Vor dem Seminargebäude in Bad Nauheim wehten die Flaggen Israels und der Ukraine. Auch auf den Tischen des Veranstaltungssaals standen im Wechsel Aufsteller mit der israelischen und der ukrainischen Fahne. Damit setze die Landesärztekammer Hessen ein klares Zeichen der Solidarität, vor allem mit der betroffenen Zivilbevölkerung, betonte Ärztekammerpräsident Dr. med. Edgar Pinkowski, bevor er den scheidenden Minister für Soziales und Integration Kai Klose (Bündnis 90/Die Grünen) als Gast auf der Delegiertenversammlung begrüßte. Nach „gewissen Anlaufschwierigkeiten“ hätten Politik und ärztliche Selbstverwaltung auch dank Corona ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten gepflegt.

Staatsminister Klose: Gemeinsam Brücken gebaut

„Wir haben viele Brücken gebaut, wo andere Mauern errichten“, lobte Klose die Kooperation mit der ärztlichen Selbstverwaltung in den zurückliegenden fünf Jahren. Die Landesärztekammer sei zugleich eine verlässliche Partnerin der Politik, aber auch eine beharrliche Interessenvertretung gewesen. Besonders hob der Minister die Rekordzahl an Impfungen hervor, die die hessischen Ärztinnen und Ärzte in der Coronapandemie vor knapp zwei Jahren verabreicht hatten.

Die geplante Krankenhausreform sei notwendig, so Klose, müsse aber eine Reform werden, „die wirklich trägt und den Ländern Spielräume für Gestaltung lässt“. Wegen anhaltender Differenzen hätten die Länder dem Entwurf bei den jüngsten Gesprächen zur Krankenhausreform noch nicht zustimmen können. Man habe sich jedoch auf ein erneutes Treffen von Bund und Ländern im Januar geeinigt, denn alle Seiten wollten eine Verständigung.

Gestalten und nicht gestaltet werden

Das Transparenzgesetz zur Krankenhausreform werde in den Vermittlungsausschuss gehen, sagte Klose. „Das passiert, wenn man mit dem Kopf durch die Wand will.“ Er sei jedoch sicher, dass man auch hier zu einer Verständigung gelangen werde. Hessen habe bereits begonnen, die Umsetzung der Reform intensiv vorzubereiten. In ländlichen Regionen werde es zunehmend sektorenübergreifende Versorgungsangebote geben, prognostizierte der Minister. „Unser gemeinsames Ziel muss es sein, zu gestalten und nicht gestaltet zu werden.“ Weder von der Bundesregierung noch vom Markt.

Was er der berufspolitisch engagierten Ärzteschaft rate, damit diese auch weiterhin Erfolg habe, wollte Anne Kandler (Marburger Bund) von Klose wissen. „Tragen Sie Ihre Interessen weiter so beharrlich vor“, empfahl der Minister. Wichtig sei, dass die Ärzteschaft schon jetzt Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen in Hessen nehme. Von Dr. med. Bernhard Winter (LDÄÄ) nach dem Stand der Versorgung von Menschen ohne Versicherungsschutz und deren Zugang zur Regelversorgung gefragt, räumte Klose ein, dass es nicht gelungen sei, hier weiterzukommen. Grund sei die haushalterische Prioritätensetzung. Allerdings seien weitere Clearingstellen eingerichtet worden.

Entökonomisierung und Entbürokratisierung im Krankenhaus

Man habe sich gewünscht, dass die Länder schon sehr viel früher in die Planung der Krankenhausreform mit einbezogen worden wären, kritisierte Dr. med. Susanne Johna (Marburger Bund) mit Blick auf das zurückliegende Bund-Länder-Treffen: „Die Länder fordern die Beteiligung ein und auch wir Ärztinnen und Ärzte, denn wir sind diejenigen, die die Entscheidungen umsetzen müssen.“ Wenn die Reform am Ende nur einen riesigen zusätzlichen Verwaltungsaufwand bedeute, könne man auch darauf verzichten. Entökonomisierung und Entbürokratisierung seien bei der Reform ganz wichtig, betonte Klose. Sie gehörten zu den Gründen, „warum wir derzeit so stark ringen“.

Niedergelassene Ärzteschaft im Blick

In seiner Antwort auf Petra Hummel-Kunhenns (Die Hausärzte) Kritik, sie habe die grundversorgenden Hausärzte in seiner Rede vermisst, machte Klose deutlich, dass er zwar vornehmlich aktuelle Themen wie die Krankenhausreform erwähnt, u. a. aber auch die Umsetzung der Landarztquote und den sektorenübergreifenden Medibus thematisiert habe. „Wir haben die niedergelassene Ärzteschaft im Blick, aber unser Einfluss als Land ist sehr gering.“ Er sei allerdings davon überzeugt, dass die Zukunft der medizinischen Versorgung ambulanter werde, kommentierte Klose die Feststellung von Dirk Paulukat (Fachärztinnen und Fachärzte), dass Haus- und Fachärzte die Hauptarbeit in der Gesundheitsversorgung leisteten, der niedergelassene Bereich jedoch immer weiter hinten runterfalle.

Studienplätze und Öffentlicher Gesundheitsdienst

Seit Jahren fordere die Ärzteschaft mehr Studierende in der Humanmedizin, erinnerte PD Dr. med. Andreas Scholz (Marburger Bund): „Wie könnten wir da eine hessische Perspektive aufbauen?“ Studienplätze seien ein ganz hartes Haushaltsthema, entgegnete Klose. Da Hessen von den Zahlen her überproportional ausbilde, seien Haushaltspolitiker allerdings der Ansicht, dass keine weiteren Plätze gebraucht werden. „Aber es ist eine Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.“

Verständnis äußerte Klose für Dr. med. Birgit Wollenbergs (Liste ÖGD) Appell, den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) fortzusetzen: „Da sind wir komplett auf einer Linie.“ Es sei eines der Themen, die er sich für die Übergabe vorgenommen habe. Ärztekammerpräsident Pinkowski dankte Klose zum Abschied „für die Einbindung in die Lösungsversuche und Weiterentwicklung“ in der vergangenen Legislaturperiode, um dann die Arbeitssitzung fortzusetzen.

Tour d’horizon durch Gesetz- gebung im Gesundheitswesen

In seinem Bericht zur Lage nahm Pinkowski die Delegierten zunächst auf eine Tour d’horizon durch die Fülle neuer und bereits abgeschlossener Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene mit, von denen hier nur einige herausgegriffen werden können.

Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungsgesetz: Unter anderem informierte er über das am 27.07.23 in Kraft getretene Lieferengpassbekämpfungsgesetz, das insbesondere die Versorgung mit Kinderarzneimitteln verbessern, die Anbietervielfalt erhöhen, die Austauschregeln für Apotheker vereinfachen und die Bevorratungspflichten erhöhen soll. „Diese Maßnahmen sind zweifelsohne zu begrüßen, werden aber nicht in der Lage sein, Lieferengpässe von Grund auf zu beheben“, urteilte der Ärztekammerpräsident: „Hier bedarf es weiterer gesundheits-, aber auch industriepolitischer Initiativen.“

Digital-Gesetz: Wie Pinkowski mitteilte, hat das Bundeskabinett am 30.08.23 die Entwürfe eines Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz) sowie eines Gesetzes zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (Gesundheitsdatennutzungsgesetz) beschlossen. Zentrale Bestandteile des Digital-Gesetzes sind unter anderem die Opt-Out-Lösung für die elektronische Patientenakte (ePA) ab 2025, die verpflichtende Einführung des elektronischen Rezeptes (E-Rezept) ab 2024 und eine Flexibilisierung bei Videosprechstunden.

Gesundheitsdatennutzungsgesetz: Damit werden die Grundlagen geschaffen, um die persönlichen Gesundheitsdaten aller Versicherten – auch die aus der ePA – für gemeinwohlorientierte Forschungszwecke zugänglich zu machen. Dass Kassen Daten zum individuellen Gesundheitsschutz auswerten und Versicherte über Gesundheitsgefährdung informieren dürfen, bezeichnete Pinkowski als Einmischung in die ärztliche Therapiefreiheit, die das Vertrauen in der Arzt-Patienten-Beziehung untergraben könne.

„Spannend“ nannte der Ärztekammerpräsident eine Meldung vom 8. November 2023, wonach das Bundeskanzleramt eine Umfrage unter Ärzten, gemeint sei eine Online-Research-Community mit 20 Ärztinnen und Ärzten, zur elektronischen Patientenakte plane. Das Kanzleramt wolle wissen, was die Ärzteschaft über die ePA denkt. Er überlasse den Delegierten die kritische Einordnung dieses Vorhabens, sagte Pinkowski. Die ebenfalls angekündigten Pläne zu Änderungen an der elektronischen Patientenakte, mit denen die ePA-Sicherheitsarchitektur optimiert und eine Pflicht zur Interoperabilität durchgesetzt werden sollen, begrüßte er dagegen ausdrücklich.

Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz werden die Grundlagen geschaffen, um die persönlichen Gesundheitsdaten aller Versicherten – auch die aus der ePA – für gemeinwohlorientierte Forschungszwecke zugänglich zu machen.

Entwurf zum Krankenhaustransparenzgesetz: Wie von dem scheidenden hessischen Sozialminister in seiner Rede bereits erwähnt, habe der Bundesrat am 24.11.23 den Vermittlungsausschuss angerufen, informierte Pinkowski. Eine baldige Einigung erscheine ihm nicht wahrscheinlich, denn so, wie das Gesetz vorgelegt worden sei, schaffe es nicht mehr Transparenz, sondern stifte nur Verwirrung. Mehrere Länder kritisierten zudem Eingriffe in ihre Hoheit für die Krankenhausplanung und forderten zusätzliche Finanzhilfen des Bundes, was Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) jedoch ablehne. Mit der vorläufigen Blockade des Krankenhaustransparenzgesetzes verzögerten sich allerdings auch die darin vorgesehenen Liquiditätsmaßnahmen, so Pinkowski. „Das kann zu einem kalten Krankenhaussterben führen, was eigentlich keiner möchte.“

Entwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes: Pinkowski informierte die Delegierten, dass Bundesländer und Bundesgesundheitsminister sich am 23.11.2023 auf einen gemeinsamen Fahrplan für die Umsetzung der Krankenhausreform geeinigt hätten. Ein neuer Arbeitsentwurf solle in der zweiten Januarwoche zwischen Bund und Ländern besprochen werden. Auch wenn es bisher kaum Fortschritte in der inhaltlichen Verständigung über das Reformpaket gegeben habe, sei es gut, dass am geplanten zeitlichen Ablauf des Gesetzes festgehalten werde, denn sonst drohten weiterer Stillstand und große Unsicherheiten bei den Beschäftigten und der Bevölkerung.

Zu den wichtigsten Punkten des Arbeitsentwurfes gehöre, dass die Vorhaltefinanzierung 60 % der Gesamtbetriebskosten abdecken und die restlichen Kosten weiter über DRGs abgerechnet werden sollen. Ab 2027 dürfen Krankenhäuser keine Leistungen abrechnen, für die sie keine Leistungsgruppe zugewiesen bekommen haben. Das solle aber nicht für die Behandlung von Notfallpatientinnen und -patienten gelten, sagte Pinkowski.

Konzept für Reform des Rettungsdienstes: Nach den Empfehlungen sollen Notfallsanitäterinnen und -sanitätern mit bestimmten Qualifikationen weitgehende heilkundliche Befugnisse übertragen werden. Notärztinnen und Notärzte sollen präklinisch nur in besonders komplexen Fällen beziehungsweise telemedizinisch eingesetzt werden; „Paramedics“ dürfen Notärzte ersetzen. „Dies läuft faktisch auf eine Substitution notärztlicher Tätigkeit hinaus und ist strikt abzulehnen!“, betonte der Ärztekammerpräsident.

Reform Kinder- und Jugendmedizin: In seinem Kommentar zu den Empfehlungen für eine Reform der Kinder- und Jugendmedizin verlieh Pinkowski der Befürchtung Ausdruck, dass diese nicht mit weniger, sondern deutlich mehr Bürokratie verbunden sein werde.

Cannabis-Gesetz: Für dieses Vorhaben fand der Ärztekammer deutliche Worte: „Ich halte dieses Gesetz unverändert für einen Schritt in die falsche Richtung. Leider wurden damit die Warnungen aus der Ärzteschaft vor einer Verharmlosung der Droge und ihren negativen gesundheitlichen Folgen für Kinder und Jugendliche in den Wind geschlagen.“

Insgesamt habe das Bundesgesundheitsministerium teilweise unverständliche und unrichtige Entscheidungen – Beispiel Poolärzte, die nach einem Urteil des Sozialgerichts der Sozialversicherungspflicht unterliegen sollen und der von Lauterbach geplante Check-up in der Apotheke – getroffen, fasste Pinkowski zusammen: Eines müsse man Lauterbach lassen – bei seinem Versuch, medizinische Leistungen aus der ärztlichen Versorgung herauszunehmen und in andere Bereiche zu verlagern, agiere er durchaus kreativ.

Entwicklungen in Hessen

Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration habe der Landesärztekammer im Juli mitgeteilt, dass die erwartete große Heilberufsgesetznovelle 3 auf Eis gelegt worden sei und zum Ablauf des Heilberufsgesetzes Ende 2024 nur mit einer kleinen Regelnovelle zu rechnen sei, die die vordringlichsten Themen der Kammern aufnehmen soll (z. B. die Position eines/einer zweiten Vizepräsident/in).

Die offizielle Eröffnung des Campus Fulda der Unimedizin Marburg am 22.08.2023 nannte Pinkowski eine „sehr erfreuliche Nachricht“. Ab dem Wintersemester 2023/24 soll dort die klinische Ausbildung für Medizinstudierende des zweiten und dritten Studienjahres der Uni Marburg stattfinden. Durch die Kooperation, die Hessen bisher mit 41 Millionen Euro gefördert habe und ab 2024 jährlich mit 21 Millionen Euro fördern werde, könnten 185 zusätzliche Vollstudienplätze für angehende Ärztinnen und Ärzte geschaffen werden.

In ihrer Antwort auf die Resolution der Delegiertenversammlung vom 25.03.2023 für einen Palliativmedizinlehrstuhl und zusätzliche Medizinstudienplätze, habe Wissenschaftsministerin Angela Dorn mitgeteilt, dass das Land Hessen seit dem Wintersemester 2022/2023 statt der vorherigen 1.051 nunmehr 1.149 Vollstudienplätze anbiete und damit nochmals im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl überproportional ausbilde. Auch ein wirklicher Wille zur Einrichtung eines Palliativlehrstuhls sei nicht zu erkennen, bedauerte Pinkowski. Beim Thema Energiepreispauschale gebe es ebenfalls weiter keine Lösung für Ruhegeldempfängerinnen und -empfänger der berufsständischen Versorgungswerke.

Neues aus der Landesärztekammer

Positiv dagegen die Information über die zukunftsorientierte Weiterentwicklung des Hessischen Ärzteblattes: Seit Herbst 2023 ist die digitale Ausgabe führend – ein modernes und nachhaltiges Angebot für die Mitglieder der Landesärztekammer.

Erfreulich auch die Nachrichten aus der Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung: Seit Mai 2023 leite Susanne Florin hoch qualifiziert und engagiert die Einrichtung und habe bereits einen Rekord vorzuweisen, berichtete Pinkowski: Akademieangebote des Jahres 2024 sind schon seit August 2023 buchbar. Ein Fokus liege auf der Digitalisierung der Veranstaltungen.

Ein „dickes Dankeschön“ richtete Pinkowski an den scheidenden Kaufmännischen Geschäftsführer Hans-Peter Hauck und den scheidenden Ärztlichen Geschäftsführer Dr. med. Alexander Marković (siehe S. 7). Viel Erfolg wünschte er den „alten Neuen“: Christoph Berger, bisher Personalleiter der LÄKH und ab Dezember 2023 zusätzlich auch neuer Kaufmännischer Geschäftsführer sowie Nina Walter, bisher stellvertretende und ab Januar 2024 neue Ärztliche Geschäftsführerin der LÄKH. Und „ganz neu“ begrüßte Pinkowski Dr. med. Eve Craigie als designierte stellvertretende Ärztliche Geschäftsführerin.

Mit persönlichen Worten verabschiedeten sich Hauck und Marković von den Abgeordneten, bedankten sich für die gute Zusammenarbeit und erhielten Standing Ovations. Auch Olaf Bender, Referent der Ärztlichen Geschäftsführung, wurde für seine jahrzehntelange organisatorische Mitbetreuung der Delegiertenversammlung mit stehendem Applaus bedacht.

Aussprache zum Bericht

„Wir haben große und vielfältige Aufgaben vor uns“, leitete Vizepräsident Dr. med. Christian Schwark (Marburger Bund) die anschließenden Diskussionen ein. Dr. med. Peter Zürner (Liste Fachärztinnen und Fachärzte) dankte Marković und Hauck für ihr Engagement. Hauck habe für die Kammer eine sehr moderne und transparente Rechnungsstruktur aufgebaut.

Mit Blick auf die Medien erklärte er, dass sich die Kammer in einem erheblichen Umbruch befinde: „Wir wollen noch digitaler werden.“ Die Delegierten rief Zürner dazu auf, eng mit der Stabsstelle Medien zusammen zu arbeiten. „Wir brauchen mehr Akzeptanz bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen und müssen sie für unsere Themen begeistern“, sagte Dr. med. Brigitte Ende (LDÄÄ). Das könne er uneingeschränkt unterstützen, kommentierte Schwark. Zürner betonte, dass die Medienbeauftragten der Listen regelmäßig und explizit zu Treffen eingeladen werden, um ihre Ideen einbringen zu können.

Hitzige Diskussionen wurden durch die Kritik von Delegierten der LDÄÄ (Prof. Dr. med. Jutta Peters, Dr. Winter) daran entfacht, dass der im Hessischen Ärzteblatt (HÄBL) erschienene Bericht über die vergangene Delegiertenversammlung am 25. März 2023 (HÄBL 05/2023) keine dezidierte Prozentzahlangabe der Erhöhung der ehrenamtlichen Aufwandsentschädigungen enthalten hatte. Die Delegierten beschlossen, dass solche detaillierte Angaben künftig auch in den DV-Bericht aufgenommen werden sollen. Damals wurde eine 20 %ige Erhöhung der ehrenamtlichen Aufwandsentschädigungen für das Jahr 2024 beschlossen. Die letzte Kalkulationsgrundlage für die Entschädigungsregelung stammte aus dem Jahre 2011. Seither gab es inklusive dem Jahr 2022 eine Inflation von 23,7 %. Die Inflation für das Jahr 2023 war damals noch nicht abzusehen, wurde allerdings im hohen einstelligen Bereich prognostiziert.

Stichwort Datenspeicherung: Es gebe gute Gründe, zu kritisieren, wenn Krankenkassen Patientendaten auswerten, sagte Winter. Aber es gelte, pragmatische Wege zu finden, um Mehrfachmedikation zu regeln. Dagegen kritisierte Dr. med. Michael Gehrke (Ältere Ärztinnen und Ärzte) eine Übermittlung der Daten an die Kassen. Im Gegensatz zu Winter sei er der Meinung, dass diese die Kassen nicht viel angingen. „Es ist nach wie vor ureigene Aufgabe der Ärzte.“

Eine zentrale Speicherung von Daten sei nicht verkehrt, so Dr. med. Barbara Jäger (LDÄÄ). Aber auch sie fand die Einbindung von Krankenkassen „schwierig“, da diese Druck auf ihre Versicherten ausüben könnten. In anderen Bereichen des Gesundheitswesens sehe sie vor allem Mängelverwaltung.

Zu dem Stichwort „Energiepreispauschale für Versorgungsempfänger erläuterte Ende (LDÄÄ), dass es schwierig sei zu erheben, wer diese nicht bekommen habe. Tatsächlich habe ein Teil der berufsständischen Versorgungsempfänger diese bereits über die Steuervorauszahlung erhalten.

Jutta Willert-Jacob (Liste Hausärzte) kritisierte, dass der ambulante Bereich von der Politik nicht bedacht werde. Hausärztliche Strukturen würden komplett ignoriert und das Thema durch Ersatzstrukturen wie Gesundheitskioske und Apotheken „gelöst“. Hierzu müsse sich die Landesärztekammer noch stärker positionieren.

Zu Pinkowskis Kritik an der Regelung zu den Poolärzten erklärte Johna (Marburger Bund), dass die Notfallversorgung nur gemeinsam – ambulant und stationär – funktioniere und man aufpassen müsse, die Schuld nicht anderen zuzuweisen.

Jahresabschluss 2022

Im Anschluss präsentierte Dr. med. Sabine Dominik (Fachärztinnen und Fachärzte), Vorsitzende des Finanzausschusses, den Jahresabschluss für 2022. Dieser sei mit einem Plus von 1,9 Million Euro abgeschlossen worden. Im Jahr zuvor lag das Ergebnis noch bei 3,2 Millionen Euro im Minus. Das positive Ergebnis sei vor allem durch die Erhöhung des Hebesatzes auf 0,7 Prozent ermöglicht worden. Die beitragspflichtigen Mitglieder seien im Berichtsjahr von 31.517 auf 32.985 gestiegen.

Der Wirtschaftsprüfer Dr. Karsten Hövermann von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft W+ST ging im Anschluss noch auf weitergehende Details des Jahresabschlusses ein und bestätigte die Korrektheit der Buchführung der Geschäftsführung der Landesärztekammer Hessen. Den Jahresabschluss 2022 können Sie in der nächsten Ausgabe 02/2024 des Hessischen Ärzteblattes im Detail nachlesen. In den Anträgen zum Jahresabschluss wurde von den Delegierten beschlossen, den Jahresüberschuss der Betriebsmittelrücklage zuzuführen. Demnach beträgt diese nun 10,9 Millionen Euro und bewegt sich damit innerhalb der Vorgaben der Haushalts- und Kassenordnung. In weiteren Anträgen wurde das Präsidium für das Geschäftsjahr 2022 entlastet und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft W+ST mit der Prüfung des kommenden Jahresabschlusses 2023 beauftragt.

Haushalt für 2024

Im nächsten Tagesordnungspunkt stellte Dominik den Haushaltplan 2024 vor. Der Verwaltungshaushalt 2024 soll unter der Annahme der geplanten Ertrags- und Kostenarten einen geringen Jahresfehlbetrag in Höhe von 0,3 Millionen Euro ausweisen, der durch die Entnahme aus der Betriebsmittelrücklage ausgeglichen werden soll. Ursache für den Fehlbetrag sollen vor allem die überproportional zu erwartenden Steigerungen im Personalkostenbereich sein, so Dominik. Hier stehen die insbesondere aufgrund der Inflation hohen Forderungen in den Tarifverhandlungen im Mittelpunkt. Den Personalaufwand vermindernd könnten sich entsprechende Zinsentwicklungen bei der betrieblichen Altersversorgung auswirken. Der Hebesatz für die Mitglieder soll stabil bleiben. Investiert werden soll unter anderem in eine Solaranlage am Standort Bad Nauheim.

Dr. med. Wolf Andreas Fach (Liste Fachärztinnen und Fachärzte) wies in der Aussprache darauf hin, dass man weiter daran arbeite müsse, die Prozesse in der Kammer zu verschlanken und zu digitalisieren. Ende (LDÄÄ) fragte, ob genug Investitionen in die IT-Sicherheit getätigt würden, da es in den Wochen vor der Delegiertenversammlung zu einem Hacker-Angriff gekommen sei. Ralf Münzing, Stabsstellenleiter der EDV der LÄKH, sagte, dass Investitionen schon im Haushalt vorgesehen seien. Zudem werde die IT-Infrastruktur verbessert, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden in IT-Sicherheit geschult.

Beitragsordnung und Kostensatzung

Manuel Maier, Juristischer Geschäftsführer der Landesärztekammer, stellte anschließend Vorschläge zur Beitragsordnung und Kostensatzung vor. Bei der Beitragsordnung sei aufgrund des vorgelegten Entwurfs des Haushaltsplanes 2024 eine unveränderte Fortschreibung der aktuellen Beitragstabelle auch in 2024 geboten (Hebesatz = 0,70 %). Die Kostensatzung soll insbesondere in den Kapiteln, in denen die LÄKH im Auftrag des Landes tätig wird, inflationsbedingt angepasst werden bei Wegfall der Rahmengebühr. Dies betrifft unter anderem die Allgemeine Widerspruchsgebühr, Berufsrechtliche Studien, Aufstiegsfortbildung Fachwirt/in sowie Kenntnisstand- und Fachsprachprüfungen. Die anschließende kontroverse Diskussion drehte sich dabei vor allem um die Kenntnisstand- und Fachsprachprüfungen. Dipl.-Psych. Frank Seibert-Alves, BMedSci (Liste Marburger Bund) argumentierte, dass Hessen zwar mit die besten Prüfungen in diesem Bereich in Deutschland anbiete, aber jetzt schon das teuerste Bundesland sei und weniger Prüfungen abnehme als man für die Größe des Bundeslandes erwarten könne. Er befürchtete eine weitere Reduzierung der Prüfungen und damit auch weniger Einnahmen bei steigenden Preisen und gleichbleibenden Fixkosten. Dr. med. Jürgen Hoffart, Hauptgeschäftsführer der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, der als Gast an der Delegiertenversammlung teilnahm, erklärte, dass auch in seinem Bundesland die Prüfungsgebühren auf ein ähnliches Niveau angehoben werden müssen wie in Hessen. Der Vizepräsident der LÄKH, Dr. Christian Schwark, plädierte dafür, die Preise stabil zu halten, um möglichst viele Prüfungen abzunehmen, um so eventuell auch mehr Kolleginnen und Kollegen in Hessen zu binden. Präsident Pinkowski sagte: „Wir haben auch einen Lkw-Fahrermangel und trotzdem kommt keine Fahrschule auf die Idee, den Führerschein defizitär anzubieten.“ Anschließend wurde einem Änderungsantrag zugestimmt, nachdem eine Rahmengebühr zunächst erhalten bleiben und über eine Erhöhung in einer späteren Delegiertenversammlung abgestimmt werden soll. Über die letztendliche Gebühr bei Kostenneutralität sollen demnach die hauptamtlichen Mitarbeiter entscheiden.

Entschädigungsregelung

Für das neu geschaffene Amt des ersten Beisitzes sollen die gleichen Entschädigungsregelungen zur Anwendung kommen wie für das Amt des Vizepräsidenten, insbesondere die gleiche Monatspauschale, war Inhalt des anschließenden Antrag des Präsidiums. Durch die Entschädigung mittels Monatspauschale würde gegenüber dem aktuell bestehenden Anspruch auf Sitzungsentschädigung Kosteneinsparung erzielt. Dominik sagte, dass die Aufgaben des Kammerspitze in den vergangenen Jahren zugenommen haben und deshalb eine weiteres Amt von Nöten sei, „seit dem Gründungsjahr hat sich auch die Anzahl der Mitglieder der Kammer versechsfacht.“ Der Antrag wurde anschließend bei zwei Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen angenommen. Der Haushalt für 2024 wurde im Anschluss einstimmig ebenfalls angenommen.

In weiteren Anträgen wurde in der Hauptsatzung das Amt des ersten Beisitzes verankert und eine Genderquote im Präsidium (ein Drittel Ärztinnen und ein Drittel Ärzte).

Änderungen der Weiterbildungsordnung stellten Dr. Wolf Andreas Fach, Dr. med. H. Christian Piper und Daniel Libertus, Leiter der LÄKH-Abteilung für Ärztliche Weiterbildung, vor. Diese wurden mit großer Mehrheit angenommen. Die genauen Änderungen können in den Satzungsänderungen in dieser Ausgabe auf S. 41 und ab S. 50 nachgelesen werden.

Wahlen

Darauf folgend wurde der Schlichtungsausschuss der Bezirksärztekammer Frankfurt nachgewählt. Die Vorschlagsliste mit fünf Frauen und vier Männern wurde vom BezÄK-Vorsitzenden Seibert-Alves vorgestellt und mit großer Mehrheit gewählt (Bekanntgabe folgt).

Auch wurde der Vorschlag zur Wahl der Abgeordneten zum 128. Deutschen Ärztetag in Mainz bestätigt. Hessen hat dabei 17 Mandate (Bekanntgabe folgt). Weitere Wahlen waren die Vorsitzenden und stellv. Vorsitzenden der Prüfungs- und Widerspruchsausschüsse im Weiterbildungswesen, die bei zwei Gegenstimmen und acht Enthaltungen gewählt wurden.

Dr. med. Ursula Stüwe und Prof. Dr. med. Ulrich Finke wurden beide auf Vorschlag des Präsidiums einstimmig als neue Ombudspersonen Compliance gewählt (siehe HÄBL 06/2023, S. 379).

Auf Empfehlung der Bezirksärztekammern Marburg und Gießen wurde in einem Antrag des Präsidiums gebeten, die Neuzuordnung des Altkreises Biedenkopf von der Bezirksärztekammer Gießen zur Bezirksärztekammer Marburg mit Wirkung zum 1. Januar 2024 vorzunehmen. Der Antrag wurde einstimmig beschieden. Die betroffenen 139 Ärztinnen und Ärzte werden schriftlich über die Änderungen informiert.

Klimaschutz in der Kammer

Im nächsten Tagesordnungspunkt stellte die Klimaschutzbeauftragte Svenja Krück den Sachstandsbericht der AG Klimaschutz vor. Unter anderem sei man als erste Landesärztekammer Mitglied in der Deutschen Allianz Klimaschutz und Gesundheit (KLUG e. V.) geworden und arbeitete am Hitzeaktionsplan des Landes Hessens mit. „Lassen Sie es uns angehen“, sagte Krück mit Blick auf die Zukunft. Fach regte an, dass man die Entwicklung des Klimaschutzes der Kammer anschaulich mit Zahlen sichtbar machen könnte. „Dafür bräuchte man externe Expertise und müsste auch etwas Geld in die Hand nehmen“, sagte Krück.

Gesundheitspolitische Resolutionen und Beschlüsse

Einstimmig verabschiedete die Delegiertenversammlung die Resolution „Der Menschlichkeit verpflichtet“ (Antrag des Präsidiums). Darin spricht sie sich für den Schutz des medizinischen Personals und Einrichtungen in Israel und im Gazastreifen aus. Das Völkerrecht müsse gewahrt und Menschlichkeit bewahrt werden. Hass aus religiöser Intoleranz habe in Deutschland und damit auch in Hessen keinen Platz, heißt es in der Resolution, die auf S. 10 im Wortlaut zu lesen ist.

„Das Medizinstudium bedarf eines dringend notwendigen Reformprozesses”, erklärten die Abgeordneten des hessischen Ärzteparlaments. In einer weiteren Resolution (Antrag des Präsidiums) fordern sie daher Bund und Länder trotz der Differenzen über einen möglichen Kostenausgleich dazu auf, das Verfahren zur Novellierung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO) fortzusetzen und schnellstmöglich zum Abschluss zu bringen.

Außerdem fordern die Delegierten die Kliniken dazu auf, Physician Assistants (PA) nur gemäß dem von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung entwickelten Delegationsmodell einzusetzen (Antrag Marburger Bund). Die medizinische Weisungsbefugnis müsse immer bei einem Arzt oder einer Ärztin der Abteilung liegen, in der die PAs eingesetzt sind. Die Delegierten betonten, dass ärztliche Leistungen nur bei geeigneter Qualifikation der PAs in Delegation erbracht werden könnten. Eine Substitution ärztlicher Leistungen sei abzulehnen.

Das Ärzteparlament unterstützt die vom Bundesrat angeregte erneute Diskussion zur Widerspruchslösung in Deutschland in einer Resolution (Antrag Marburger Bund). Kern der Widerspruchslösung ist, dass alle Menschen als spendebereit gelten, die nicht während ihrer Lebenszeit einer Organentnahme widersprochen haben. Leider habe weiterhin nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung einen Organspendeausweis. Gleichzeitig äußerten viele Menschen in repräsentativen Befragungen die Bereitschaft zur Organspende, heißt es in der Erklärung.

Ausdrücklich stellen sich die Delegierten in einer Resolution hinter die Ärztinnen und Ärzte, die vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot der Ex-Post-Triage im Infektionsschutzgesetz klagen (Antrag Marburger Bund). Bei der Ex-Post-Triage wird die medizinische Versorgung eines Patienten zugunsten eines neu eintreffenden Patienten abgebrochen, um den neu eintreffenden Patienten mit den begrenzten Versorgungsressourcen zu retten, wenn er bessere kurzfristige Überlebenschancen aufweist.

Die Ärztevertreterinnen und -vertreter sprechen sich gegen die vom Bundeskanzleramt geplante Einrichtung einer neuen zentralen Bundes-Ethikkommission in Deutschland aus (Antrag Marburger Bund). Grundsätzlich befürworten die Ärztevertreter eine Stärkung des deutschen Standortes für klinische Forschung im europäischen Raum und eine nachhaltige Förderung dieser im internationalen Vergleich, wiesen aber darauf hin, dass die Einrichtungen von Ethikkommissionen nach Landesrecht seit fast 50 Jahren dafür zuständig seien, den Probandenschutz in klinischer Forschung unabhängig zu prüfen und deren Qualität zu stärken. Mit diesem Inhalt hatte sich Präsident Pinkowski auch schon zuvor an Staatsminister Klose in einem Brief gewandt.

Weitere verabschiedete Anträge umfassten gendersensible Datenerhebung (Antrag LDÄÄ), IT-Sicherheit im Gesundheitswesen (Antrag Marburger Bund), der Förderung von Gleichstellung von Ärztinnen und Ärzten in Kliniken (Antrag LDÄÄ) und den Stop von aktivem Anwerben von Fachkräften aus Ländern, die selbst unter Fachkräftemangel leiden (Antrag LDÄÄ). Informationen zu diesen Anträgen finden Sie im Internet unter www.laekh.de/Pressemitteilungen.

Katja Möhrle, Lukas Reus

„Der Menschlichkeit verpflichtet“

Resolution der Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen

Anlässlich des Nahost-Konflikts hat die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen einstimmig die Resolution „Der Menschlichkeit verpflichtet“ verabschiedet.

Im Wortlaut heißt es in der Resolution:

Die Landesärztekammer Hessen spricht sich für den Schutz des medizinischen Personals und der medizinischen Einrichtungen in Israel und im Gazastreifen aus. Das Völkerrecht muss gewahrt und Menschlichkeit bewahrt werden.

Angehörige des Sanitätspersonals sind keine Kombattanten, Krankenhäuser keine militärischen Ziele und dürfen nicht als militärische Einrichtungen missbraucht werden. Ebenso verbietet es sich, Zivilisten zu menschlichen Schutzschilden zu machen. Humanitäre Hilfe muss stets gewährleistet sein – Zivilpersonen, Verwundete und Kranke sind zu schützen.

Den Terrorangriff der Hamas auf die Bevölkerung Israels verurteilt die Landesärztekammer Hessen scharf. Die daraus resultierenden und bis heute andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen erzeugen unbeschreibliches menschliches Leid. Mit Schrecken beobachten wir die täglich steigende Zahl der zivilen Opfer.

Hass aus religiöser Intoleranz hat in Deutschland und damit auch in Hessen keinen Platz. Wir verurteilen jede Form von Antisemitismus.

Basis unseres Handelns ist die Berufsordnung und das Genfer Gelöbnis, in dem es heißt: „Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.“