Früher war die Zukunft auch besser!“ sagt Karl Valentins Bonmot, spitz und zugleich rückwärtsgewandt. Also: Erlaubt die Weiterbildungsordnung (WBO) 2020 eine bessere Zukunft für die Weiterbildung oder brauchen wir Planungen für eine WBO 2030?

Die WBO 2020 ist kompetenzbasiert neu aufgestellt. IT-gestützt werden nachvollziehbare und leicht transportierbare Dokumentationen zum individuellen Weiterbildungsstand gesichert. Weiterbilder und Weiterzubildende werden gefordert, regelmäßig über den Entwicklungsstand zu kommunizieren. Empfehlungen zur fachlichen Umsetzung in den ergänzenden FEWP* machen sie flexibel für Neuerungen. Kammerverwaltung ist objektiver und schneller für Weiterzubildende und Befugte möglich. Prozessabläufe wurden dafür neu konzipiert und verschlankt. Weiterzubildende werden in Print- und Online-Medien dazu aufgeklärt. Bald ca. 3.500 Befugte sind nach WBO 2020 in Hessen geprüft und ernannt. Also eigentlich ziemlich perfekt, insbesondere Papier und Schneckenpost ade! Wären wir im IT-hochaffinen Estland, wären wir auf diese Schritte stolz und würden wetteifern, den Fortschritt anzuerkennen.

Gleichwohl ist bei Vielen gefühlte Wirklichkeit noch „valentinisch“ geprägt: Unzufriedenheit von sich als „User“ verstehenden Beteiligten ist immer wieder hörbar. Man möchte alles noch leichter gestaltet haben. Man erwartet dabei die hochattraktive Usability von Onlineverkaufssystemen wie Amazon, Ebay und Temu. Jede neuere IT-Kommunikationsplattform, von Instagram über Youtube bis TikTok, soll WBO-Erklärungen in individualisierten Häppchen liefern. Nur: Die Kammer verdient kein Geld durch Marketing und Verkauf von Angeboten wie hochkommerzielle Firmen. Sie muss mit knappen Beitragsmitteln auskommen.

„Die jetzige WBO muss umgestaltet und künftig nur im Wesenskern kammer- verwaltet sein“

Dabei sind primär staatlich vorgegebene Verfahrensregeln in der Selbstverwaltung sehr wohl mit kollegialer Zuwendung und Empathie umzusetzen. Das ist vom Ansatz her nicht immer einfach. Es braucht auf der „Nutzerseite“ auch die Eigeninitiative von approbierten Ärztinnen und Ärzten, die wissenschaftliches, selbstständiges (Mit-)Denken im Studium erlernt haben. Genauso, wie es engagierte und gute Lehrende im vertrauens- und verantwortungsvoll übertragenen Amt der Weiterbildungsbefugnis herausfordert.

Wohin es mit der jetzigen WBO bundesweit alles andere als statisch weitergeht, sagen uns Beschlüsse der hessischen Delegiertenversammlung im Frühjahr und des diesjährigen 128. Ärztetages in Mainz. Auch angetrieben vom dortigen intensiven Dialog mit jungen Ärztinnen und Ärzten. Die jetzige WBO muss umgestaltet und zukünftig nur im Wesenskern kammerverwaltet sein. Neue Methoden könnten auch durch kammerzertifizierte Zusatz-Kurse curriculär oder mit Kurz-Delegationen zu Spezialisten erarbeitet werden. Nicht jede fachliche Ziselierung muss, und dann auch noch verwaltungsrechtlich justiziabel, in der WBO „durchreguliert“ sein. Es gibt mehr Weiterbildung in Teilzeitsituationen. In vielen EU-Staaten werden Fachärzte nach vier bis fünf Jahren Weiterbildung migrationsfähig fertig, statt wie bei uns real nach sieben bis acht Jahren. Dann sind sie im Mittel bereits ca. 37,5 Jahre alt, das ist sehr spät.

Der Aufbruch zum Verkürzen und Bereinigen wurde beim 128. Ärztetag zunächst für die ausgeuferte Vielfalt von über 50 Zusatzweiterbildungen in der WBO angeschoben. Berufsbegleitende Weiterbildungsanteile werden erheblich verstärkt werden. Lern- und Lehrmethoden mit digitalen Medien können ein Übriges leisten, Methodenkompetenzen unter lebenspolitisch zumutbarerem Zeitaufwand zu vermitteln.

Angesichts quasi revolutionär angekündigter Umbauten der stationären Medizin in Deutschland – und damit vieler relevanter Weiterbildungsorte – und der steten Veränderung von ambulanten Strukturen ist noch mehr Aufbruch gefragt. Veränderte Leistungsstrukturen brauchen zeitnahes Nachsteuern von Befugnissen, damit Weiterbildung nicht unversehens scheitert. Formale Verbundweiterbildungen und freiwillige Weiterbildungsverbünde, Kooperationen und Netzwerke – ambulant wie stationär – sind zukünftig ein Muss, um vorhersagbar aufgehende Lücken der Weiterbildung auszufüllen. Darüber hinaus ist eine faire, auskömmliche Finanzierung der ambulanten wie der klinischen Weiterbildung dringend.

Die WBO 2020 ist strukturell für diese zeitgemäßen Anpassungen genug wandelbar. Evolutionär klug denkend, brauchen wir keine auf einen entfernten Stichtag neu konzipierte „WBO 2030“. Damit kämen wir bei Weitem zu spät, die nähere Zukunft besser zu machen.

Dr. med. H. Christian Piper, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen

* FEWP = Fachlich empfohlener Weiterbildungsplan