Eigentlich sollte dieses Co-Editorial das aktuelle Dilemma der GÖÄ beschreiben. Dieses Dilemma, liebe Leserinnen und Leser, ist aber komplexer und erfordert ein weiteres Ausholen.

Während Studium und Weiterbildung wollten wir uns um Patienten kümmern. Ein Beruf mit hohem sozialen Anspruch, auch ein vernünftiges Auskommen war abzusehen, stand aber nicht im Vordergrund. Das Genfer Gelöbnis war ein guter Leitfaden. Die Wahl des Gebietes, in dem man tätig werden wollte, erfolgte vorwiegend aus medizinischem Interesse.

Diktat der Ökonomie

Das ist viele Jahre her und gilt nun nicht mehr. Kaufmännische Geschäftsführer von Kliniken geben den Ton an. Chefärzte, früher „Halbgötter in Weiß“, sind Weisungsempfänger und versuchen, zwischen Medizin und Ökonomie zu vermitteln. Lukrative Eingriffe sollen bevorzugt, Mitarbeiter reduziert und „der Laden am Laufen“ gehalten werden. Ärztliche Weiterbildung wird zur Nebensache. Das ursprüngliche Interesse am Patienten wird in Arbeitslast und Bürokratie erstickt.

Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich darauf in in der eigenen Praxis engagiert und erleben jetzt ein Déjà-vu. Die selbstständige Praxis, alleine oder in einer Gruppe, mutiert zum Franchise-Unternehmen. Definition gefällig? Ein Franchise-Geber entwickelt eine multiplizierbare Geschäftsidee – wer mitmachen will, kauft die Geschäftslizenz und muss sich an alle Vorgaben halten.

Die Vorgaben kennen alle, die als Vertragsärzte eine Lizenz vom Zulassungsausschuss erhalten haben und sich an alle Regeln halten müssen. Ursprünglich regelten die Kassenärztlichen Vereinigungen ein gedeihliches ärztliches Miteinander. Inzwischen sind andere Player am Werk.

„Die neue GOÄ für Ärztinnen und Ärzte beschreibt ein vorsätzliches Staats- versagen“

Seehofer, Schmidt und die folgenden Bundesminister für Gesundheit haben die selbstbestimmte Berufsausübung eradiziert. Zulassungen, Regresse, Budgets, Öffnungszeiten, IT-Vorgaben und seit neuem auch Eingriffe in ureigene Bereiche wie Terminplanung werden wie selbstverständlich auferlegt. Dabei haben sich die Regeln und Begrenzungen in all den Jahren zunehmend verschärft, mit abschreckendem Charakter für jeden Berufseinsteiger. Perfide ist dabei die Umwidmung der Kassenärztlichen Vereinigungen zum verlängerten Arm und Vollstrecker der Verordnungsgeber.

Für Franchise-Unternehmer gibt es bei allen Vorgaben meist die Möglichkeit, durch ein zusätzliches Engagement einen Mehrerlös zu erwirtschaften. Im vertragsärztlichen Bereich wird dies erfolgreich verhindert. Der Arzt also ein Franchise-Unternehmer zweiter Klasse?

Ein kleiner Ausweg für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen sowie Leitende Ärzte im Krankenhaus war die Versorgung von privat versicherten Patientinnen und Patienten. Die generierten Erlöse stopften Löcher der gesetzlichen Abrechnung, z. B. bei der Gastroskopie, subventionierten und stabilisierten die Einkünfte der Praxen. Doch auch dieses Geschäftsmodell gerät mit der neuen GOÄ ins Wanken.

Die neue Gebührenordnung für Ärztinnen und Ärzte beschreibt ein vorsätzliches Staatsversagen. Aus politischen Gründen wurde über Jahrzehnte ein angemessenes Honorar für ärztliche Leistungen versagt. Unter diesem maximalen Druck und gegen alle bekannten politischen Widerstände hat die Bundesärztekammer versucht, eine neue GOÄ mit einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation aufzusetzen und zu konsentieren. Dabei sind ihr vermutlich zwei Fehler unterlaufen.

Frage nach den Konsequenzen

Berufsverbände klagen, nach einer Konsentierung der GOÄ im Vorjahr, jetzt über überraschende Abwertung von Leistungen, die eine kostendeckende oder gar einen Überschuss generierende Leistungserbringung unmöglich machen. Noch ein Zuschussgeschäft braucht niemand. Die Beteiligung der ärztlichen Berufsverbände war bei diesem heiklen Thema insgesamt wohl nicht ausreichend. Es sei daran erinnert, dass die in den ärztlichen Berufsverbänden engagierten Kolleginnen und Kollegen als gewählte Abgeordnete das Rückgrat der verfassten Ärzteschaft bilden.

Am Ende des Co-Editorials stellt sich die Frage nach den Konsequenzen. BÄK-Präsident Reinhardt hat die neue GOÄ entwickelt, er sollte sie mit den Verbänden jetzt noch einmal intensiv beraten und objektiv notwendige und existenziell unabdingbare Anpassungen vornehmen. Forderungen nach einem Rücktritt werden zu schnell erhoben. Wer eins und eins zusammenzählen kann, weiß, wer der Gewinner wäre. Das kann keiner wollen.

Gemeinsames Ziel ist eine gute Berufsausübung und individuelle Patientenversorgung mit ausreichender Honorierung, auch für hoch investive Bereiche mit überdurchschnittlichen finanziellen Belastungen und Risiken. Mit dem Rücken an der Wand lässt sich keine vernünftige Medizin machen.

Dr. med. Wolf Andreas Fach, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen