Prof. Dr. med. Tilman Kälble

Einleitung

Schätzungen gehen davon aus, dass 10 bis 20 % der Bevölkerung in der EU an Inkontinenz leiden, wobei hier aufgrund der nach wie vor bestehenden Tabuisierung des Themas von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Die Kosten für Inkontinenzversorgung und Therapie betrugen in der EU im Jahr 2023 40 Milliarden Euro, im Jahr 2030 geht man aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung von 300 Milliarden Euro aus [10]. Laut RKI sind in Deutschland zehn Millionen Menschen von Inkontinenz betroffen, wobei in jeder Altersgruppe Frauen häufiger betroffen sind als Männer.

Dennoch geht schätzungsweise nur jede fünfte Betroffene zum Arzt, mit zum Teil erheblichen psycho-sozialen Folgen für die Betroffenen bis hin zur Isolation. So halten sich Betroffene zum Teil vorzugsweise zu Hause auf, erkunden bei Ausflügen vorher öffentliche Toiletten, haben als Berufstätige Einschränkungen bzgl. der Konzentrationsfähigkeit [8]. 43 % von 99 Frauen geben in einer Studie an, dass die Harninkontinenz negative Auswirkungen auf ihre Sexualität hat [8, 19, 20]. Die Häufigkeit der Inkontinenz nimmt mit dem Alter zu, wobei 10 % der 20–30-Jährigen, 25 % der 40–50-Jährigen und 40 % der mehr als 80-Jährigen Frauen betroffen sind. Somit ist die Harninkontinenz bei Frauen die häufigste chronische Erkrankung, noch vor Hypertonie und Diabetes mellitus.

49 % der Frauen haben eine Belastungsinkontinenz, 29 % eine Dranginkontinenz und 22 % eine Mischinkontinenz, sofern die Inkontinenz bei neurogenen Blasenentleerungsstörungen sowie die extraurethrale Inkontinenz bei angeborener Ureterfehlmündung ausgenommen werden [14].

Der folgende Artikel soll einen Beitrag leisten, Betroffene aufzuklären, dass Inkontinenz keineswegs ein zu akzeptierendes gesundheitliches Problem darstellt, sondern vielmehr in den allermeisten Fällen geheilt oder zumindest gelindert werden kann.

Therapie der Belastungs (Stress)-Inkontinenz bei Frauen

Konservativ

Die Belastungsinkontinenz wird in drei Grade unterteilt. Grad I bedeutet Urinabgang nur bei Husten, Pressen, Lachen, Heben etc. Grad II bedeutet Urinabgang auch bei leichterer körperlicher Belastung wie Gehen. Grad III bedeutet Inkontinenz auch im Liegen oder Stehen. Zumindest bei der Stressinkontinenz Grad I ist eine Physiotherapie für den Beckenboden zu empfehlen. Mit Hilfe der Beckenboden- sonographie kann Patienten ein Anheben des Beckenbodens als Hilfestellung für die Physiotherapie demonstriert werden, was einen zusätzlichen motivierenden Effekt haben kann.

Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Harnröhre und Beckenboden von vaginal aus mit einem Pessar zu unterstützen, seien es Ring- oder Würfelpessare oder Tampons. Älteren postklimakterischen Frauen sollte stets eine lokale Östrogenisierung empfohlen werden, sofern keine Kontraindikation wie beispielsweise ein Mammakarzinom oder stattgehabte thromboembolische Ereignisse vorliegen. Auch hilft ggf. eine Stuhlregulierung zur positiven Beeinflussung der Inkontinenz. Gleiches gilt für die Empfehlung der Gewichtsreduktion bei adipösen Frauen, da das Gewicht eine entscheidende Rolle spielt [14].

Operative Therapie

Bei Versagen der konservativen Therapie oder ausgeprägteren Belastungsinkontinenzformen ist die operative Therapie die Therapie der Wahl. War es früher die Kolposuspension nach Burch, bei sehr ausgeprägten Formen die Faszienzügelplastik mit dem Ziel, den Blasenhals und damit die Drucktransmission wieder nach intraabdominell zu bringen, so sind mittlerweile die midurethralen spannungsfreien Schlingenoperationen wie TVT (Tension-free-vaginal-Tape) oder TOT (Trans-obturator-Tape) Therapie der Wahl. Beides sind minimal-invasive Eingriffe mit meist weniger als 30 Minuten Operationsdauer, die entweder ambulant oder in einem eintägigen stationären Aufenthalt erfolgen können. Bei anamnestisch oder besser noch per Urodynamik gesichertem Ausschluss einer Dranginkontinenz können Belastungsinkontinenzen so langfristig mit Erfolgschancen von 80–90 % therapiert werden.

Wenngleich zwischen TVT und TOT keine großen Unterschiede bezüglich des Erfolges zu verzeichnen sind, so hat im Trend das TVT die etwas besseren Langzeitergebnissen [2, 5, 28], wahrscheinlich aufgrund der längerstreckigen Verankerung als beim TOT. Komplikationen wie Gefäß-, Darm- oder Blasenverletzungen sind beim TVT minimal häufiger, wobei das Risiko im Bereich von 0,1 Promille beträgt. TOT wiederum führt gelegentlich zu Schmerzen im Oberschenkel/Dammbereich bis hin zur Dyspareunie. Wichtig ist, vor der Bandanlage eine Zystozele Grad II auszuschließen, da durch ein Band der Quetschhahneffekt einer siphonartig durchhängenden Zystozele noch verstärkt werden kann. Unbedingt beachtet werden muss, das TVT-Band nicht zu hoch Richtung Blasenhals um die Harnröhre herum zu legen, da sonst eine De-novo-urge-Komponente resultieren kann.

Das am wenigsten invasive Therapieverfahren ist die Injektion von bulking agents in die urethrale Submukosa. Die Erfolgsaussichten sind mit 26 % allerdings deutlich schlechter als TVT oder TOT und sollte insofern nur bei hohem OP- bzw. Anästhesierisiko eingesetzt werden [28]. Die älteren Verfahren ohne synthetische Bänder wie Kolposuspension nach Burch oder die Faszienzügelplastik haben eine deutlich höhere Komplikationsrate und eine deutlich längere Hospitalisation als TVT oder TOT, wobei die Kolposuspension nach Burch auch eine niedrigere Erfolgsrate von 74 % bis 82 % hat [2, 5, 28].

Der urogenitale Deszensus bis hin zum Prolaps verursacht neben der Blasenentleerungsstörung durch Quetschhahnphänomen sowie den durch den Prolaps per se bedingten Leidensdruck auch Symptome wie Dranginkontinenz, Nykturie, Stuhlinkontinenz und Schmerzen. Bei erfolgreicher anatomischer Korrektur des Prolaps kommt es in bis zu 82 % zu einer Besserung der Dranginkontinenz, in bis zu 92 % der Nykturie, in bis zu 87 % der Blasenentleerungsstörung, in bis zu 52 % der Stuhlinkontinenz und vor allem in bis zu 90 % der Schmerzen [17]. Zu bemerken ist, dass durch eine anatomische Korrektur des Prolaps mit Beseitigung des Quetschhahnphänomens eine De-novo-Stressinkontinenz auftreten kann, die dann allerdings problemlos mit einem suburethralen Band (TVT oder TOT) beseitigt werden kann.

Stressinkontinenz beim Mann

Die Belastungsinkontinenz beim Mann ist am häufigsten Folge einer radikalen Prostatektomie. Es werden Belastungsinkontinenzraten nach radikaler Prostatektomie zwischen 5 und 65 % angegeben, wobei die letztere Zahl aus einer multizentrischen Studie mit Patienten teilweise aus dem Jahr 1962 stammt [3]. Dabei spielt eine große Rolle, wie häufig in den Kliniken radikale Prostatektomien durchgeführt werden.

In der Versorgungsstudie HAROW benötigen 15 % der Patienten nach radikaler Prostatektomie mehr als eine Vorlage pro Tag, wobei die Inkontinenzrate in Kliniken mit weniger als 20 radikalen Prostatektomien bei 28 %, in Kliniken mit mehr als 200 radikalen Prostatektomien bei 11 % lag. Aber auch in high-volume Kliniken bleibt das Thema Inkontinenz nach radikaler Prostatektomie. Eine retrospektive Auswertung der eigenen Klinik von mehr als 1.400 Patienten nach radikaler Prostatektomie über einen Beobachtungszeitraum von zehn Jahren ergab eine Häufigkeit von 90 % bis 97 % Patienten mit dem Bedarf von null bis einer Vorlage, wobei die Daten beim beidseitigen Nerverhalt bis 97 % betrugen. Selbst in Kliniken mit sehr hoher Fallzahl wie der Martini-Klinik zeigt sich nach einem Jahr bei 10.000 Patienten bei knapp 10 % der robotisch und bei 11 % der offen operierten Patienten eine Belastungsinkontinenz [12]. In der schwedischen LAPRO-Studie an 4.000 Patienten in 14 schwedischen Kliniken mit einem Langzeit-Follow-up von acht Jahren benötigen 27 % der robotisch-assistierten und 29 % der offen operierten Patienten mehr als 1 Pad/24 Stunden [11, 16].

Risikofaktoren für eine Inkontinenz nach radikaler Prostatektomie sind dabei das Alter (7 % Unterschied von Patienten jünger als 65 und älter als 75), Adipositas (Body-Mass-Index von > 30 bedeutet ein 2–2,4-faches erhöhtes Risiko für eine Inkontinenz), Strahlentherapie und sehr große Prostaten. Intraoperativ sind der Erhalt der puboprostatischen Bänder, insbesondere der Erhalt der Gefäßnervenbündel sowie eine möglichst lange Harnröhrenlänge durch intraprostatische Präparation die Kontinenz begünstigende Faktoren. Entscheidend ist jedoch, den Schließmuskel weder direkt, noch beim Mitfassen der Anastomose noch bei der Naht des Plexus santorini mitzufassen.

Ähnlich wie bei Frauen ergab eine dritte Studie, dass von harninkontinenten Patienten mit einem hohen Leidensdruck nur etwa 20 % eine Therapie erhalten. Auch die HARROW-Studie [3] zeigte, dass von inkontinenten Männern nach radikaler Prostatektomie nur 25 % eine operative Therapie erhalten haben. Von den 75 % verbliebenen Patienten wiesen 43 % einen Leidensdruck auf, so dass diesen Patienten letzten Endes vermeidbar nicht geholfen wird.

Konservative Therapie

Die Versorgung umfasst zunächst eine suffiziente Hilfsmittelversorgung. Mehrere Arbeiten zeigen auf, dass durch die Kombination mehrerer Hilfsmittel, z. B. Aufsaugen der Inkontinenz mit Materialien und/oder Kondomurinalen die Lebensqualität der Betroffenen gesteigert werden kann, es aber zum Teil eine sehr inkompetente Beratung bei Hilfsmittelversorgung und Apotheken gibt. Hier gibt es von urologischer Seite eine S2-Leitlinie zur Hilfsmittelberatung seit 2020 [3, 27].

Auch gibt es Hinweise auf eine hohe Dunkelziffer bezüglich der Tatsache, dass Patienten für einen Teil ihrer Inkontinenzmaterialien selbst aufkommen müssen [3]. Bei leichten Belastungsinkontinenzformen, insbesondere unmittelbar nach radikaler Prostatektomie sind Physiotherapie, ggf. unterstützt durch Elektrostimulationstherapie, wichtige Tools zur Verbesserung, bzw. initial zur raschen Beseitigung der Belastungsinkontinenz. Hier haben Rehakliniken einen nachgewiesenen Stellenwert. Erneut zeigen Daten der Martini-Klinik Hamburg (jeweils eine Woche nach dem Eingriff), dass nach offener radikaler Operation 26 %, nach robotisch-assistierter Operation 22 % kontinent sind und somit die meisten Patienten auch nach maximal geübter operativer Hand eine Physiotherapie bzw. Rehamaßnahme benötigen [12]. Weitere konservative Optionen sind Biofeedback, Elektromagnetfeldstimulation und medikamentöse Therapien [6, 15, 25].

Operative Therapie

An erster Stelle ist der artifizielle Blasenschließmuskel (AUS) zu nennen, da hier die größten Langzeiterfahrungen vorliegen. Dabei wird über einen perinealen Zugang um die Harnröhre eine Silikonmanschette gelegt, die über eine kleine Pumpe im Hodensack mit Rückschlagventil mit einem meist intraperitoneal gelegenen Flüssigkeitsreservoir verbunden ist. Durch den Eigendruck des Flüssigkeitsreservoirs ist die Manschette stets flüssigkeitsgefüllt und komprimiert damit die Harnröhre. Bei Druck auf die Pumpe im Skrotum wird für ca. 1 Minute die Flüssigkeit von der Manschette in das Reservoir gepumpt, so dass der Patient mit Hilfe der von Hand zu bedienenden Pumpe die Blase entleeren kann. Durch den Druck des Reservoirs füllt sich dann innerhalb einer Minute die Manschette wieder mit dem Ergebnis der Kontinenz. Hiermit werden Kontinenzraten um 80 % erzielt.

In einer Arbeit von Tutoto [6] benötigen 43 % der Patienten nach Implantation eines solchen artifiziellen Sphinkters keine und 79 % null bis eine Vorlage pro Tag [6, 11, 25]. Allerdings ist im Langzeitverlauf von einer Revisionsrate bis zu 29 % auszugehen, in erster Linie durch Druckatrophie der Harnröhre, aber auch durch Inkontinenz und Arrosion [6, 11, 26]. Dabei ist unklar, ob ein single-graft oder ein double-graft Cuff, d. h. das primäre Implantieren zweier Grafts um die Harnröhre, günstiger ist [1, 11, 21].

Schlingenoperation

Nicht adjustierbare Schlingen

Durch Implantation eines Netzes, mit dem die bulbäre Harnröhre über ein Ausleiten der Schlinge obturatorisch dafür sorgt, dass die hintere Harnröhre mit Blasenhals wieder in die ursprüngliche Position gebracht werden, lassen sich Langzeiterfolge um 70 % erzielen. In einer Studie von Del Favero [7, 11] benötigen nach 49 Monaten 76 % der Patienten null bis eine Vorlage nach Anlage eines nicht adjustierbares Schlingensystems.

Adjustierbare Schlingen

Neben den genannten Schlingen gibt es adjustierbare Schlingen, bei denen ebenfalls die bulbäre Harnröhre angehoben wird, wo aber im Bulbusbereich ein Flüssigkeitsreservoir je nach Verschlussdruck über ein kleines Reservoir adjustiert werden kann. Es gibt Daten einer Metaanalyse von 1.400 Patienten, wo 67 % der operierten Patienten kontinent und 90 % in ihrer Kontinenzsituation verbessert wurden, allerdings mit Schmerzen im Perineum in etwa 36 % der Fälle [11].

Auf der anderen Seite gibt es Langzeitergebnisse der repositionierenden fixierten Schlinge mit zunehmender Verschlechterung der Kontinenzsituation, auch gibt es neben persistierenden Schmerzen im Damm Harnverhalte in bis zu 15 % der Fälle [6].

Interessant sind in diesem Zusammenhang Versorgungsforschungsdaten, die ein Rückgang der Schlingenoperation in Deutschland von 1.091 im Jahr 2012 auf 410 im Jahr 2019 aufzeigen. Die Zahl der Schlingen in Kliniken, die 2012 mehr als zehn Schlingen pro Jahr implantiert haben, gingen bis 2019 um 69 % zurück, die Zahl der Schlingenimplantierenden ging gar von 34 auf zehn zurück innerhalb dieser sieben Jahre.

Die Zahl der künstlichen Schließmuskel hingegen ist stabil geblieben, zumal die Zahl der radikalen Prostatektomien weiterhin zugenommen hat [18]. Auch wir haben nach anfänglicher Euphorie die Schlingenoperation weitgehend verlassen, da die Vorhersehbarkeit des Erfolges bei Schlingenoperationen schlechter ist als beim künstlichen Schließmuskel, die Langzeitergebnisse ebenfalls schlechter sind und es gar zu Verschlechterung der Inkontinenz kommen kann, vom Thema Harnverhalt abgesehen. Dennoch gibt es Kliniken, die offensichtlich in der Lage sind, die Differentialindikation so zu stellen, dass die Patienten hinterher zufrieden sind und bleiben.

Dranginkontinenz

Frauen

Wie oben ausgeführt, haben 30 % aller postklimakterischen Frauen eine Drang- und 22 % eine Mischinkontinenz, d. h. mehr hals die Hälfte aller postklimakterischen Frauen mit Inkontinenz leiden an Dranginkontinenz. Da Östrogenmangel hier eine Hauptursache darstellt, sollte prinzipiell eine Östrogensubstitution durchgeführt werden, sofern es hier keine Kontraindikation gibt (siehe oben).

Vor diesem Hintergrund schicke ich als Urologe Frauen stets zum Gynäkologen mit der Frage, ob hier lokal- oder gar systemisch Östrogen gegeben werden kann. Parallel ist die Dranginkontinenz eine Domäne der medikamentösen Therapie wie Parasympatholytika (Trospiumchlorid, Solifenacin, Darifenacin, Tolterodin, etc.). Aufgrund der Nebenwirkung der Parasymptholytika wie Mundtrockenheit und Obstipation ist die Compliance dieser Medikamente auf lange Sicht schlecht. Weniger Nebenwirkungen hat das Sympathomimetikum Mirabegron, dessen Wirkung jedoch in der eigenen Erfahrung etwas weniger ausgeprägt ist als bei Parasympatholytika. Die unter Stressinkontinenz genannten unterstützenden Maßnahmen gelten auch für die Dranginkontinenz, wobei insbesondere Rektozelen, die auf die Miktions-Triggerzone im Bereich des Trigonum drücken oder ausgeprägte Zystozelen durch ein Pessar unterstützend „beseitigt“ werden können [14].

Wenn die medikamentöse Therapie ausgeschöpft ist, steht mit der intravesikalen Applikation von Botulinumtoxin bei Überaktivität der Blase eine sehr potente Möglichkeit zur Verfügung. Zugelassen ist, dass hier 100 Einheiten Botulinumtoxin zystoskopisch in den Blasenmuskel eingebracht werden. Die Angabe der Anzahl der Injektionen ist dabei uneinheitlich. Eine häufige Möglichkeit ist, 100 Einheiten Botulinumtoxin in 10 ml Kochsalz aufzuziehen und diese 100 Einheiten über 20 Injektionen á 0,5 ml in den Detrusormuskel einzubringen. Dies ist in Lokalanästhesie möglich, die zuvor intravesikal eingebracht wird und nach einer Einwirkungszeit von ca. 30 Minuten meist problemlos und schmerzfrei möglich ist. Hierzu kommt es zu einer signifikanten Reduktion sowohl der Miktionsfrequenz, der Nykturie und auch der Dranginkontinenz-Episoden, was allerdings im Schnitt nur sechs Monate anhält. Dies hat zur Folge, dass der Eingriff alle sechs bis neun Monate wiederholt werden muss mit dem Ergebnis, dass die Langzeit-Compliance lediglich bei etwa einem Drittel der Patienten gut ist [13]. Allerdings ist die Compliance besser als bei den oralen Medikamenten.

Meine persönliche Erfahrung ist, dass bei ausreichender Erklärung und Hinweisen auf das Nachlassen im Laufe der Zeit die meisten Patienten mit Botulinumtoxin sehr zufrieden sind und immer wieder den harmlosen Eingriff wiederholen lassen. Hampel weist in seinem Artikel darauf hin, dass die sakrale Neuromodulation ebenfalls ein zugelassenes Verfahren bei Drangsymptomatik ist. Hierbei wird nach perkutaner Testung eine permanente Elektrode in ein Foramen des os sacrum gelegt, womit dann mit einem extern zu bedienenden Schrittmacher wie bei einer Fernbedienung die Drangproblematik ebenso günstig beeinflusst werden kann wie eine Detrusorhypofunktion. Der Eingriff ist ungleich aufwendiger und spezialisierten Kliniken vorbehalten, so dass sich bei einer „alltäglichen“ over active bladder die Botulinum-Behandlung durchgesetzt hat.

Männer

Männer bekommen insgesamt etwas seltener eine Dranginkontinenz als Frauen, wobei dennoch das Male-LUTS (lower urinary tract symptoms), also die Symptome des unteren Harntraktes beim Mann zu den häufigsten Beschwerden der urologischen Praxis gehören. Dabei muss unterschieden werden zwischen dem Voiding-LUTS, bei dem Patienten meist aufgrund einer Prostatavergrößerung die Blase nicht mehr richtig entleeren können (Blasenauslassobstruktion durch BPH) und einem Storage-LUTS, bei dem Patienten anfallsartig einen Harndrang haben.

Letzterer kann dadurch zustande kommen – in der eigenen Erfahrung ist dies die häufigste Ursache – dass durch Überaktivität der Blase im Bemühen, die obstruierende Prostata zu überwinden, es zu einer Blasenwandverdickung mit entsprechender Elastizitätsminderung und häufigem bis anfallsartigem Harndrang kommt. Durch Alterung der Blase kommt es jedoch in ca. 10 % unabhängig von einer Prostatavergrößerung zu einer überaktiven Blase [22, 23, 24]. So gibt es im Alter Veränderungen der muskulären und nervalen Strukturen sowie unterschiedliche Empfindlichkeiten der lokalen Rezeptoren als Ursache für die over active bladder, beim Mann auch unabhängig von der BPH [24].

Die urodynamische Messung ist die einzige Möglichkeit herauszubekommen, ob die Prostata oder die Blase per se an der überaktiven Blase „Schuld“ ist. Zeigt sich neben einer motorischen Detrusoraktivität bei einer gewissen Füllung ein hoher Blasendruck, so muss zunächst eine Beseitigung des subvesikalen Auslasswiderstandes durch TUR-P oder Holmium-Laserenukleation durchgeführt werden. Ist dies nicht der Fall, bringt eine Prostataresektion meist nichts und es ist auch beim Mann dann ähnlich wie bei der Frau eine Parasympathikolyse oder Gabe von Mirabegron angezeigt. Im Fall des fehlenden Erfolges kann auch hier Botulinumtoxin (BTX) in die Blase injiziert werden. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass das Risiko eines postoperativen Harnverhalts und der Notwendigkeit eines passageren Einmalkatheterismus beim Mann wesentlich höher ist. In einer retrospektiven Studie von Bels [4] bekamen 28,6 % der Männer ohne Prostataresektion einen Harnverhalt, wohingegen nach Prostataresektion dies nur noch bei 7,5 % der Fall waren [4, 24]. Das Risiko eines Harnverhaltes nach BTX-Gabe wird bei Männern mit 2,4-mal höher angesetzt als bei Frauen [24].

Fazit

Die Harninkontinenz ist ein extrem häufiges, in ihrer Bedeutung unterschätztes Problem, das bei Frauen beispielsweise das häufigste chronische Krankheitsbild ist und das aufgrund der dadurch entstehenden Kosten ein hohes volkswirtschaftliches Problem darstellt. Sowohl beim Mann als auch bei Frauen sind sowohl die Belastungs- als auch die Dranginkontinenz immer linderbar und sehr oft heilbar, so dass es an uns Ärzten liegt aufzuklären, dass betroffene Patienten zum Arzt gehen. Hierbei ist es wichtig, dass neben Urologen auch Gynäkologen als die dafür vorgesehenen Organspezialisten auch Allgemeinmediziner über die Therapiemöglichkeiten Bescheid wissen, um den Patienten wieder eine verbesserte Lebensqualität geben zu können.

Prof. Dr. med. Tilman Kälble, Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie, Klinikum Fulda gAG Pacelliallee 4, 36043 Fulda

E-Mail: kaelble.urologie@klinikum-fulda.de

Die Literaturhinweise finden Sie hier.

Multiple Choice-Fragen

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