In Deutschland versterben pro Jahr nach wie vor ca. 100.000 Menschen plötzlich und unerwartet an einem Herztod. Den größten Einfluss auf eine Verbesserung der Überlebenschancen und der Überlebensqualität haben Wiederbelebungsmaßnahmen (Reanimationen) durch diejenigen Personen, die den Betroffenen als erstes auffinden bzw. während des Ereignisses anwesend sind.

Im Rettungsdienst wird allermeist, so auch in Marburg-Biedenkopf, nach Alarmierung eine Rettungsfrist von zehn Minuten eingehalten, bis professionelle Rettungskräfte eintreffen. Allerdings können bereits nach drei Minuten irreversible Hirnschäden auftreten, wenn nicht durch Herzdruckmassage ein Kreislauf aufrechterhalten wird. Hier gilt es also, diese Minuten bis zum Eintreffen professioneller Hilfe mittels suffizienter Herzdruckmassage („Notkreislauf zur Durchblutung von Hirn und Herz“) zu überbrücken. Gelingt dieses, werden hierdurch mögliche Folgeschäden vermindert und die Überlebenswahrscheinlichkeit entscheidend erhöht. Das Einleiten der Reanimationsmaßnahmen durch geschulte Laien erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit sogar auf das Doppelte bis Dreifache [1 ,2].

Epidemiologen gehen davon aus, dass ca. 20 % der Bevölkerung geschult werden müssten, um einen für eine Gesellschaft messbaren Effekt bei der Verbesserung der Überlebenswahrscheinlich zu erreichen. Um diese Schulungsquote mittelfristig erreichen zu können, erscheint es sinnvoll, Schüler als Zielgruppe auszuwählen.

Obwohl ein basales Verständnis für die Physiologie des Kreislaufes in jeder Altersstufe vermittelt werden kann, erscheinen die Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Jahrgangsstufe als Zielgruppe besonders interessant. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen wird im Lehrplan des Biologieunterrichts dieser Jahrgänge die Physiologie des Herz-Kreislaufsystems unterrichtet. Eine Erweiterung dieses Lernstoffes um die Laienreanimation erscheint somit sinnvoll. Zum anderen sind Schüler oft erst im Alter von 12–13 Jahren in der Lage, mittels ihres Körpergewichts effektive Thoraxkompressionen durchzuführen. Auch sollte berücksichtigt werden, dass das Absetzen eines Notrufs nicht nur Kommunikationsmittel voraussetzt (Mobiltelefon), sondern ebenfalls eine gewisse intellektuelle Reife.

Auf der Kultusministerkonferenz wurde daher bereits 2014 die Einführung von Modulen zum Thema Wiederbelebung im Umfang von zwei Unterrichtsstunden pro Jahr ab der 7. Jahrgangsstufe befürwortet. Allerdings ist der Umsetzungsstand in den Bundesländern derzeit sehr unterschiedlich. Laut einer aktuellen Umfrage bei den Kultusministerien der Länder haben bislang lediglich Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern die Vorgaben aus 2014 weitgehend flächendeckend umgesetzt. Die Angaben aus Hessen waren dabei im Vergleich zu den anderen Bundesländern auffallend unkonkret (Flächendeckung? Antwort: „regional“, ab welcher Jahrgangsstufe? Antwort: „keine Vorgaben“, Schulungsdauer?: „variabel“, Schulung in Thoraxkompression?: „keine Angabe“) [3] Immerhin hat das Thema aber nun Eingang in den Koalitionsvertrag der aktuellen Landesregierung gefunden.

Eine Option wäre die Ausbildung von an den Schulen tätigen Lehrkräften als Tutoren (per Videoinstruktion). Eine andere (von uns bevorzugte) Variante ist es, ärztliches oder pflegerisches Rettungsdienstpersonal in die Schulen zu bringen. Dies hat erfahrungsgemäß den Vorteil, eine wesentlich größere Bereitschaft und mehr Engagement bei den Schülern hervorzurufen, als wenn Lehrkräfte die Schulung übernehmen. Zudem kommen sehr schnell auch andere Fragen zu Notfallsituationen auf – wie zum Beispiel nach Ursachen der Bewusstlosigkeit, oder „Darf ich den Motorradhelm abnehmen?“, die dann kompetent beantwortet werden können.

Als Pilotprojekt an einzelnen weiterführenden Schulen Marburgs wurden daher auf Initiative der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie der Universitätsklinik Marburg (ähnlich auch in Frankfurt und Gießen) seit neun Jahren zunächst Erfahrungen mit einem solchen Konzept in Jahrgangsstufe 8 auf Basis freiwilliger und ehrenamtlicher Tätigkeit der Instruktoren/-innen gesammelt. Gleichzeitig wurden durch dieses Pilotprojekt die für eine erfolgreiche, nachhaltige und flächendeckende Umsetzung erforderlichen Rahmenbedingungen erarbeitet.

Vermittelt werden dabei die Basics der Reanimation im Zeitumfang von einem Schultag pro Schule mit einer Jahrgangsstufe 8 mit ca. 60 Schülerinnen und Schülern:

Prüfen – Rufen – Drücken

  • Erkennen eines potenziellen Kreislaufstillstandes
  • Aktivierung von professioneller Hilfe
  • Durchführung/ Veranlassung von qualitativ hochwertigen Thoraxkompressionen und geeigneter Lagerung des Opfers beim Kreislaufstillstand
  • Anwendung eines AED (Automatisierter externer Defibrillator)
  • Umsetzung von Anleitungen/Anweisungen durch die Rettungsleitstelle

Da ein Herzstillstand im Erwachsenenalter nur selten primär respiratorisch, sondern meist primär kardial bedingt ist, ist in den allerersten Minuten bis zum Eintreffen professioneller Hilfe die Herzdruckmassage entscheidend und nicht die Beatmung, da in der Alveolarluft noch ausreichend Sauerstoff vorhanden ist, dieser also nur zu „Herz und Hirn“ transportiert werden muss. Zudem ist bekanntermaßen für Laien die Hemmschwelle zur Mund zu Mund/Nase-Beatmung höher als für die Herzdruckmassage. Beatmung wird daher in der Unterweisung für die Laienreanimation heutzutage meist nicht mehr vermittelt, daher Prüfen – Rufen – Drücken – und nicht unbedingt „Pusten“.

Die weiteren Fein-Lernziele können dem GRC-Mustercurriculum „Reanimationsunterricht in Schulen“ entnommen werden: www.einlebenretten.de

A. Der Einführungsvortrag

Die Einführung soll Schülerinnen und Schülern (und Lehrern) zunächst einen allgemeinen Einstieg in das Thema Herzstillstand ermöglichen, aber von Beginn an auch das Handeln einbeziehen. Hervorgehoben wird, wie wichtig in den ersten Minuten die durch Laien leicht durchführbaren BLS1-Maßnahmen sind, um die schädigende Wirkung der No-flow-time auf das Gehirn zu verhindern. Ergänzt wird diese Präsentation durch einen kurzen Film, der auf unterhaltsame Weise das Grundprinzip „Prüfen-Rufen-Drücken“ nahebringt.

BLS = Basic-Life-Support

B. Das Zirkeltraining

An drei Stationen werden mit praktischer Übung in Kleingruppen (max. sechs Teilnehmende) externe Herzdruckmassage, Anwendung eines automatisierten externen Defibrillators (AED) unter Herzmassage und die sichere Überprüfung von Bewusstsein und vor allem Atmung geübt. Die Herzmassage unterlegen wir zum Erlernen der Geschwindigkeit/Frequenz von 100x/min. – und weil gerade bei den Jugendlichen spielerisches Erlernen mit Musik gut funktioniert – mit passender Musik (z. B. Bee Gees „staying alive“, Helene Fischer „Atemlos durch die Nacht“ oder andere geeignete aktuellere Hits für Jahrgangsstufe 8). Natürlich gibt es auch Spielraum für Fragen in kleiner Gruppe an die Dozenten, die mehr allgemeine Themen der Notfallversorgung betreffen.

C. Der Film

Zum Abschluss des Trainings zeigen wir den Film eines nachgestellten realen Falles. Professionell produziert, zeigt der Film den Ablauf der Behandlung eines Patienten mit allen Stadien von Laienreanimation unter Anleitung der Leitstellendisponenten, über Einsatz von Voraushelferin, ersteintreffendem RTW/NA, Übergabe im Schockraum bis zum Herzkatheter.

Fazit

Bislang wurden seit 2015 nach und nach an sieben weiterführenden Schulen Marburgs die 8. Jahrgangsstufen ausgebildet, oft im Rahmen der Projektwoche am Schuljahresende, in der Zeit zwischen Zeugniskonferenz und Ferienbeginn.

Ziel der aktuellen Projektstufe ist, dieses Unterrichtsangebot an allen weiterführenden Schulen Marburgs verlässlich jedes Jahr in der Jahrgangsstufe 8 anzubieten. Dafür bedarf es einer nicht unerheblichen Ausweitung des Ressourceneinsatzes, sowohl hinsichtlich Personal als auch hinsichtlich Material. Um dies vorhalten zu können, haben sich die Marburger weiterführenden Schulen, die Stadt Marburg, die in der Stadt Marburg tätigen Rettungsdienste und die Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie des Fachbereichs Medizin der Philipps-Universität zusammengeschlossen, um in der Universitätsstadt Marburg ein flächendeckendes Angebot zu etablieren. Der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung haben hierfür dankenswerterweise für 2024 und 2025 Mittel bereitgestellt.

Fernziel bleibt dabei, mit der Universitätsstadt Marburg als Vorreiter zu zeigen, dass und mit welchen Strukturen eine Ausweitung des Projektes auf das ganze Bundesland Hessen und eine Verankerung in den Lehrplänen zu erreichen wäre.

Prof. Dr. med. Hinnerk Wulf, Markus Spies

Kontakt: Prof. Dr. med. Hinnerk Wulf, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, UKGM, Standort Marburg, E-Mail: wulfh@med.uni-marburg.de

Der Artikel stellt beispielhaft eine von mehreren Initiativen in Hessen vor, die Reanimationstraining für Schulen anbieten.

Die Literaturhinweise finden Sie hier.