Seit ihrer Gründung in 2016 ist die Ambulante Ethikberatung Hessen AEBH e. V. mit Beratungsteams in fünf Regionalgruppen eine Anlaufstelle in Hessen für ethische Fragen im ambulanten Bereich. Ausgehend von den Modellregionen Frankfurt a. M./Offenbach und Marburg-Biedenkopf wurde die Region Frankfurt am Main/Offenbach um den südhessischen Bereich Darmstadt und Umgebung erweitert. Mit dem Hochtaunuskreis, dem Main-Taunus-Kreis und der Region Kassel sind drei weitere Regionen hinzugekommen.

Die Gründung der AEBH erfolgte in 2016 und geht auf die Initiative des damaligen Landesärztekammerpräsidenten Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach zurück, welcher seitdem auch den Vorsitz der AEBH innehat. Damals existierte im ambulanten Bereich Hessens keine Anlaufstelle für ethische Fragestellungen und die Gründung hatte es zum Ziel, diese Leerstelle durch den Aufbau einer ambulanten Ethikberatung in möglichst allen Regionen Hessens zu füllen, um adäquate Beratungsangebote zu ermöglichen.

Die AEBH agiert in der außerklinischen Umgebung, das heißt in der ambulanten Versorgungsstruktur zu Hause oder in der stationären medizinisch-pflegerischen Betreuung wie beispielsweise in Einrichtungen der Seniorenpflege oder der Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Ethische Fragestellungen sind zum Beispiel Therapiebegrenzung, Therapie bzw. Betreuungszieländerungen, Umgang mit Gewalt oder die Zulässigkeit von freiheitseinschränkenden Maßnahmen.

Hilfe bei ethischen Fragen

Die Aufgabe der AEBH mit den regionalen Beratungsteams ist die Vor-Ort-Unterstützung von Betroffenen und Beteiligten. Dies kann beispielsweise der Fall sein

  • wenn eine Änderung der Lebens- bzw. Betreuungsperspektive oder der Therapieziele zur Debatte steht,
  • bei Problemen, die sich im Rahmen der häuslichen und auch stationären medizinisch-pflegerischen Betreuung ergeben können.
  • wenn ein Mensch seinen Willen nicht (mehr) selbst bekunden kann oder wenn eine Zustimmungsunfähigkeit bei vorsorglicher Willensbekundung vorliegt und Uneinigkeit darüber zwischen den An- und Zugehörigen besteht.

Ethikberatung versteht sich als Moderation für die Entscheidungsfindung der Menschen, die sich in einer schwierigen oder gar kritischen Lebensphase befinden.

Als Beratungsprozess geht die Ethikberatung damit über eine Informationsvermittlung hinaus, übernimmt aber keinesfalls eine Rechtsberatung.

Ethische Fallbesprechung

Die Unterstützung bei der Lösung von Problemen, Uneinigkeiten und Konflikten erfolgt in erster Linie durch die ethische Fallbesprechung. Diese ist als Versuch zu verstehen,

  • eine Entscheidung eines betroffenen Menschen, der sich in einer schwierigen beziehungsweise kritischen Phase seines Lebens befindet, zu ermöglichen oder
  • eine gemeinsame Entscheidung aller Betroffenen und Beteiligten zur Begleitung, Therapie und Betreuung eines Menschen, der sich in einer kritischen Phase seines Lebens befindet, zu finden. Wenn dieser Mensch nicht mehr selber entscheiden kann, so gilt es, die gemeinsame Entscheidung aller Betroffenen und Beteiligten mit dessen „mutmaßlichem Willen“ oder dem in dessen Patientenverfügung geäußerten Willen in Einklang zu bringen.

Beratung für Betroffene, Pflegende, Hausärztinnen und Hausärzte

Eine Ethikberatung, in der Regel durchgeführt von zwei qualifizierten Ethikberatenden eines der Beratungsteams, können jeder betroffene Mensch sowie alle weiteren Betroffenen und Beteiligten anfordern und auch an dieser teilnehmen. Betroffene und Beteiligte sind zum Beispiel Menschen in einer schwierigen bzw. kritischen Phase ihres Lebens, Patientinnen und Patienten, Betreute und Bewohnende, An- und Zugehörige, Hausärztinnen und Hausärzte, Pflegende, behandelnde weitere Ärztinnen und Ärzte, gute Freunde bzw. Vertrauenspersonen, gesetzlich Betreuende, Vorsorgebevollmächtigte oder auch Seelsorgende.

Niedrigschwellig, kostenfrei, mit Schweigepflicht

Basierend auf der Satzung hat sich im Zeitverlauf das Selbstverständnis der AEBH herausgebildet.

  • Um Betroffenen und Beteiligten den Zugang zu den Beratungsangeboten möglichst niedrigschwellig und barrierearm zu ermöglichen, ist die AEHB mit den Regionalgruppen und den zugehörigen Beratungsteams in aktuell fünf Regionen Hessens verfügbar. Der Kontakt zu einem der Beratungsteams kann auf unkomplizierte Weise telefonisch und über E-Mail hergestellt werden.
  • Die Schweigepflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit ist selbstverständlich und zentral bei der Tätigkeit der Beratungsteams. Die Schweigepflicht gilt aber auch für alle anderen an der Ethikberatung beteiligten Personen wie zum Beispiel An- und Zugehörige, Hausärzte, Pflegende und gesetzlich Betreuende.
  • Die AEBH und die Regionalgruppen mit den zugehörigen Beratungsteams erbringen ihre Arbeit ehrenamtlich. Die Anfrage für eine Ethikberatung als auch die Beratung selbst sind kostenfrei.
  • Die Beratungsteams sind multiprofessionell aufgestellt, damit ein von vielen Perspektiven getragener Blick auf die betreffende Situation und die Gegebenheiten möglich wird. Mitglieder der Beratungsteams sind beispielsweise Ärzte, Pflegende, Juristen und Seelsorgende.
  • Alle Mitglieder der Beratungsteams sind für die Ethikberatung im Gesundheitswesen qualifiziert.
  • Um Kenntnisse und Qualifikationen auf dem neuesten Stand zu halten, nehmen alle Mitglieder der Beratungsteams regelmäßig an Weiterbildungen teil.
  • Die Hierarchiefreiheit innerhalb der Beratungsteams ist ein besonderes Merkmal. So sind die Teams leitungsfrei aufgestellt, Entscheidungen werden im Konsens und demokratisch getroffen bzw. erarbeitet.
  • Die Beratungsteams der Regionalgruppen und die Beratenden selbst sind unabhängig und nicht weisungsgebunden. Dies gilt insbesondere in Bezug auf andere Akteurinnen und Akteure und Strukturen in der ambulanten Versorgung wie z. B. berufsständische Organisationen, Pflegeeinrichtungen, Kostenträger und andere.

Trotz positiver Entwicklung weiterhin Herausforderungen bei der Implementierung

Trotz der positiven Entwicklungen bei Strukturaufbau und Selbstverständnis bestehen für die AEHB Herausforderungen bei der Implementierung des Beratungsangebots. So ist für eine auf Dauer angelegte, qualitätsgesicherte außerklinische Ethikberatung eine zumindest auskömmliche Finanzierung erforderlich. Zurzeit tragen die ehrenamtlich tätigen Vereinsmitglieder und die ehrenamtlich tätigen Beratenden die anfallenden Kosten in aller Regel selbst – auch wenn diese im Einzelfall, z. B. durch Spenden oder unterstützende Landkreise zum Teil aufgefangen werden.

Herausfordernd ist für Betroffene und Beteiligte und insbesondere für die ehrenamtlich tätigen Ethikberatenden zudem der häufig entstehende, nicht geringe Aufwand an Zeit und Mitteln (Logistik, Koordination, Fahrzeugnutzung, Fahrtkosten). Dieser Aufwand ist zwar ein immanenter und charakteristischer Bestandteil der ambulanten Ethikberatung, bedarf aber in der Bewältigung einer zumindest auskömmlichen Finanzierung.

Berührungsängste

Eine weitere Herausforderung stellen die Berührungsängste bei Betroffenen und Beteiligten dar. Die Inanspruchnahme einer moderierenden Ethikberatung kann ebenso wie auch bei anderen Beratungen mit Ängsten verbunden sein, z. B. vor Urteilen oder auch vor Veränderungen. Den Unsicherheiten über den Beratungsprozess sowie Vertrauensbedenken und finanzielle Bedenken kann bereits im Vorfeld begegnet werden. Hier kommen den Informationen zur Beratung und deren Ablauf, zur Kostenfreiheit und zur Schweigepflicht große Bedeutungen zu.

Verbesserungsbedürftige öffentliche Präsenz & Bekanntheit

Die ambulante Ethikberatung ist in der Öffentlichkeit, bei Betroffenen und bei lokalen Akteurinnen und Akteuren wie zum Beispiel Hausärztinnen und Hausärzte nicht in ausreichendem Maß bekannt – trotz der Informationsangebote auf der Internetseite des Vereins und gedrucktem Infomaterial. Die daraus resultierende, relativ geringe Nachfrage nach Beratungen kann gesteigert werden durch die Verbesserung der öffentlichen Präsenz.

Wünschenswertes für die Zukunft

Die ambulante Ethikberatung steht angesichts der sich ständig ändernden gesellschaftlichen, sozialen und medizinischen Landschaft und den damit einhergehenden ethischen Fragen vor großen Herausforderungen.

  • Sicherung und Stabilisierung der Finanzierung der laufenden Kosten, der Kosten der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Kosten für die Aus- und Fortbildung der Ethikberatenden.
  • Verbesserung der öffentlichen Bekanntheit und der medialen Präsenz zur Erhöhung der Inanspruchnahme.
  • Integration von technologischen Fortschritten, bspw. durch Online-Videokonferenzen, um den Zugang zu ethischer Beratung zu verbessern und gleichzeitig Privatsphäre und Vertraulichkeit zu wahren.
  • Verstärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Ethikberatenden und lokalen Akteuren wie zum Beispiel Hausärzten, Pflegenden und gesetzlich Betreuenden, um die komplexer werdenden ethischen Fragen lösen zu können.
  • Berücksichtigung von aktuellen Forschungsergebnissen und Einbindung bewährter Praktiken in die Ethikberatung sowie Förderung von Fort- und Weiterbildung, um Ethikberatende auf dem neuesten Stand zu halten.

Die ambulante Ethikberatung ist auch in Zukunft ein entscheidender Faktor dafür, dass Betroffene in der außerklinischen Umgebung in ethischen Fragen gut informiert sind und bestmögliche Entscheidungen treffen können.

Ulrich Thomé, Mitglied der AEBH e. V. und Berater in der Region Marburg/Biedenkopf