Mit einer neuen Serie soll die Arbeit des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) in den Blick genommen werden. In loser Folge werden Berichte aus verschiedenen Gesundheitsämtern in Hessen abgedruckt, die jeweils ein eigenes Schwerpunktthema setzen als Beispiel für die vielfältigen Aufgaben des ÖGD.

In der Covid-19-Pandemie spielten die Gesundheitsämter eine wichtige Rolle bei der Entstehung und im laufenden Betrieb von Impfzentren und mobilen Impfteams. Doch welche Rolle haben die Gesundheitsämter nach der Pandemie? Welche Aufgaben aus dem Bereich Infektionsschutz hatten sie vorher? Einen aktuellen Einblick zum Thema „Impfen“ im Gesundheitsamt des Landkreises Marburg-Biedenkopf bietet der folgende Artikel.

Impfsprechstunden und reisemedizinische Beratung

Derzeit bietet das Gesundheitsamt in Marburg zweimal wöchentlich eine Impfsprechstunde mit dem Fokus auf reisemedizinischer Beratung und Reiseimpfungen an. Das Team unter ärztlicher Leitung von Andrea Schroer besteht aus drei Ärztinnen und drei sozialmedizinischen Assistentinnen (SMA) und ist im Fachdienst Kinder- und Jugendgesundheitsdienst angesiedelt. Die Ärztinnen beraten ausführlich zu erforderlichen bzw. empfehlenswerten Impfungen für das Reisezielland inklusive einer Risikobewertung des Gesundheitszustands und des Reisestils der Reisenden. Besonders Erstberatungen sind sehr zeitintensiv. Außerdem wird über Malariaprophylaxe und Vektorschutz informiert. Im Anschluss werden indizierte reisemedizinische Impfungen durchgeführt. Diese werden nach Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abgerechnet und von den Kunden bei der jeweiligen Krankenkasse eingereicht. Gelbfieberimpfungen werden im Marburger Gesundheitsamt nicht angeboten. Neben dem persönlichen Gespräch gibt es außerdem die Möglichkeit, Fragen per E-Mail an Impfen@marburg-biedenkopf.de oder telefonisch während der Impfsprechstunde zu stellen.

Im Herbst empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) jährliche Influenza- und Covid-19-Auffrischimpfungen für bestimmte Personengruppen. Unter dem Motto „Mitarbeitende impfen Mitarbeitende“ bietet das Gesundheitsamt jährlich Anfang Oktober Impfungen gegen Influenza und Covid-19 für Mitarbeitende der Kreisverwaltung an mehreren Standorten des Landkreises an.

In diesem Herbst bietet das Gesundheitsamt in einer wöchentlich stattfindenden Covid-19-Impfsprechstunde ein Covid-19-Impfangebot für die Bevölkerung an. Das aktuelle Impfangebot richtet sich subsidiär an Personen, die keinen Hausarzt haben oder deren Hausarzt nicht gegen Covid-19 impft. An der Sprechstunde beteiligen sich ärztliche Kollegen und medizinisches Assistenzpersonal aus allen

Fachdiensten des Gesundheitsamtes.

Impfen und schulärztlicher Dienst

Im Rahmen der verpflichtenden Schuleingangsuntersuchungen für Schulanfänger und Seiteneinsteigende (Schülerinnen und Schüler aus dem Ausland, die jetzt eine deutsche Schule besuchen) wird bei allen Kindern und Jugendlichen der Impfstatus überprüft und eine Impfberatung durchgeführt. Bei fehlenden Impfungen werden die Kinder an niedergelassene Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte für Auffrischimpfungen verwiesen.

Seiteneinsteigende sowie unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendliche aus dem Ausland (UMA) werden ebenfalls bei Schuleintritt schulärztlich untersucht und deren Impfstatus überprüft. Diese Kinder erhalten ein Impfangebot gegen Masern, Mumps, Röteln und Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Polio. Der Impfstoff hierfür wird aus Impfstoffbeständen entnommen, die teilweise durch Landesmittel finanziert werden. Dieses deckt den Bedarf bei weitem nicht. Wir sehen jedoch die Impfungen von Seiteneinsteigenden und UMA als wichtigen Baustein zum Schließen von Impflücken, da aufgrund der Sprachbarriere und der Unkenntnis über das deutsche Gesundheitssystem der Zugang zur medizinischen Regelversorgung erschwert ist. Nicht selten bestehen bei Vorstellung im Gesundheitsamt noch Unklarheiten bezüglich des Versichertenstatus.

Impfbuch-Checks

Die Landesimpfstrategie Hessen sieht die Überprüfung des Impfstatus bei Kindern der 3./4. und 6./7. Klasse als wichtige präventive Maßnahme zur Verbesserung der Jugendgesundheit vor. Gerade bei den zwölf- bis 14-Jährigen stehen Auffrischimpfungen und die Jugendgesundheitsuntersuchung J1 an. Diese werden jedoch oft nicht wahrgenommen, weil der engmaschige Kontakt zu den Kinder- und Jugendärzten, der vorher durch die verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen gegeben war, nicht mehr besteht. Anlässlich der Landesimpfstrategie Hessen tourten Anfang 2024 sechs Schulärztliche Teams bestehend aus Schulärztin/-arzt und Sozialmedizinischer Assistentin durch 66 Marburger Grund- und Förderschulen, um in den vierten Klassen Aufklärungsarbeit zu betreiben. In einem eigens illustrierten, ca. 15-minütigen Vortrag informierten die Teams die Schülerinnen und Schüler und sahen die Impfausweise durch. Bei unvollständigem Impfschutz wurden die Kinder mittels Flyer an die behandelnden Kinderärztinnen bzw. -ärzte vermittelt. Außerdem wurde auf das Zeitfenster der anstehenden HPV-Impfung (laut RKI Jungen und Mädchen im Alter zwischen neun und 14 Jahren) hingewiesen. Die Schülerinnen und Schüler zeigen insgesamt sehr großes Interesse an den Themen Immunsystem und Impfungen und bringen ihr Vorwissen aktiv mit ein.

Die Impfquoten für die Standardimpfungen im Kindesalter im Landkreis Marburg-Biedenkopf entsprechen ungefähr dem bundesweiten Durchschnitt. Das Ziel einer Durchimpfungsrate für Masern von 95 % wird auch im Landkreis Marburg-Biedenkopf bisher verfehlt. Die Impfquote gegen humane Papillomviren (HPV) ist bei Weitem noch nicht ausreichend.

Ein Impfbuchcheck und Aufklärung über wichtige Infektionskrankheiten und erforderliche (Auffrisch-)Impfungen ist perspektivisch auch für die 6./7. Klassen und an Berufsschulen geplant. Im laufenden Schuljahr ist dies aufgrund der personellen Situation jedoch noch nicht möglich.

Impfungen und Infektionsschutz

Die Bekämpfung von Infektionskrankheiten ist eine der Kernaufgaben des Fachdienstes Infektionsschutz und Hygieneüberwachung in unserem Gesundheitsamt. Manchmal kann die zeitnahe Verabreichung einer Impfung nach Kontakt mit Krankheitserregern, einer sog. post-expositionellen Impfung den Ausbruch einer Erkrankung effektiv verhindern, z. B. nach Kontakt mit einer an Hepatitis A erkrankten Person. In solchen Fällen berät das Gesundheitsamt und vermittelt zur Durchführung der Impfungen an Haus- und Kinderärzte. Beim Ausbruchsmanagement spielen post-expositionelle Impfungen eine wichtige Rolle. Niedergelassene Ärzte können einen Newsletter des Gesundheitsamtes abonnieren, der in jeder Ausgabe auch Impfthemen behandelt.

Surveillance von Impfnebenwirkungen

Eine weitere Aufgabe des ÖGD ist die Meldung von Impfnebenwirkungen. Nach § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist der Verdacht auf eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung namentlich an das Gesundheitsamt zu melden und wird sofort nach § 11 Abs. 4 IfSG pseudonymisiert über die zuständige Landesbehörde an das Paul-Ehrlich-Institut übermittelt.

Ausblick

Zukünftig könnte das Gesundheitsamt eine offene Impfsprechstunde mit Beratung und Durchführung aller nach STIKO empfohlenen Impfungen (auch als mobiles Impfteam) niederschwellig anbieten. Vorrangig sollte sich ein solches Angebot subsidiär an Personen, die keinen oder einen erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem haben oder bei denen keine hausärztliche Versorgung besteht, richten und ergänzend zum Impfangebot der Haus-, Kinder- Betriebs- und Arbeitsmediziner sein. Eine solche Struktur kann dazu beitragen, Impflücken zu schließen und die Impfquoten zu erhöhen. Dazu bedarf es einer Landesvereinbarung mit den Krankenkasse, damit die Abrechnung direkt über die Gesundheitskarte erfolgen kann. Auch die technischen Voraussetzungen zur Abrechnung müssen dann geschaffen werden. Und letztendlich benötigen die Gesundheitsämter die erforderliche personelle Ausstattung, um das Impfangebot auszuweiten.

Integrierte Landesimpfstrategie des Landes Hessen

Die hier aufgeführten Maßnahmen und Ziele sind in der Impfstrategie des Landkreises Marburg-Biedenkopf festgelegt. Diese stützt sich auf die Integrierte Landesimpfstrategie Hessen (ILIS), die eine Erhöhung der Impfbereitschaft und der Impfquoten zum Ziel hat. Die hessische Impfstrategie ist modular aufgebaut und wird schrittweise umgesetzt.

Die Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes beim Impfen:

  • Impfaufklärung und Beratung der Bevölkerung
  • Subsidiäre Impfangebote
  • Ausbruchsmanagement und Empfehlungen zu postexpositionellen Impfungen
  • Surveillance von impfpräventablen meldepflichtigen Erkrankungen und Verdachtsmeldungen von Impfnebenwirkungen

Gesetzliche Grundlagen in Auszügen:

  • Laut § 6 des Hessischen Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (HGöGD) „wirken Gesundheitsämter auf einen ausreichenden Impfschutz der Bevölkerung hin und fördern die Durchführung öffentlich empfohlener Impfungen. Die Gesundheitsämter führen Impfungen selbst durch, um auf das Schließen von Impflücken hinzuwirken ...“.
  • Laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) § 20 sollen Gesundheitsämter die Bevölkerung zielgruppenspezifisch über die Bedeutung von Schutzimpfungen informieren.

Dr. med. Birte Moritz, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, in Weiterbildung zur Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen

Fachbereich Gesundheitsamt, Leitung: Dr. med. Birgit Wollenberg, Landkreis Marburg-Biedenkopf, Schwanallee 23, 35037 Marburg, Fon: 06421 4054100, E-Mail: WollenbergB@marburg-biedenkopf.de