands zeigten. Später belegte er die besondere Bedeutung der Sporen, die durch umweltresistente Dauerformen der Erreger auch nach langer Zeit noch zum Krankheitsausbruch führen können. Diese Arbeiten stellten einen revolutionären Meilenstein in der Infektionsforschung dar. Sein akribisches Vorgehen führte zur Etablierung der bis heute gültigen Koch-Henle’schen Postulate.
Um seine Entdeckungen zu objektivieren, arbeitete Koch in der Folge mit Fotografien, die er in der Arbeit „Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren und Photographieren der Bakterien“ veröffentlichte und somit bis heute in Augenschein genommen werden können. 1880 folgte schließlich der Umzug nach Berlin. Koch gelang dort nach zwei Jahren die Charakterisierung des Tuberkelbazillus und somit ein weiterer fundamentaler Durchbruch. Im Anschluss entsandte man Koch mit seinen Mitarbeitern nach Alexandria, um den Erreger der Cholera möglichst vor den französischen Wettbewerbern zu identifizieren. Im Gegensatz zu seinen Widersachern ließ sich Koch nach anfänglichem Scheitern der Erregerisolierung in Ägypten nicht demoralisieren. Er setzte seine Bemühungen schon kurze Zeit später in Indien fort, wo der Nachweis von Vibrio cholerae letztlich gelang.
Man sprach vom „Sieg über die Cholera“ und Koch erhielt den Lehrstuhl im neu gegründeten Institut für Hygiene der Berliner Universität. Sein Institut wurde in der Folge weltberühmt, da er exzellente Mitarbeiter wie Paul Ehrlich, Emil von Behring, Shibasaburo Kitasato oder Friedrich Loeffler zusammenführen konnte. Doch 1890 musste Koch den größten Rückschlag seines Lebens hinnehmen. Obwohl er darauf verwies, dass seine Arbeiten über ein Tuberkulose-Heilserum noch nicht abgeschlossen waren und Kontrollversuche ausstünden, drängte ihn die preußische Regierung massiv zu einer Veröffentlichung.
Der sonst so akribische Forscher musste das Scheitern seines „Tuberkulins“ bezeugen. Internationaler Spott und Häme waren die Folge, da das an Meerschweinchen erfolgreich genutzte Extrakt aus den Tuberkelbakterien den Krankheitsverlauf beim Menschen oft drastisch verschlimmerte. Aus heutiger Sicht liegt der Skandal viel eher in der unverhältnismäßig harten Verurteilung des Forschers. Denn Scheitern gehört zur Wissenschaft und erst aus Rückschlägen kann Wahrheit erwachsen.
Zu Kochs Gunsten erfolgte kurze Zeit vor dem Skandal die Einweihung des „Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten“, das eigens für ihn errichtet wurde. Nach seinem Absturz widmete sich Koch hier wieder der Erforschung tropischer Erkrankungen. Es folgten Arbeiten über die Schlafkrankheit, das Küsten- und Rückfallfieber, Typhus oder die Malaria. Für letztere entwickelte er die Chinin-Prophylaxe. Noch als Emeritus nahm er den Kampf gegen die Schlafkrankheit auf, wofür er lange Zeit am Victoriasee lebte. 1905, vier Jahre nach seinem Schüler Emil von Behring, erhielt Koch den Nobelpreis für Medizin. Fast 20 Jahre nach dem Scheitern seines Tuberkulins sollte die Substanz eine Renaissance in der Diagnostik der Tuberkulose erleben, wodurch Robert Koch seinen Ruf endgültig rehabilitierten konnte.
Robert Koch setzte sich zeitlebens für die Verbesserung der epidemiologischen Überwachung, sozialer Strukturen sowie für die Einführung von Kontrollprogrammen der Tuberkulose ein und gilt somit als Vordenker der modernen Surveillance. Am 27.05.1910 starb der in seinem Lebensstil eher bescheidene Forscher, dessen weitreichende Leistungen die Medizin so grundlegend revolutionierten. Bedauerlicherweise finden die Errungenschaften seiner weiblichen Mitarbeiterinnen, wie beispielsweise die von Angelina Fanny Hesse etablierte Verwendung von Agar-Agar zur Bakterienkultivierung, in der öffentlichen Diskussion bis heute kaum Beachtung. Bei aller medizinhistorischen Glorifizierung der Person Robert Koch sollte jedoch immer erwähnt werden, dass einige seiner Erkenntnisse einen teuren Preis hatten. Denn auch Koch war in die Gräueltaten und Menschenversuche der kolonialen Tropenmedizin verwickelt.
Anfang der 1880er-Jahre starben in Preußen jährlich noch etwa 25.000 Kinder unter drei Jahren am hochansteckendem „Würgeengel“. Die todbringende Infektionskrankheit wird durch Toxine des Corynebakterium diphtheriae verursacht, dem viele Kleinkinder in diesen Jahren hilflos ausgeliefert waren. Im Dezember 1890 publizierten Emil von Behring und Shibasaburo Kitasato in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift ihren richtungsweisenden Aufsatz „Über das Zustandekommen der Diphtherieimmunität und der Tetanusimmunität bei Thieren“. Diese Arbeit gilt bis heute als Durchbruch des jungen Behrings, der aus ärmlichsten Verhältnissen stammte und sich nur über ein längeres Militärengagement den Einstieg in den Arztberuf ermöglichen konnte. In den frühen Jahren beschäftigte sich Behring auf dem Gebiet der Sepsis und der Desinfektion mit Jodoform (Tri-Jod-Methan). Dabei versuchte er zunächst, die Krankheitserreger durch eine sog. innere Desinfektion zu besiegen, was jedoch aufgrund der hohen Toxizität der Versuchsstoffe misslang. Behring vertrat schnell den Standpunkt, dass Infektionen am ehesten mit körpereigenen Gegengiften zu bekämpfen seien, worin der Grundstein der Blutserumtherapie liegt. Während seiner Berliner Zeit wirkte er als Assistent von Robert Koch am Institut für Hygiene, wo er belegen konnte, dass sog. Antitoxine die Toxine der Bakterien neutralisieren können.
An dieser Stelle sollte jedoch auch die Vorarbeit von Émile Roux und Alexandre Yersin erwähnt werden, die als Assistenten von Louis Pasteur in Paris wirkten. Roux und Yersin konnten bereits 1888 die Diphtherietoxine als Ursache der Krankheitssymptome identifizieren. Die ersten Heilungs- und Immunisierungsversuche gelangen Behring schon 1890 im Tiermodell. Am Menschen wurden die Heilseren von Behring ab 1893 eingesetzt. Die Diphtherie verlor fortan ihren Schrecken, wodurch Behring Dankesbriefe aus der ganzen Welt empfangen durfte. In der Folge wurde Emil von Behring außerordentlicher Professor in Halle an der Saale und später als Lehrstuhlinhaber nach Marburg berufen. 1901 erhielt Emil von Behring den ersten Nobelpreis für Medizin, vier Jahre vor seinem einstigen Lehrmeister Robert Koch. Durch den Gewinn des Nobelpreises war es von Behring nun möglich, ein eigenes Pharmaunternehmen zu gründen. Das Genie litt jedoch unter starken Depressionen, die Behring 1907 zu einem dreijährigen Sanatoriumsaufenthalt veranlassten. 1917 stirbt Emil von Behring im Alter von 63 Jahren in Marburg an der Lahn. Hier erinnern bis heute die nach ihm benannten Behringwerke an den Vater der Serumtherapie.
Als Paul Ehrlich 1854 geboren wurde, konnte sich die medizinische Welt den Fortschritt wohl nicht erträumen, der in den nächsten sechs Dekaden errungen werden sollte. Der Arzt aus Schlesien sollte maßgeblich zur Erfolgsgeschichte der Infektionsforschung beitragen.
Da sich Ehrlich schon früh für Naturwissenschaften interessierte, aber der Patientenversorgung nie etwas abgewinnen konnte, zeichnete sich schnell ab, dass der hochtalentierte Jungmediziner in ein Laboratorium gehörte. Dies erkannte auch Theodor von Frerichs, sein Förderer an der Berliner Charité. Paul Ehrlich fand als erster Forscher einen Weg, um lebendige Nervensubstanz zu färben. In Zusammenarbeit mit Robert Koch gelang es ihm auf der Basis der Säurefestigkeit, eine Färbemethode für Mykobakterien zu entwickeln, um diese für das menschliche Auge sichtbar werden zu lassen. Da Paul Ehrlich jedoch während seiner wissenschaftlichen Tätigkeiten selbst an einer Lungentuberkulose erkrankte, zog dieser sich für einige Zeit nach Ägypten zurück. Doch 1890 kehrte er zurück nach Berlin, um ein Jahr später dem Ruf Robert Kochs an das neu gegründete Institut für Infektionskrankheiten zu folgen.
Hier begann die fruchtbare Kooperation mit Emil von Behring. Zusammen erarbeiteten und standardisierten die beiden verschiedene Protokolle zur Gewinnung von Serumtherapien, wobei vor allem das Diphtherieserum einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Daneben analysierten sie die Eigenschaften ihrer Antitoxine, die sie später in verschiedene Klassen unterteilen konnten. Ehrlich unternahm auch erste chemotherapeutische Versuche mit Methylenblau zur Malariatherapie, welche jedoch erfolglos blieben. Unter Emil von Behring und Paul Ehrlich kam es im Verlauf der Kooperation zu massiven Streitigkeiten, die Ehrlich 1896 dazu veranlassten, die wissenschaftlich so erfolgreiche Zusammenarbeit zu beenden. Paul Ehrlich konnte in der Folge die Leitung des neuen Instituts für Serumforschung übernehmen, mit dem er drei Jahre später nach Frankfurt am Main übersiedelte. 1908 erhielt Paul Ehrlich gemeinsam mit Elia Metschnikow (Entdeckung der Phagozytose) den Nobelpreis für Medizin. Ein Jahr später vollendete er sein Lebenswerk mit der Entwicklung des Salvarsans (Dioxy-diamino-arsenobenzol-dihydrochlorid bzw. Präparat „606“). Es war ihm gelungen, das erste wirksame, wenn auch nebenwirkungsreiche Therapeutikum gegen den Syphiliserreger zu entwickeln. Mit Ende 50 war Paul Ehrlich bereits ein hochverdienter und international geachteter Wissenschaftler, der jedoch in Deutschland wiederholt Opfer antisemitischer Anfeindungen wurde. 1915 starb er als einer der größten deutschen Forscher im Alter von nur 61 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. An ihn erinnern bis heute u. a. das Bakterium Ehrlichia bzw. die Ehrlichiose sowie das nach ihm benannte Paul Ehrlich-Institut in Langen/Hessen.
Das Wettrennen von Alexandre Yersin und Shibasaburo Kitasato um die Entdeckung des Pesterregers sollte durch Scharfsinn und Zufälle entschieden werden. Dem Schwarzen Tod, wie die größte Pandemie der Menschheitsgeschichte zwischen 1346 und 1353 in Europa genannt wurde, fielen über 100 Millionen bzw. ein Drittel der Bewohner des Kontinents zum Opfer. In den nächsten Jahrhunderten kam es immer wieder zu relevanten Ausbrüchen des todbringenden Bakteriums, das zahlreiche Todesopfer in der Großen Pest von London, aber auch in Wien und Marseille forderte. 1894 gelang in Hongkong letztlich die Entdeckung des Erregers. Das einflussreiche Frankreich hatte Sorge um seine benachbarten Kolonien in Indochina, weshalb man sich an das Institut Pasteur wandte. Die Briten waren höchstbesorgt um ihre eigene Kolonie, in der bereits binnen weniger Tage über 100.000 Menschen verstarben.
Man sah sich gezwungen, den deutschen Bakteriologen Robert Koch um Hilfe zu bitten. Pasteur und Koch entsandten ihre Schüler, deren Voraussetzungen sich jedoch maßgeblich unterschieden. Yersin, gebürtiger Schweizer, arbeitete bereits in früheren Tagen mit Robert Koch und Emil von Behring in Berlin, ehe er die französische Staatsbürgerschaft annahm, um unter Louis Pasteur zu arbeiten. Gegenüber dem erfahrenen japanischen Professor Kitasato war er jedoch der Außenseiter. Kitasato konnte in Hongkong auf mehrere Mitarbeiter und ein gut ausgestattetes Klinikgebäude zurückgreifen. Daneben wurde ihm von der britischen Kolonialmacht die Untersuchung der Pestleichen zugewiesen.
Der erst 31-jährige Yersin reiste hingegen allein in das Reich der Mitte, wo er notgedrungen in einer mit Stroh bedeckten Bambushütte experimentierte. Um Zutritt zu den Leichenhallen zu erhalten, musste Yersin die Hongkonger Bestatter bestechen. Die ungleichen Ausgangsbedingungen hinderten ihn jedoch nicht daran, auf seinen Scharfsinn zu vertrauen und seine Beobachtungen in einen Kausalzusammenhang zu stellen. Er vermutete Ratten als Überträger der Seuche und den Erreger in den Beulen der Toten. Kitasato fokussierte sich hingegen auf Blutuntersuchungen, welche er entsprechend der allgemein gültigen Lehrmeinung dieser Zeit bei 37°C kultivierte. Ein großer Irrtum, wie sich später herausstellen sollte. Yersins Vermutungen sollten sich hingegen bewahrheiten, doch zu deren Bestätigung brauchte es auch einiges an Glück. In seiner Bambushütte gab es keine modernen Inkubatoren, es herrschten die sommerlichen Umgebungstemperaturen der Stadt Hongkong.
Heute wissen wir, dass der Erreger Yersina pestis besonders gut bei 28°C wächst, was etwa den vermuteten Außentemperaturen dieser Tage entspricht. Yersin gelang neben der Kultivierung und Isolierung des Erregers auch die Übertragung auf Versuchstiere, womit er belegen konnte, dass der von ihm gefundene Erreger wirklich die Ursache der Pest ist. Noch lange herrschte Streit zwischen den beiden Forschern, da auch Kitasato diese Entdeckung für sich beanspruchte. Die Entscheidung der Namensgebung fiel zugunsten Yersins, da er in seinen Telegrammen richtigerweise einen gramnegativen Erreger beschrieb. Heute wird vermutet, dass Kitasato vor allem grampositive Pneumokokken unter seinem Mikroskop fand, welche eine Pesterkrankung häufig begleiten. Yersin widmete sich später der Herstellung einer Serumtherapie gegen das von ihm entdeckte Bakterium, mit der er erstmals einen Menschen von der Pest heilen konnte. Auf den todbringenden Verlauf der Pandemie konnte er dadurch jedoch keinen Einfluss nehmen.
Moderne Gesellschaften haben den Gebrauch großer Antibiotikamengen nahezu selbstverständlich in unterschiedlichsten Lebensbereichen etabliert. Neben der Human- und Veterinärmedizin oder der Landwirtschaft findet man sie beispielsweise auch in Aquakulturen. Dabei wurde der Grundstein der antimikrobiellen Therapie vor weniger als 100 Jahren durch Alexander Fleming gelegt, den in diesem Zusammenhang jeder Mediziner kennt. Das Glück seiner Entdeckung hat der Brite jedoch nie bestritten. Fleming konnte in den Vorjahren seiner größten Leistung bereits bedeutende Beobachtungen machen, die auf seinen beharrlichen Fleiß und seine akribische Arbeit zurückzuführen sind.
So postulierte er 1915 in der Fachzeitschrift Lancet, dass Antiseptika den schweren Wundbrand nicht verhindern, sondern sogar beschleunigen können. Sieben Jahre später beschrieb Fleming die Eigenschaften des Lysozyms, einer körpereigenen antimikrobiell wirkenden Substanz. Trotz aller Erkenntnisse der vorangegangenen Dekaden fehlte Mitte der 1920er-Jahre ein Ansatz zur Therapie bakterieller Infektionen. Die potenziell hemmende Wirkung einiger Schimmelpilze auf Bakterien war bereits vor Flemings Wirken bekannt. Diese Erkenntnisse wurden jedoch nicht vertieft, da die Fachwelt lange der Annahme war, dass alle bakteriziden Substanzen auch den Zellen des Wirtes schaden. Am Montag, dem 3. September 1929, kehrte der 47-jährige Fleming aus seinem Sommerurlaub in sein Laboratorium zurück, wo er auf verbliebenen Staphylokokkus-aureus-Kulturen plötzlich Kontaminationen feststellte.
Bei diesen Kontaminationen handelte es sich um Schimmelpilze, die durch einen bakterienfreien Ring von der Kultur abzugrenzen waren. Dies veranlasste den begabten Forscher, die therapeutischen Möglichkeiten seiner Entdeckung zu testen, wobei er auch toxikologische Aspekte in den Fokus setzte. Fleming konnte nachweisen, dass der gefundene Schimmelpilz (lat. Penicillium) eine bakteriozide Substanz freisetzt, der er den Namen Penicillin gab.
1945 erhielt Fleming zusammen mit Ernst Chain und Howard Florey, den Beschreibern der chemischen Struktur des Penicillins, den Nobelpreis für Medizin. Durch Alexander Fleming verlor die Menschheit ihre Angst vor zahlreichen bakteriellen Infektionen. Endlich hatte die Medizin ein wirksames und weitestgehend unschädliches Medikament zur Hand, das man sich vorher so lange Zeit herbeigesehnt hatte. Fleming legte den Grundstein, denn viele weitere Antibiotikaklassen sollten in den nächsten Dekaden folgen. Fast 100 Jahre nach der Entdeckung des Penicillins zeichnen sich nun multiresistente Erreger als womöglich größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts ab, was wiederum einigen bereits abgeschriebenen Forschungsfeldern, wie bspw. den Bakteriophagen, eine Renaissance verleiht.
Inzwischen hat sich die Wissenschaft in vielerlei Hinsicht verändert. Riskante Therapieversuche, wie die Injektionen von Jenner oder Pasteur, werden dank der gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Studien und der Prüfung aller Projektvorhaben durch unsere Ethikkommissionen hoffentlich nie wieder praktiziert. Seriöse Publikationen durchlaufen ein Peer-Review-Verfahren und neue Erkenntnisse können sich in unserer digitalen Welt rasant verbreiten. Unverändert lebt jedoch in vielen Forschenden die Begeisterung für die Medizin und die Naturwissenschaften. Aus ihrer Neugier und ihrem Ehrgeiz erwächst wohl die kostbarste Gabe, die es ihnen erlaubt, an einstige Meilensteine anzuknüpfen. Dabei werden oft beschwerliche Wege und zahllose Rückschläge in Kauf genommen, um diesen einen großen Moment zu erleben. So wie ihn einst Paul Ehrlich mit seinem Salvarsan erleben durfte. Doch Ehrlich marginalisierte seine wissenschaftliche Großtat bescheiden mit den Worten: „Nach sieben Jahren Pech hatte ich einen Augenblick Glück!“
Dr. med. Tobias Weirauch, Universitätsklinikum Frankfurt, Medizinische Klinik II
Schwerpunkt Infektiologie, Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt, E-Mail: weirauch@med.uni-frankfurt.de
Biografisches zum Autor
Dr. med. Tobias Weirauch ist Assistenzarzt in der Medizinischen Klinik II – Schwerpunkt Infektiologie am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Studium der Humanmedizin sowie Promotion an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Die Literaturhinweise finden Sie hier.
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