AVP wird 50 Jahre: Herzlichen Glückwunsch
Herzlichen Glückwunsch zu 50 Jahren evidenzbasierter und stets interessenneutraler Therapie-Information! Wir schätzen die wissenschaftlich immer hochkarätige und für fachliche Diskussion offene Wissensweitergabe sehr. Nicht nur für Nachdrucke in unserer Printausgabe, zukünftig mehr im HÄBL-ONLINE, freuen wir uns auf weiterhin beste Zusammenarbeit!
Dr. med. H. Christian Piper, für die Redaktion des Hessischen Ärzteblattes
Der Artikel ist ein genehmigter Nachdruck aus Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) Band 51, Heft 1, April 2024. Abrufbar unter www.akdae.de.
Finerenon wird als eine der vier Säulen der Therapie der kardiorenalen Protektion bei Patienten mit Niereninsuffizienz und Diabetes mellitus Typ 2 gepriesen [1]. In der Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wurde bei dem Arzneimittel aber kein Zusatznutzen zur Behandlung der diabetischen Nephropathie erkannt [2].
Wie kann das sein?
Bei 22 Mitgliedern der Taskforce „Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen“, die die neue Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) mit herausbrachten, haben lediglich zwei angegeben, dass sie keine Interessenkonflikte haben [3]. In dieser Leitlinie werden beispielsweise Mineralokortikoidantagonisten wie Finerenon als Klasse-I-Empfehlung für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und chronischer Nierenerkrankung zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos und zur Verminderung des Risikos für Nierenversagen genannt.
Die Definition der Sekundärprophylaxe in der lipidsenkenden Therapie wird auf Indikationen, die in Studien nicht untersucht wurden (Plaques in der Carotis), ausgedehnt [4].
Wie kann so etwas passieren?
Soll wirklich jeder mit einem BMI > 30 kg/m2 einen GLP-1-Agonisten bekommen, wie uns die Pharmaindustrie suggerieren will? Soll die Gemeinschaft aller Versicherten dafür aufkommen?
Von den Top 100 Pharmaunternehmen gaben im Jahr 2015 89 % mehr Geld für Werbung und Verkaufsförderung aus als für Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln. 64 Unternehmen investierten doppelt so viel, 58 dreimal so viel, 43 fünfmal so viel und 27 sogar zehnmal so viel in Werbung und Verkauf [5].
Um zu diesem Werbeaufwand einen unabhängigen evidenzbasierten Gegenpol zu schaffen, wurde die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 1911 gegründet.* Vor 50 Jahren wurde als Publikationsorgan dieser Kommission die Zeitschrift „Arzneiverordnung in der Praxis (AVP)“ ins Leben gerufen. Die Redaktion verpflichtet sich nach bestem Wissen und Gewissen, Arzneimittelinformation sachlich und evidenzbasiert zu berichten.
* Im Jahr 1911 wurde die Arzneimittelkommission der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin gegründet,um insbesondere vor den Gefahren bei der Arzneimittelbehandlung zu warnen. Zwar konnte die Kommission bis in die Jahre 1937 und 1938 ihre Informationen herausgeben, allerdings wurden diese bereits 1934 durch den damaligen Reichsarbeitsminister für die kassenärztliche Verordnung außer Kraft gesetzt. Erst als nach Überwindung der Kriegs- und Nachkriegsnotzeiten endlich gesetzgeberische Maßnahmen für das Arzneimittelwesen vorbereitet werden sollten, konnte an neue Initiativen der Arzneimittelkommission gedacht werden. So wurde die Kommission 1952 unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Freiherr Hans von Kreß neu konstituiert als Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Was heißt das?
Die Weltgesundheitsorganisation definiert es so [6]: „Rationale Arzneitherapie bedeutet, dass jeder Patient eine Medikation erhält, die für seinen klinischen Bedarf angemessen ist, in Dosen, die den Anforderungen entsprechen, für einen angemessenen Zeitraum und zu den niedrigsten Kosten für ihn und die Gemeinschaft.“
Über Jahrzehnte wurde AVP von Prof. Dr. med. Dietrich Höffler als Chefredakteur geprägt. Unter seiner redaktionellen Leitung sind zahlreiche Artikel erschienen, die auch heute noch als Mahnung gesehen werden können, wie zum Beispiel in Aufgabe 2/1998: „1.000 DM für einen Erfahrungsbericht – oder wie steigere ich den Produktumsatz“ [7]. Hier wird beschrieben – was auch heute leider noch gilt – wie subtil die Pharmaindustrie versucht, durch Gratifikationen auf das Urteil der Ärztinnen und Ärzte Einfluss zu nehmen.
Ein wichtiger Zeitzeuge, der das Geschehen als Vorsitzender und nun Ehrenmitglied der AkdÄ über Jahrzehnte kritisch beobachtet und sich diesen Tendenzen entgegengestellt hat, ist Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen. In der aktuellen Jubiläumsausgabe von AVP befindet sich ein Interview mit ihm und auch weitere Artikel zur langen Geschichte unseres Blattes.
Einiges hat sich schon verändert: So wurde AVP zum Beispiel 2014 von einer gedruckten Version in eine Online-Version umgewandelt, um schneller und zielgerichteter sein zu können. Doch weitere spannende Herausforderungen stehen uns bevor: Wie wird künstliche Intelligenz medizinische Informationen beeinflussen? Wer eine unendliche Vielzahl von Möglichkeiten statistisch prüfen kann, wird für ein Arzneimittel eine Möglichkeit finden, irgendeinen Surrogatparameter mit statistischer Signifikanz und davon abgeleiteter klinischer Relevanz zu versehen. Artikel im Netz, Kommentare zu Arzneimitteln in sozialen Medien und Foren, stammen die wirklich noch von real existierenden Menschen oder von der Bot-Brigade eines Dienstleisters? Neuigkeiten werden immer weniger in gedruckter Version, sondern in neuen Informationsmedien verbreitet (X, Instagram, TikTok usw.).
Wie werden wir lernen, damit umzugehen?
Dazu braucht es auch weiterhin – und vielleicht mehr denn je – eine unabhängige evidenzbasierte Arzneimittelinformation. Dafür steht die AkdÄ seit mehr als einem Jahrhundert. Seit 50 Jahren transportiert AVP die Informationen und Botschaften der AkdÄ zu Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, um eine kompakte und praxisbezogene Orientierungshilfe anzubieten. Dies werden wir auch zukünftig tun.
Dr. med. Michael Zieschang, E-Mail: mzieschang@me.com
Die Literaturangaben finden Sie hier.