Früher wurde ein Vertrag per Handschlag als Zeichen des Vertrauens besiegelt. In vielen Gegenden der Welt gilt das auch heute noch. Vertrauen ist laut Gablers Wirtschaftslexikon die Erwartung, nicht durch das Handeln anderer benachteiligt bzw. geschädigt zu werden; als solches stellt es die unverzichtbare Grundlage jeder Kooperation dar, die sich immer dort ergibt, wo Akteure (Vertrauensnehmer), die Einfluss auf andere (Vertrauensgeber) haben, über die Freiheit verfügen, in ihrem Handeln die Interessen anderer zu berücksichtigen oder nicht. Das bedeutet also zu glauben, dass man den anderen – ob nun Person, Organisation oder Institution – und dessen künftiges Verhalten einschätzen kann. Man erwartet Hilfe oder zumindest keinen Schaden. Vertrauen beruht somit auf Erfahrungen aus der Vergangenheit, bezieht sich aber auf die Zukunft. Glaube ist jedoch nicht Wissen. Durch Vertrauen macht man sich daher verletzlich, weil man das eigene Wohlbefinden zumindest zum Teil von den Handlungen und Entscheidungen eines anderen abhängig macht.

Umso ernster müssen die Ergebnisse der jüngsten Umfrage des Allensbach-Instituts über die Eindrücke vom deutschen Gesundheitssystem genommen werden. Noch vor zwei Jahren gaben 81 % der Befragten an, mit dem Status quo der Gesundheitsversorgung zufrieden sein. Der aktuelle Wert sackte auf 67 % ab. Zwei von fünf Befragten gaben zudem an, in den vergangenen zwei, drei Jahren schlechtere Erfahrungen mit der ärztlichen Versorgung gemacht zu haben. Dazu gehörten nicht nur lange Wartezeiten auf einen Arzttermin, sondern auch die Nichtverfügbarkeit von Medikamenten oder gar das Finden eines Arztes oder einer Ärztin. Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit mindern aber das Vertrauen in der Zukunft.

Seit Jahren warnt die Ärzteschaft vor dem immer deutlicher werdenden Mangel an Ärztinnen und Ärzten, vor Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten und nicht zuletzt vor der Überbürokratisierung in Klinik und Praxis. Hat der Gesetzgeber etwa so viele schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit mit der ärztlichen Versorgung gemacht, dass nun schon seit vielen Jahren immer mehr Dokumentations- und Überprüfungspflichten befolgt werden müssen und die eigentliche Arbeit mit, am und vor allem für die Patienten fast schon ins Hintertreffen gerät? Wohl kaum, denn allen Kassandrarufen zum Trotz ist die gesundheitliche Versorgung in Deutschland noch immer gut, denn die Menschen im Gesundheitswesen, ob Ärztin, Pflegekraft, medizinischer Fachangestellter, medizinische Technologin, Physiotherapeut und viele andere mehr geben Tag für Tag ihr Bestes, wenn auch ob der Begleitumstände mitunter zähneknirschend.

Es ist zwar wenig tröstlich, doch der Bürokratiewahn überzieht das ganze Land. Nicht nur das Gesundheitswesen und die Industrie leiden darunter, sondern auch klein(st)e Familienunternehmen. So darf z. B. der Betreiber und Kapitän der Diemelseepersonenschifffahrt nach 19 Jahren sein Schiff nicht mehr zur Freude der Gäste über den nordhessischen Diemelsee lenken, denn nach einer gesetzlichen Änderung in der Besatzungsverordnung für Binnenschiffe auf Bundeswasserstraßen muss seit Beginn des Jahres neben dem Kapitän eine weitere Person mit nautischer Ausbildung, nämlich ein „Sachkundiger für Fahrgastschiffe“ an Bord sein. Das rechnet sich nach Angaben des Kapitäns nicht. Für Urlauber und Gäste bleibt zumindest noch die Möglichkeit, ein Ruder- oder Tretboot zu mieten.

Dieses Beispiel steht sinnbildlich für den allgegenwärtigen Regulierungswahn. Hier führt er nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Einschränkung und Verminderung bisheriger Möglichkeiten. Übrigens frage ich mich, wie lange es dauern wird, bis das Tretbootfahren nur nach erfolgreichem Ablegen des Personentretbootpatents möglich ist.

Ist dieser Regulierungswahn nur Ausdruck einer ausgeprägten Misstrauenskultur oder verbirgt sich dahinter eine gesellschaftliche bzw. staatliche Allmachtsphantasie? Können immer mehr Vorschriften und detaillierteste Regelungen jedes noch so kleine Risiko für Mensch, Tier und Sache verhindern? Kann und will der Staat als Übervater die Verantwortung für alles übernehmen?

Nein, das kann und soll er nicht. Kammern beispielsweise achten auf die Einhaltung der Berufsordnung und der Selbstverpflichtung der Ärzteschaft und sind so auch ein Garant für Vertrauen, denn ohne Vertrauen ist alles nichts.

Wer aber wie Herr Brysch als Pseudopatientenschützer glaubt, dass ein Praxisatlas nach Art des vielfach kritisierten Klinikatlasses in irgendeiner Weise die Versorgung verbessert, ist eindeutig auf dem Holzweg und schürt noch mehr Misstrauen.

Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident