Wer beim Lesen dieses Titels bereits stutzt und das Gefühl hat, dass hier etwas nicht ganz zusammenpasst, ist wahrscheinlich nicht allein. Das Ziel dieser Titelformulierung wäre dann auch schon erreicht.

Am Beispiel der Bürokratie im Gesundheitswesen zeigt sich eine Fehlentwicklung, welche zu Beginn das Ziel einer Verbesserung der Patientenversorgung verfolgen mochte, am Ende uns aber so viel Zeit (und auch Geld) kostet, dass teils sogar das Gegenteil eintritt: Eine schlechtere Versorgung unserer Patientinnen und Patienten mangels Zeit.

Die Perspektive der handelnden Personen spielt hier eine entscheidende Rolle. Die Forderung, dass eine kurze Dokumentation für eine Behörde oder einen Abrechnungsvorgang täglich für vielleicht zehn Minuten zumutbar wäre, mag nachvollziehbar sein.

Kommen aber mehrfache Anforderungen zusammen, können es gerne fünf, sechs oder mehr Fragebögen à zehn Minuten sein. Ob es nun das KIS-System (Krankenhaus-Infektions-Surveillance) oder die Kodierung für Fallpauschalen, Meldungen an Behörden oder Fragebögen für die Deutsche Rentenversicherung sind – sie mögen jeder für sich mehr oder weniger ihre Berechtigung haben. Zusammen sind sie kaum in der 60 Stunden-Woche unterzubringen.

„Übermäßige Dokumentation vernichtet patientenzugewandte, ärztliche Arbeitszeit“

Geht es auch ohne überbordende Bürokratie?

Wie lange ist Bürokratie ein notwendiger Teil unserer Arbeit – und ab wann hält sie uns von unserer eigentlichen Aufgabe ab? Jene, die Dokumentationspflichten erlassen, müssen sich der Perspektive von uns Leistungserbringern stellen. Bei jeder Dokumentationsaufgabe gilt es zu beantworten: Geht es auch ohne? Geht es auch automatisch oder kann es von einer anderen Stelle übernommen werden?

Jeder neue bürokratische Akt muss sich einer Prüfung unterziehen: Behindert er unseren Workflow? Kostet er unnötig Zeit und lässt er sich durch Zusammenführen bereits existierender Informationsquellen vermeiden? Im besten Fall erreichen wir eine Qualitätssicherung mit Datenerhebung ohne Bürokratie. Ohne ärztlichen Zeitverbrauch.

Natürlich kommt der Gedanke derzeit schnell auf die Hilfe durch KI im Gesundheitswesen. Es wird die Frage gestellt, ob KI uns bei der Erfüllung unserer bürokratischen Aufgaben die Arbeit abnehmen kann. An vielen Stellen wird dies bei Vorschlägen zur Codierung, automatischer Transkription von Gesprächen für Arztbriefe oder zur Dokumentation und teils auch zur Erstellung von Behandlungspfaden der Fall sein.

Vernachlässigt wird bei dieser Überlegung aber, dass die bürokratischen Anforderungen von Beginn an kurz und effizient gestaltet sein müssen. Um in der technischen Betrachtung zu bleiben: Eine ineffiziente Bürokratie durch KI auszugleichen, wäre vergleichbar mit schlechter Software, die durch leistungsfähigere Prozessoren statt durch eine saubere Programmierung optimiert wird.

Krankenhausreform als nächste Welle

Im Gesundheitswesen gibt es zahlreiche Akteure, die sich über die Effizienz von Dokumentationspflichten kaum Gedanken machen – oder darüber, welche zusätzlichen bürokratischen Prozesse uns bereits belasten. Am Ende dieser Kette stehen wir Ärztinnen und Ärzte – und tragen letztlich auch die rechtlichen Konsequenzen, sei es durch Regresse der Krankenkassen oder Haftungsansprüche. Eine große bürokratische Welle gilt es derzeit und die nächsten Monate für die Krankenhausreform abzuarbeiten. Wenn die Kliniken ihre Anträge stellen, um zukünftig entsprechende Leistungen abrechnen zu dürfen.

Bei der Erstellung des Gesetzes wurde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht berücksichtigt, welch enormer Aufwand und welche Kosten den Kliniken für die Erfüllung dieser Aufgabe zunächst entstehen.

Es gibt mittlerweile einige Erhebungen zur Vernichtung von patientenzugewandter ärztlicher Arbeitszeit durch Dokumentation. Seit Beginn der Umfragen hierzu hat die patientenferne Arbeit von uns Ärztinnen und Ärzten weiter zugenommen.

In Zukunft brauchen wir beide Komponenten: Eine unterstützende KI, vor allem aber einen Prüfmechanismus, der jeden bürokratischen Akt daran hindert, uns wertvolle Zeit zu stehlen. Dies gilt nicht nur für die neuen Bestimmungen, Erfassungen und Qualitätsanforderungen, sondern auch für alle bestehenden, welche regelmäßig auf den Prüfstein oder abgeschafft gehören.

Dr. med. Lars Bodammer, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen