Prof. Dr. med. Bernd Mühlbauer, Dr. med. Michael Zieschang
Der Artikel ist ein genehmigter Nachdruck aus Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) Band 51, Heft 1, April 2024. Abrufbar unter www.akdae.de.
Aktuelle Diskussion
In einer Mitteilung der Firma Bayer im Deutschen Ärzteblatt wird der Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist (MRA) Finerenon (Kerendia®) als innovative Therapieoption beschrieben, die „bei Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) mit Albuminurie das Fortschreiten der chronischen Nierenerkrankung (chronic kidney disease, CKD) verlangsamen und das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinsuffizienz-Hospitalisierungen reduzieren kann“ [1]. Als Beleg werden die Daten einer Metaanalyse namens FIDELITY [2] angeführt. Auch in den Leitlinien der European Society of Hypertension (ESH) wird den MRA ein wichtiger therapeutischer Stellenwert beigemessen [3]. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sieht das in der frühen Nutzenbewertung von Finerenon eher nicht so, wobei seine Bewertung nach Krankheitsfortschritt differenziert erfolgte: Für Stadium 3 und 4 der diabetesbedingten CKD mit Albuminurie erkannte er keinen Zusatznutzen, für die Stadien 1 und 2 einen Anhaltspunkt für geringen Zusatznutzen [4, 5].
MRA bei diabetischer Nephropathie
Dass MRA nicht nur bei Herzinsuffizienz, sondern auch bei diabetischer Nephropathie eine wichtige therapeutische Rolle spielen könnten, wird schon lange diskutiert. Da der klassische steroidale MRA Spironolacton neben dem Mineralokortikoidrezeptor auch an andere Steroidrezeptoren bindet, birgt sein Einsatz das Risiko unangenehmer Nebenwirkungen wie Gynäkomastie, Libidoverlust und Impotenz. Bei dem ebenfalls steroidalen Eplerenon treten diese Nebenwirkungen aufgrund seiner höheren relativen Affinität zum Mineralokortikoidrezeptor in geringerem Ausmaß auf. Mit Finerenon wurde 2022 der erste nichtsteroidale MRA zugelassen, der keine endokrine Nebenwirkungen verursachen soll.
Bestehen bleibt jedoch das Risiko der Hyperkaliämie. Es ist aufgrund des Wirkmechanismus der MRA quasi intrinsisch. Laut Fachinformation gelten für Finerenon dieselben Warnhinweise wie für die steroidalen MRA, z. B. kein Behandlungsbeginn bei Serumkalium über 5 mmol/l [6]. Die Kaliumretention macht insbesondere den Einsatz von MRA in Kombination mit ACE-Inhibitoren und AT1-Rezeptor-Antagonisten, dem unbestrittenen Therapiestandard bei Herzinsuffizienz und T2DM, problematisch, da diese per se Hyperkaliämien auslösen können.
Verfügbare Evidenz
Finerenon soll die Bildung proinflammatorischer und profibrotischer Substanzen vermindern und so das Fortschreiten der CKD verlangsamen. Zur Zulassung führten die Daten zweier großer Studien, FIDELIO-DKD mit über 5.600 [7] und FIGARO-DKD mit über 7.300 Patienten [8]. Die therapeutischen Effekte sind allerdings überschaubar. So fanden sich statistisch signifikante Mortalitätsunterschiede in keiner der beiden Studien.
Primärer Endpunkt bei FIDELIO-DKD war die Kombination aus eGFR-Abfall um mindestens 40 % gegenüber dem Ausgangswert, Nierenversagen (Nierentransplantation, chronische Dialyse oder eGFR dauerhaft unter 15 ml/min/1,73 m2,) und renal bedingtem Tod. Dieser Endpunkt trat innerhalb von 2,6 Jahren (im Median) bei 17,8 % der mit Finerenon behandelten Patienten auf und bei 21,1 % in der Placebogruppe (Hazard Ratio [HR] 0,82; 95 % Konfidenzintervall [CI] 0,73–0,93; Number Needed to Treat [NNT] = 29 über 3 Jahre).
Der Unterschied beruhte im Wesentlichen auf dem eGFR-Abfall (16,9 % versus 20,3 %; HR 0,81; 95 % CI 0,72–0,92). Die anderen Endpunktkomponenten unterschieden sich nicht signifikant. Der relevante sekundäre Endpunkt war eine Kombination aus nichttödlichem Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulär bedingtem Tod und Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz. Der Unterschied erreichte gerade eben statistische Signifikanz (13,0 % unter Finerenon vs. 14,8 % unter Placebo, HR 0,86; 95 % CI 0,75–0,99).
Finerenon wurde zunächst für die Behandlung von CKD bei T2DM im Stadium 3 und 4 zugelassen. Kurz darauf erfolgte eine Erweiterung der Indikation auf die Stadien 1 und 2, beruhend auf den Daten der Doppelblindstudie FIGARO-DKD. Sie war ähnlich angelegt wie FIDELIO-DKD, schloss aber Patienten mit einem breiteren Spektrum an CKD-Stadien ein. Außerdem waren primärer und wesentlicher sekundärer Endpunkt gegenüber FIDE-LIO-DKD vertauscht. Die Patienten waren im Mittel 64 Jahre alt und zu 69 % Männer. Die kardiovaskulären Ereignisse des primären Endpunkts traten innerhalb von 3,4 Jahren (im Median) bei 12,4 % der Finerenon-Gruppe gegenüber 14,2 % der Placebo-Gruppe ein (HR 0,87; 95 % CI 0,76–0,98; NNT 47 über 3,5 Jahre). Der Unterschied war vorwiegend auf seltenere Krankenhausaufnahmen wegen Herzinsuffizienz zurückzuführen (3,2 % vs. 4,4 %; HR 0,71; 95 % CI 0,56–0,90). Die anderen Endpunktkomponenten zeigten keine signifikanten Unterschiede. Auch in den renalen Variablen als kombiniertem sekundären Endpunkt fanden sich keine signifikanten Unterschiede (9,5 % versus 10,8 %; HR 0,87; 95 % CI 0,76–1,01).
Die Verträglichkeit von Finerenon war in den Studien allgemein gut. Finerenon-bezogene Hyperkaliämie wurde erwartungsgemäß deutlich häufiger beobachtet als unter Placebo (10,8 % versus 5,3 % in FIGARO-DKD und 11,8 % versus 4,8 % in FIDELIO-DKD). Hyperkaliämien, die zum Absetzen der Studienmedikation zwangen, traten in FIGARO-DKD bei 1,2 % (n = 46/3683) der mit Finerenon behandelten Patienten versus 0,4 % (n = 13/3658) in der Placebogruppe auf. In FIDELIO-DKD war dies mit 2,3 % (m = 64/2827) unter Finerenon versus 0,9 % (n = 25/2831) unter Placebo ähnlich.
Ein Hauptkritikpunkt an der Aussagekraft der beiden Studien ist, dass nur wenige Patienten zu Beginn (4–6 %) oder im Verlauf (6–13 %) SGLT-2-Inhibitoren erhielten. Auch wenn es den Studieninitiatoren nicht vorzuwerfen ist, bei Planung des Protokolls die damals noch nicht als therapeutischer Standard angesehenen SGLT-2-Inhibitoren nicht berücksichtigt zu haben, ändert das nichts an der kritischen Bewertung: Ob Finerenon zusätzlich zur Gabe der heutigen Standardtherapie einen Nutzen bringt, ist ungeklärt. Darüber hinaus war der Blutdruck der Studienpatienten nicht leitliniengerecht eingestellt. Selbst wenn man nicht der strengen Leitlinie der National Kidney Foundation’s Kidney Disease Outcomes Quality Initiative (KDOQI) folgen will, die bei Diabetikern einen systolischen Blutdruck von unter 120 mmHg fordert [9], wurden in den beiden Studien die derzeit konsentierten Blutdruckziele nicht erreicht: Mehr als ein Viertel der Studienteilnehmer hatte einen systolischen Blutdruck von über 144 mmHg.
Zusatznutzen
Finerenon wurde 2023 der Zusatznutzenbewertung gemäß AMNOG unterzogen. Für dieses Bewertungsverfahren wurden Teilpopulationen beider beschriebenen Studien herangezogen, um sowohl den Definitionen von T2DM und CKD zu genügen als auch eine Differenzierung in die Stadien 1/2 und 3/4 zu ermöglichen. Hierzu wurden die Diagnosekriterien der American Diabetes Association (ADA) sowie die der Leitlinie Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) [10] angewandt. In der Zusammenschau der Daten kam der G-BA zu dem Beschluss, dass für die Stadien 3 und 4 der diabetesbedingten CKD mit Albuminurie kein Zusatznutzen anzuerkennen ist. Für die Stadien 1 und 2 dagegen sah der G-BA einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen. In den im AMNOG definierten Kategorien des Zusatznutzes ist dies die in Ausmaß und Wahrscheinlichkeit schwächste aller möglichen positiven Bewertungen [4, 5].
Fazit für die Praxis
Damit bleibt der therapeutische Stellenwert von Finerenon ungeklärt, zumal Vergleiche zu anderen MRA komplett fehlen. Zurzeit laufen Studien mit wahrscheinlich besserer Umsetzung der gegenwärtigen Standardtherapie. Vielleicht sind diese Untersuchungen in der Lage, den Stellenwert der MRA genauer zu definieren. Bis dahin sollte Finerenon mit äußerster Zurückhaltung verordnet werden.
Prof. Dr. med. Bernd Mühlbauer, E-Mail: b.muehlbauer@pharmakologie-bremen.de
Dr. med. Michael Zieschang
Interessenkonflikte: Die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.
Die Literaturangaben finden Sie hier.