Bei telemedizinischer Hinzuziehung eines Facharztes bestehen besondere Organisations- und Koordinationspflichten, um Schnittstellenrisiken und Zeitverzögerungen zu verhindern. Die Abläufe sind anhand von Standard-Operating-Procedures (SOP’s) so detailliert und engmaschig zu regeln, dass der Patient rechtzeitig durch die fachlich einschlägigen Ärzte und mit der gebotenen Schnelligkeit diagnostiziert und behandelt wird.

In einem durch das Landgericht München II entschiedenen Fall (LG München II, Urteil vom 10.05.2022 , Az. 1 O 4395/20 Hei) wurden einer Patientin Schadensersatzansprüche sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 120.000 Euro wegen Arzthaftung im Rahmen einer medizinischen Notfallbehandlung zugesprochen. In dem zugrunde liegenden Fall wurde die Klägerin wegen Kollapses notfallmäßig in das nächstgelegene Kreiskrankenhaus eingeliefert. Bei der dort veranlassten CT-Untersuchung erfolgte die Befundung über ein Telemedizin-Netzwerk zur Schlaganfallversorgung in Kooperation mit dem Krankenhaus der Vollversorgung des Regierungsbezirks. Die CT-Angiographie der Schlaganfallpatientin erfolgte um mindestens 80 Minuten verzögert, wodurch die Verlegung in das Krankenhaus der Vollversorgung stark verzögert wurde. Grund dafür waren, wie das Gericht feststellte, mangelnde detaillierte Regelungen, wer für was zuständig ist; die erforderliche Hinzuziehung der Neurologen neben den Radiologen zur Schlaganfallabklärung wurde durch die beteiligten Funktionseinheiten ebenfalls unterlassen. Das Gericht musste feststellen, dass bei zeitgerechter CT-Angiographie der schwere Schlaganfall der 51-jährigen Patientin und Mutter mit daraus resultierender Schwerbehinderung (anerkannter GdB 100, Pflegegrad 3) und Berufsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können.

Das Gericht urteilte dazu aus, dass bei telemedizinischer Zusammenarbeit eine engmaschige Vernetzung erforderlich ist und durch detaillierte Regelungen in Form von Standard-Operating-Procedures (SOP’s) klar festzulegen ist, wer wann für was zuständig ist. Eine bloße Verständigung auf die „gemeinsame leitliniengerechte Behandlung in der telemedizinischen Schlaganfallversorgung“ entspricht nicht der Absprache-und Koordinationsverpflichtung der Behandlungsbeteiligten, so das Gericht. Bei telemedizinischer Zusammenarbeit sind die besonderen Schnittstellenrisiken, die insbesondere in der Ablaufplanung, den Übernahmepflichten mit Entscheidungsverantwortung und zu definierenden Zeitabläufen bestehen, durch engmaschige Vernetzung zu schließen. Es gelten besondere Organisations- und Koordinationspflichten. Dies hat Allgemeingültigkeit für alle telemedizinischen Zusammenarbeitsformen, die im Rahmen der anstehenden Krankenhausreform künftig ambulant-stationär und auch unter ambulanten Partnern zunehmend Einzug halten dürften.

Henriette Marcus, LL. M., Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht, Frankfurt am Main, E-Mail: info@marcus-medizinrecht.de