Dem Krankenhausträger obliegen bekanntlich vertragliche Pflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der stationär aufgenommenen Patienten. Er hat unter anderem alle notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass sich ein auf Grund der konkreten Situation für den Patienten bestehendes Sturzrisiko verwirklicht. Mit diesem Ende 2023 ergangenem Leitsatz festigt und vertieft der Bundesgerichtshof [1] seine bisherige Rechtsprechung.

I.

Sachverhalt: Der zwischenzeitlich verstorbenen Patientin wurde in dem von der Beklagten betriebenen Klinikum eine Knieendoprothese implantiert. Der unmittelbare postoperative Verlauf war zunächst unauffällig. Zwei Tage später erschien die Patientin zunehmend desorientierter. Ein Schädel-CT ergab keinen Befund. Aufgrund der eingetretenen Verwirrtheit wurde der Patientin am übernächsten Abend bei der Zubereitung des Essens geholfen und sie wurde für die Einnahme des Essens im Bett gelagert. Wegen anhaltender Unruhe und Verwirrtheit wurde sie für die Nacht auf die Intensivstation verlegt und am Morgen des Folgetages in ihr Stationszimmer zurückverlegt. Es wurde ein „extrem hohes Sturzrisiko“ angenommen, das auf der Sturzrisikoskala frühmorgens mit 12 Punkten bewertet wurde. Im Laufe des Vormittags stürzte die Patientin im Beisein einer Pflegekraft bei dem Transfer auf den WC-Stuhl, wobei sie unverletzt blieb. In der Pflegedokumentation ist für diesen Vormittag, 11.40 Uhr, festgehalten: „Pat heute morgen sehr verwirrt und unbeholfen, Pat bei Transfer auf den WC-Stuhl davongeglitten auf den Boden, mit Hilfe wieder in Stuhl gebracht, hat sich nicht verletzt, ... Pat ist tw nicht in der Lage, einfache Tätigkeiten zu verrichten, braucht sichtlich Anregung, um zu verstehen und umzusetzen, Pat wieder ins Bett gebracht, hat an der Bettkante etwas gegessen, gegen 10.30 Uhr klärte Pat auf und kann Abläufe, Personen wieder richtig einordnen ...”

Das Mittagessen wurde der Patientin auf den Nachttisch gestellt. Sie stürzte um 11.45 Uhr von der Bettkante sitzend und fiel auf den Boden. Dabei erlitt sie eine Unterschenkelmehrfachfragmentfraktur links, die am selben Tag operativ behandelt wurde. Nach zunächst unauffälligem Verlauf ergaben sich in der Folgezeit Komplikationen, die dazu führten, dass der Patientin im März 2010 der linke Unterschenkel und nach einem erneuten Sturz im November 2010 auch der linke Oberschenkel amputiert werden musste.

Die Erben der Patientin machen Schadenersatz geltend. Sie vertreten die Auffassung, dass der Zustand beim Mittagessen weitere Schutz- und Obhutsmaßnahmen erfordert hätte, deren Unterlassen einen groben Behandlungsfehler darstelle. Die Patientin sei darüber hinaus grob behandlungsfehlerhaft nicht darüber aufgeklärt worden, dass sie sich nicht alleine mobilisieren dürfe. Beide Vorinstanzen habe das Klagebegehren abschlägig beschieden. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

II.

Aus den Gründen:„Die pflegerische Betreuung der stationär aufgenommenen Patienten gehört zu den Vertragsaufgaben des Krankenhausträgers und dieser trägt insoweit eine eigene Verantwortung für das von ihm eingesetzte Pflegepersonal ... [2]. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte das „extrem hohe Sturzrisiko“ noch im Zeitpunkt des zweiten Sturzes der Patientin fortbestanden. Die Anreichung des Mittagessens durch bloßes Abstellen auf dem Nachttisch ohne jede Hilfestellung in der konkreten Situation angesichts des kognitiven und körperlichen Zustands der kurz zuvor operierten Patientin stellt nach Auffassung des Senats einen groben Pflegefehler dar.

Die Patientin hat die Situation noch nicht wieder beurteilen und bestehende Risiken und Gefahren nicht richtig erkennen und auch ihre körperlichen Fähigkeiten nicht richtig einschätzen können. Das Klinikpersonal hätte bei dem gebotenen Management für die Mittagszeit mit noch verbleibenden kognitiven und körperlichen Defiziten der Patientin rechnen müssen.

Seitens der Pflege war zu bedenken, dass sich die Patientin möglicherweise objektiv unvernünftig verhalten und den Versuch hätte unternehmen können, zum Essen aufzustehen. Das Mittagessen hätte zumindest so angereicht werden müssen, dass die Patientin es im Bett habe einnehmen können ohne in die Versuchung zu kommen, sich selbstständig an der Bettkante aufzusetzen. Dazu wäre es lediglich notwendig gewesen, das Essen auf den ausgeklappten Tisch zu stellen und diesen über das Bett zu schwenken sowie die Patientin durch das Hochstellen des Kopfteils in eine halbsitzende Position zu bewegen.

Die Pflegekraft hat das Mittagessen kommentarlos auf den Nachttisch gestellt, sich entfernt und es der Patientin überlassen, es irgendwie einzunehmen. Gerade durch das Abstellen des Essens auf dem Nachttisch ist ein Aufstehen oder Aufsetzen der Patientin an/auf der Bettkante provoziert und damit ein besonderes Risiko des Sturzes begründet worden, zumal die Patientin zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden ist, dass sie jede selbstständige Mobilisation zu unterlassen hat. [3]

Dr. jur. Thomas K. Heinz, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, E-Mail: dr.heinz@freenet.de

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