Tierfiguren auf weißen und pastellgrünen Wänden, helles Holz und thematisch nach verschiedenen Kontinenten gestaltete Untersuchungszimmer: Die Praxisräume von Kinderärztin Dr. med. Konstantina Tzamouranis wirken freundlich und international. Am Eingang heißt ein großes Weltbild auf über 40 Sprachen herzlich willkommen. „Ich mag Offenbach mit seiner jungen Bevölkerung. Über 162 Nationen leben hier und diese Internationalität soll sich auch optisch in der Praxis widerspiegeln“, sagt Tzamouranis, mit einem Kubaner verheiratete Deutsch-Griechin. Vor weniger als einem Jahr hat sie die Kinderarztpraxis in der Fußgängerzone eröffnet und ist, trotz administrativer Hürden und finanzieller Belastungen, froh, sich für die Niederlassung entschieden zu haben.
„Es gibt einen Riesenbedarf“
„Es gibt einen Riesenbedarf an kinderärztlicher Versorgung und die Arbeit macht Spaß“, erklärt die 57-Jährige, bevor sie sich ihren kleinen Patienten in der Akutsprechstunde zuwendet. Heute, mitten im Januar, kommen die meisten mit Erkältungssymptomen. So auch der erst wenige Monate alte Junge aus Bulgarien in Begleitung von Mutter und Großvater. Nach der Untersuchung erklärt Tzamouranis dem Großvater auf Griechisch, dass der Säugling einen leicht geröteten Hals und Schnupfen habe. Sie tippt die Diagnose direkt in den Computer ein, betont, wie wichtig es sei, dass das Kind viel trinke und verschreibt Nasentropfen. Der des Griechischen mächtige Großvater übersetzt ihre Worte für seine Schwiegertochter ins Bulgarische. „Hier hat die Verständigung aufgrund der Sprachkenntnisse funktioniert“, freut sich Tzamouranis.
Die nächste Patientin ist neun Jahre alt und „ein richtiges Offenbacher Mädchen“, wie die Mutter sagt. Sona habe Corona gehabt und jetzt vermutlich eine Bronchitis, denn sie huste stark. Tzamouranis hört die lebhafte Kleine gründlich ab, stellt fest, dass die Lunge ganz frei ist und verordnet einen Hustenstiller für die Nacht. Mit Blick in den Computer erinnert sie die Mutter außerdem an die im Sommer fällige U 11. Im benachbarten Untersuchungsraum wartet schon ein Paar mit knapp zweijähriger Tochter. Vor wenigen Tagen ist die Familie aus dem Urlaub in Bosnien zurückkehrt, seitdem ist das Kind krank. Da die Mutter kaum Deutsch spricht, dolmetscht der Vater das Gespräch: „Es ist ein Erkältungsinfekt, wie er im Winter weit verbreitet ist. Nur ein leicht geröteter Hals, nichts Schlimmes“, kann die Kinderärztin die besorgten Eltern beruhigen, bevor sie von einer Mitarbeiterin zur nächsten Untersuchung gerufen wird.
Dafür, dass der Ablauf in der Kinderarztpraxis möglichst reibungslos funktioniert, sind zwei Medizinische Fachangestellte (MFA) und eine Auszubildende zuständig. „Auch wegen des Nachwuchsmangels ist es nicht einfach, qualifizierte MFA zu finden, aber ich hatte Glück und habe tolle Mitarbeiterinnen einstellen können, die auch konzeptionelle Arbeit leisten“, sagt Tzamouranis. Die Organisationsstruktur habe sie gemeinsam mit der Praxismanagerin erarbeitet. Nach den Vormittagsterminen von 9 bis 11:30 Uhr wird ab 11:30 Uhr eine Sprechstunde für akute Krankheitsfälle angeboten. In jedem der drei Behandlungszimmer steht ein PC, damit die Ärztin die Behandlungen gleich dokumentieren kann. „Rezepte und Überweisungen mache ich selbst, auf diese Weise entstehen keine Staus in der Anmeldung. Dort werden unsere kleinen Patientinnen und Patienten mit ihren Eltern in Empfang genommen und auch die Termine vereinbart.“
Mit Mitte 50 die Praxis eröffnet
Wie kam die gebürtige Frankfurterin dazu, sich mit Mitte 50 auf die Herausforderung einer Praxiseröffnung einzulassen? Geplant sei dieser Schritt ursprünglich nicht gewesen, gibt Tzamouranis zu. Die Jahre zuvor hatte die auf Kinderdiabetologie spezialisierte Pädiaterin als Oberärztin in einer hessischen Klinik gearbeitet. Wachsende Unzufriedenheit mit der Strategie der Geschäftsführung führte schließlich dazu, dass sie Ende 2020 aus dem Klinikbetrieb ausschied, und dann erst einmal freiberuflich als Springerin in Krankenhäusern und Praxen arbeitete sowie Notdienste übernahm. „Ich war zeitlich mehr als ausgelastet und habe auch gut verdient“, erinnert sich Tzamouranis. Aber als sie zufällig von einem freien Praxissitz in Offenbach erfuhr, war ihr Interesse geweckt und sie bewarb sich. Als die Zusage der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) für den Sitz eintraf, sei dies wie ein Wink des Schicksals gewesen. Tzamouranis, die in Darmstadt lebt, kennt Offenbach gut. Seit 2003 war sie regelmäßig im kinderärztlichen Notdienst einer Klinik tätig, hat die vergangenen drei Jahre oft eine niedergelassene Kollegin vertreten. Sie wusste daher, wie dringend Kinderärztinnen und Kinderärzte in der Stadt gebraucht werden. „Neben körperlichen Erkrankungen gibt es bei Kindern auch viele psychosoziale Probleme, Sprachentwicklungsverzögerungen und anderen Förderbedarf. Die Kollegen arbeiten an der Belastungsgrenze und wer in den Ruhestand geht, hat Mühe, einen Nachfolger zu finden. Gleichzeitig wächst die Zahl der Patienten, da immer mehr junge Familie in die Stadt ziehen.“
Auf Hindernisse gestoßen
Was Tzamouranis nicht ahnen konnte, waren die Hindernisse, die sich ihr in den Weg stellen sollten. So fand sie zunächst trotz intensiver Suche im Internet, bei Maklern und Hausverwaltungen keine Praxisräume. „Entweder waren sie ungeeignet, oder unbezahlbar“, so Tzamouranis. „Gleichzeitig standen viele Gewerbeflächen und Büroräume leer. Auch Flächen in einem Gebäude, die ich gerne gemietet hätte.“ Sie erkundigte sich und erhielt eine Absage. Auf Nachfrage erklärte ihr ein Makler, dass es sich bei einigen leer stehenden Immobilien um Umsatzsteuer-Objekte von Investoren handele, die Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückbekommen wollten. Wenn sie als Ärztin, die als freier Beruf keine Umsatzsteuer bezahle, mit ihrer Praxis ein solches Objekt beziehe, bedeute das für den Investor einen „Umsatzsteuerschaden“, deswegen sei man gar nicht so an ÄrztInnen als Mieter interessiert. „Ich war sprachlos und habe mich in meiner Verzweiflung an eine Zeitung gewandt, die dann über meine Situation berichtete“, erzählt die Kinderärztin. Der Artikel stieß auf ein großes Echo und war zugleich erfolgreich, denn von den eingehenden Offerten erwies sich ein Angebot als perfekt: „Eine Apothekerin suchte eine Nachmieterin oder einen Nachmieter für die Räume einer ehemaligen Frauenarztpraxis in zentraler Lage. Bei der Besichtigung war ich sofort von den Räumen begeistert, auch stimmte die Chemie zwischen der Vermieterin und mir, so dass der Vertrag umgehend unterzeichnet werden konnte“, berichtet Tzamouranis. Die Vermieterin war auch bereit, umbauen zu lassen, eine befreundete Architektin habe dann den Umbau mitbetreut und die Neugestaltung der Praxisräume übernommen.
„Der Schritt lohnt sich“
Dass eine Niederlassung alles andere als umsonst ist, stellt die Kinderärztin klar. Sie habe einen höheren sechsstelligen Betrag in die Praxis investiert; ein großer Teil davon sei in die EDV geflossen. „Ich lebe derzeit noch auf Pump und gehe davon aus, dass ich zwei, drei Jahre intensiv arbeiten muss, bis ich finanziell auf festen Beinen stehe. Wer glaubt, sich mit einer Kinderarztpraxis eine goldene Nase zu verdienen, wird enttäuscht.“ Viele junge Ärztinnen und Ärzte trauten sich nicht, sich niederzulassen, sie scheuten die Verantwortung und die finanzielle Belastung der Selbstständigkeit. Aber der Schritt lohne sich: „Ich kann jede und jeden nur dazu ermutigen, denn die Arbeit ist absolut erfüllend, da man gebraucht wird und gestalten kann. Auch ist es wichtig, sich mit Kolleginnen und Kollegen zu vernetzen, um sich gegenseitig unterstützen zu können.“
Tzamouranis möchte noch zehn bis zwölf Jahre arbeiten und hofft, in den nächsten Jahren einen jüngeren Kollegen oder eine Kollegin zu finden, die mit einsteigt und später ihre Nachfolge übernimmt. Voraussetzung dafür wäre, dass die KV einen weiteren Kinderarztsitz in Offenbach ausweise. Genug zu tun gebe es auf jeden Fall: „Ich bin glücklich mit dem, was ich täglich mache.“
Katja Möhrle