Dr. med. Michael Zieschang
Definition und Epidemiologie
Ein Praxisblutdruck über 140/90 mm Hg wird als Hypertonie definiert. Grad 1 besteht bei Werten zwischen 140–159 systolisch und/oder Werten zwischen 90–99 mm Hg diastolisch, Grad 2 zwischen 160–169 mm Hg und/oder 100–109 mm Hg diastolisch und Grad 3 bei Werten ≥ 180 und/oder ≥ 110 mm Hg diastolisch. Eine isolierte systolische Hypertonie wird bei systolischen Werten > 140 mm Hg und diastolischen Werten < 90 mm Hg festgestellt. Damit folgt die NVL den ESC/ESH Guidelines von 2018 [2], vgl. Tab. 1.
Tab. 1: Klassifikation des Blutdrucks und Definition der arteriellen Hypertonie anhand der gemessenen Praxisblutdruckwerte [2]. (© ESC/ESH 2018) | |||
Kategorie a | Systolisch (mm Hg) | Diastolisch (mm Hg) | |
Optimal | <120 | und | < 80 |
Normal | 120–129 | und/oder | 80–84 |
Hochnormal | 130–139 | und/oder | 85–89 |
Hypertonie Grad 1 | 140–159 | und/oder | 90–99 |
Hypertonie Grad 2 | 160–179 | und/oder | 100–109 |
Hypertonie Grad 3 | ≥ 180 | und/oder | ≥ 110 |
Isolierte systolische Hypertonie b | ≥ 140 | und | < 90 |
BP Blutdruck („blood pressure“), SBP systolischer Blutdruck | |||
a Die BP-Kategorie ist definiert gemäß klinischem BP im Sitzen und durch den jeweils höchsten Blutdruckwert, sei er systolisch oder diastolisch. | |||
b Die isolierte systolische Hypertonie wird in Grad 1, 2 oder 3 eingestuft gemäß den SBP-Werten in den angegebenen Bereichen. Für alle Altersstufen ab 16 Jahren wird dieselbe Klassifikation genutzt. |
Die 12-Monatsprävalenz (d. h. wie viele Krankheitsfälle gab es in einem Jahr) der arteriellen Hypertonie erwachsener Menschen in Deutschland beträgt 31,8 % (95 % KI 31,0; 32,7 %). Für über 65-Jährige liegt der Wert bei 63,8 % (95 % KI 61,5 %; 66,1 %) [3].
Betrachtet man die kassenärztliche Versorgung, wurden für das Jahr 2018 für 25,07 % erwachsener Patienten die Diagnose einer Hypertonie kodiert. Sekundäre Hypertonie wurde in 0,9 % der Fälle verschlüsselt, also bei jedem 25. Hypertoniker [4]. Ob diese Diskrepanz zur 12-Monatsprävalenz nur durch Probleme bei der Verschlüsselung bedingt ist, ist unklar.
Diagnostik
Ab dem 18. Lebensjahr soll bei Arztbesuchen einmal ein Blutdruck gemessen und dokumentiert werden. Eine Prävalenz des Hochdrucks > 10 % wird bei Männern von 40–44 Jahren, bei Frauen von 45–49 Jahren erreicht. [4, 13]
Bei Patienten mit Symptomen einer Hypertonie oder Risikofaktoren einer Hypertonie oder anderen kardiovaskulären Risikofaktoren sollte eine Praxisblutdruckmessung erfolgen. Liegt der Wert dabei < 140/90 mm Hg, soll eine Kontrolle in einem Jahr erfolgen, liegt der Wert darüber, sollte der Bluthochdruck idealerweise durch eine Langzeitblutdruckmessung bestätigt werden. Ersatzweise können Heimblutdruckmessungen erfolgen und, falls auch das nicht möglich ist, eine zweite Praxisblutdruckmessung innerhalb drei bis vier Wochen. Bestätigt man die Diagnose einer Hypertonie, sollen Anamnese, körperliche Untersuchung und eine Labordiagnostik (Tab. 2) erfolgen, um behandelbare Ursachen des Bluthochdrucks, weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren (Tab. 3) und Endorganschäden zu identifizieren.
Tab. 2: Labordiagnostik [1] |
Natrium |
Kalium |
eGFR (Serumkreatinin) |
Lipidstatus |
Nüchternplasmaglukose, ggf. HbA1c |
Urinstatus (z. B. mittels Urinstreifentest) |
Tab. 3: Häufige kardiovaskuläre Risikofaktoren [1] |
Adipositas |
Tabakkonsum |
Riskanter Alkoholkonsum |
Diabetes mellitus |
Hyperlipidämie |
Bewegungsmangel |
Stress |
Allen Patienten mit Hypertonie sollte bei Erstdiagnose ein Ruhe-EKG mit zwölf Ableitungen und die Bestimmung der Albumin/Creatininratio im Urin empfohlen werden. Für Patienten mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) < 60 ml/min soll regelhaft eine Albumin/Creatininratio durchgeführt werden. Die Evidenz von Endorganschäden ist für diesen Patientenkreis mit eingeschränkter Nierenfunktion noch einmal höher.
Besteht nach Anamnese, körperlicher Untersuchung, der oben genannten Basisdiagnostik und hohen Werten bei kardiovaskulären Risikoscores der Verdacht auf Endorganschäden oder bedeutsame Komorbiditäten, werden weiterführende Untersuchungen (z. B. Ultraschall des Herzens, der Carotiden, der Nieren usw.) notwendig.
Ergeben sich Verdachtsmomente für eine sekundäre Hypertonie (z. B. RR > 160/100 und Alter < 60 Jahre, > 180/110 oder therapierefraktäre Hypertonie, rasch progrediente Steigerung des Blutdrucks vor dem 40. Lebensjahr usw.) wird weitere Diagnostik erforderlich.
Monitoring
Idealerweise sollte vom Patienten sieben Tage vor jedem Kontrolltermin beginnend 2 x pro Tag der Blutdruck gemessen werden (je zwei Messungen morgens und zwei Messungen abends). Diese Selbstmessungen sollen in einer Praxisblutdruckmessung bestätigt werden. Bei deutlicher Diskrepanz zwischen diesen beiden Befunden erfolgt eine Langzeitblutdruckmessung.
Nach Beginn und bei Therapieanpassung wird nach vier bis sechs Wochen kontrolliert, um den Behandlungserfolg beurteilen zu können. Neben dem Blutdruck und der Herzfrequenz werden je nach Komorbidität und eingesetztem Antihypertensivum evtl. noch andere Parameter (Gewicht, eGFR und Elektrolyte, Verträglichkeit der Medikamente, Adhärenz) kontrolliert. Je nach Nebenerkrankungen können weitere Parameter kontrollbedürftig sein (z. B. Proteinurie).
Sind die Therapieziele erreicht, sind Kontrollen alle drei Monate in aller Regel ausreichend. Bei der Langzeitbeobachtung ohne relevante Komorbiditäten können einjährige Intervalle ausreichen. Für alle diese Empfehlungen gibt es, wenn überhaupt, nur geringe Evidenz, vgl. Abb. 1.
Partizipative Entscheidungsfindung und Therapieplanung
Warum behandeln wir den Bluthochdruck? Die krankheitsbezogene Lebensqualität soll verbessert, die Hypertonie assoziierte Morbidität reduziert, kardiovaskuläre Folgeerkrankungen sollen vermieden und die Sterblichkeit reduziert werden. Zu diesen Punkten sollen Patient*innen und Ärzt*innen am Anfang der Therapie und wiederholt im Krankheitsverlauf gemeinsame Therapieziele vereinbaren.
Mögliche Fragen dabei sind: Ist es bei dieser Patientin wirklich notwendig, eine fünfte Antihypertensivaklasse einzuführen, um den Bluthochdruck weiter zu verbessern, wenn sie ohnehin schon über zu viele Tabletten klagt? Ist bei jenem Patienten mit Sturzgefahr wegen orthostatischem Schwindel ein höherer Zielblutdruck nicht vielleicht besser? Wird man bei jungen Patienten mit einer Nierenerkrankung und großer Proteinurie nicht besser versuchen, den Blutdruck so niedrig wie irgend möglich einzustellen?
Je nach Begleitfaktoren (siehe Abb. 2) gibt es einen Zielkorridor für individualisierte Therapie. Für die Aufklärung der Patient*innen sind zu diesen Themen Ratgeber in leicht verständlicher Form erstellt worden (https://www.leitlinien.de/themen/hypertonie/patientenblaetter).
Die Adhärenz zu den verschiedenen Therapiemaßnahmen beeinflusst sehr den Therapieerfolg. Evidenzbasierte gut standardisierte Maßnahmen zu Verbesserung dieser Adhärenz gibt es leider bisher nicht.
Nichtmedikamentöse Therapie
Salzarme Kost
Empfohlen werden weniger als 6 g Kochsalz pro Tag. Die Erfahrung zeigt, dass das nur wenige Patienten einhalten können oder wollen.
Gewichtsabnahme
Ist ein/-e Patient*in übergewichtig, trägt eine Gewichtsreduktion zur Senkung des Blutdrucks bei. Unter Umständen kann dann die Anzahl der Antihypertensiva vermindert werden. Hier wurde leider nur ein abgeschwächter Empfehlungsgrad ausgesprochen. Sicherlich erreicht man eine relevante Gewichtsabnahme bei stark übergewichtigen Patient*innen nur selten dauerhaft. Aber nach persönlicher Meinung sind gerade dann die Erfolge der Blutdrucksenkung und auch die Verminderung anderer Beschwerden umso größer.
Körperliche Aktivität
Eine regelmäßige (mindestens zwei Stunden pro Woche) körperliche Aktivität moderater Intensität wird empfohlen, d. h. Patient*innen sollen weder überlastet noch unterfordert werden. Für Ausdauertraining, Krafttraining, Yoga, Tai Chi und Qigong liegen Untersuchungen diesbezüglich vor. Die Evidenz für diese Empfehlung ist leider auch gering.
Ernährung
Einzelne Ernährungsinterventionen können wegen sehr geringer Evidenz der Studien nicht empfohlen werden. So wird z. B. die vielfach empfohlene DASH1-Ernährung vom IQWiQ (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) als nicht signifikant wirksam beurteilt [5].
1DASH = Diätetischer Ansatz zum Stopp von Hypertension (Bluthochdruck), auf englisch „Dietary Approach to Stop Hypertension: Ernährungsumstellung auf Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und Fisch.
Tabakkonsum
Nikotinkarenz und Vermeidung der Exposition werden nicht zur Therapie der Hypertonie, sondern zur Vermeidung eines wichtigen weiteren kardiovaskulären Risikofaktors empfohlen. Ein sehr gelungener Patientenratgeber wurde auch hierzu erstellt. (Warum hilft es, aufs Rauchen zu verzichten? https://www.leitlinien.de/themen/hypertonie/patientenblaetter/
Kurzlink: https://tinyurl.com/mvaj6ujk).
Alkohol
Ein risikoarmer Alkoholkonsum soll nicht überschritten werden. Auch hier fehlen leider gute Untersuchungen, die für strukturierte Maßnahmen zur Verminderung des Alkoholkonsums eine Senkung des Bluthochdrucks belegen könnten.
Entspannungsverfahren
Entspannungsverfahren sind meistens nur in kleinen Studien ohne klinisch harte Endpunkte untersucht.
Schulung
Strukturierte Schulungen zum Thema Hypertonie sollten empfohlen werden. Eine bessere Krankheitseinsicht könnte durch solche Maßnahmen gefördert werden und zu einer besseren Adhärenz führen. Gutes Wissen über die eigene Erkrankung ist außerdem eine Grundvoraussetzung für eine partizipative Entscheidungsfindung. Die Verfügbarkeit von Schulungen ist allerdings gering.
Mögliche Inhalte solcher Schulungen (nach [1]):
Selbstmessung des Blutdruckes
- Lebensstiloptimierung
- Förderung des Krankheitsverständnisses
- Vermittlung von Grundlagen der Pathophysiologie und der medikamentösen Therapie
- Selbstanpassung der medikamentösen Therapie
- Wiedervorstellungsintervall
- Umgang mit Notfallsituationen
Tab. 4: Analogwerte für die Praxis-, Heim- und ambulante 24-h-Blutdruckmessung (ABDM) | |||
Praxisblutdruckmessung | Heimblutdruckmessung | Ambulante 24h-Blutdruckmessung Gesamtperiode | Ambulante 24h-Blutdruckmessung Tagesperiode |
120/80 mmHg | 120/80 mmHg | 115/75 mmHg | 120/80 mmHg |
130/80 mmHg | 130/80 mmHg ESH/ESC | 125/75 mmHg ESC/ESH | 130/80 mmHg |
140/90 mmHg | 135/85 mmHg ESH/ESC/NICE | 130/80 mmHg ESH/ESC | 135/85 mmHg ESH/ESC/NICE |
Abkürzungen: AHA, American Heart Association; ESC, European Society of Cardiology; ESH, Europäische Hypertonie-Gesellschaft; NICE, National Institute for Health and Clinical Exellence | |||
Quelle: aus [1, dort Tab. 11] – nach AHA 2017 [12, 13] (die entsprechenden Analogwerte der ESH/ESC [2] sowie NICE [11] sind gekennzeichnet). |
Medikamentöse Therapie
Therapiealgorithmus zu Beginn
Abhängig vom Ausgangsblutdruck wird zur Initialtherapie eine Monotherapie oder bevorzugt eine Kombinationstherapie empfohlen. Diese Empfehlung einer initialen Kombinationstherapie ist nicht unumstritten [6]. In der Regel wird man zuerst einen Calciumantagonisten oder einen RAS-Blocker (Renin-Angiotensin-System) benutzen. Ist auch die Kombination dieser beiden Stoffgruppen nicht ausreichend wirksam, wird ein Thiaziddiuretikum hinzugefügt. Komorbiditäten bedingen eine Bevorzugung bestimmter Medikamente.
Ist der Blutdruck nicht gut eingestellt, macht es mehr Sinn, einen zweiten Wirkstoff hinzuzufügen, als ein Medikament auszudosieren. Man erreicht so eine deutlich stärkere Senkung des Blutdrucks.
RAS-Hemmer
Für ACE-Hemmer (engl.: Angiotensin Converting Enzyme) ist die Datenlage etwas besser als für AT1-Blocker. Die Blutdrucksenkung ist jedoch nicht unterschiedlich und unter ACE-Hemmern tritt als mögliche Nebenwirkung Husten auf, der bei AT1-Blockern nicht auftritt. Bei afroamerikanischen Patienten sind RAS-Blocker etwas weniger blutdruckwirksam. Da beide Medikamentengruppen teratogen sind, sind sie in der Schwangerschaft kontraindiziert und sollten bei Frauen im gebärfähigen Alter vermieden werden, es sei denn, es ergibt sich eine spezielle Indikation aus Begleiterkrankungen. Bei Diabetes/metabolischem Syndrom, Herzinsuffizienz und Nierenerkrankungen sind sie erste Wahl. Wegen der unerwünschten Arzneimittelwirkung (UAW) einer Hyperkaliämie muss der Elektrolythaushalt überwacht werden, insbesondere wenn weitere kaliumsparende Medikamente eingesetzt werden. Ein Angioödem ist erfreulicherweise sehr selten als Nebenwirkung zu beobachten.
Calciumantagonisten
Die Substanzen vom Dihydropyridintyp sind eine gute Alternative, da sie metabolisch neutral sind. Als mögliche UAW können Beinödeme auftreten und machen dann manchmal differenzialdiagnostische Probleme bei Herzinsuffizienz. Diese durch Calciumantagonisten verursachten Ödeme sollten nicht diuretisch behandelt werden, da sonst eine sekundärer Hyperaldosteronismus ausgelöst wird. Calciumantagonisten von Non-Dihydropyridintyp sind bradykardisierend und werden nur noch selten eingesetzt.
Diuretika
Sie sind ebenfalls Medikamente der ersten Wahl zur antihypertensiven Therapie. Für Thiazide gibt es sehr gute Endpunktstudien, für Schleifendiuretika nicht. Schleifendiuretika wird man daher nur bei schwerer Herz- und Niereninsuffizienz mit Überwässerungsproblematik einsetzen. Hydrochlorothiazid ist bezüglich harter Endpunkte gegenüber früheren Erwartungen nicht weniger wirksam als Chlortalidon [7]. Ein erhöhtes Risiko bezüglich nicht-schwarzen Hautkrebses muss als möglicher Nachteil bedacht werden. Ob Indapamid hierfür wirklich weniger Risiken aufweist, ist umstritten. Möglicherweise handelt es sich hier um einen Klasseneffekt. Ebenso sind Hyponatriämien, Hypokaliämien und Exsikkosen insbesondere bei höheren Dosierungen als UAW möglich. Patienten lehnen diese Medikamentengruppe wegen der sie störenden diuretischen Wirkung in höheren Dosierungen gelegentlich ab. Erhöhungen der Harnsäure, der Triglyzeride und des Glucosestoffwechsels sind insbesondere in niedrigen Dosierungen in aller Regel kein Problem. Vgl. Abb. 3.
Fixkombinationen
Nach Ansicht der NVL wird darin ein Vorteil gesehen zur Förderung der Adhärenz und Persistenz. Nach meiner Ansicht können sie bei gut eingestelltem Hypertonus zur Reduzierung der Tablettenlast eingesetzt werden. In der Phase der Ein- oder Umstellung des Hypertonus sind sie eher hinderlich. Außerdem fällt es schwerer, Nebenwirkungen einem Präparat zuzuordnen. Ob die mutmaßlichen Vorteile, nämlich eine Verbesserung der Adhärenz bisher ohne Nachweis einer Verbesserung harter Endpunkte, diese Nachteile aufwiegen, ist meiner Meinung nach ungewiss.
Algorithmus-Kritik
Spannend ist eine neuere Arbeit [8], die den Grundalgorithmus infrage stellt: Hier wurden im Cross-over-Design vier verschiedene Antihypertensiva benutzt und zeigten je nach Patient*in ein sehr unterschiedliches Ansprechen auf den Blutdruck. Danach könnte es Sinn machen, verschiedene Antihypertensiva auszuprobieren, um zu sehen, welches bei einem individuellen Patienten am wirksamsten ist. Dies würde allerdings nur einen Sinn machen, wenn nicht aus einer Komorbidität heraus schon eine Indikation für ein bestimmtes Medikament besteht.
Therapieerweiterung
Sollte der Blutdruck mit der Erstlinientherapie (RAS-Blockade plus Ca-Antagonist plus Thiaziddiuretikum nicht gut eingestellt sein, ergeben sich verschiedene weitere Möglichkeiten: Spironolacton in niedriger Dosierung (25 mg) bei einem Ausgangskalium < 4,5 mmol/l. Liegt das Ausgangskalium höher, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Medikament im späteren Verlauf wegen Hyperkaliämie abgesetzt werden muss. Aber auch bei primärem Hyperaldosteronismus würde man das Medikament, dann aber in höheren Dosierungen, einsetzen.
Bei Kalium > 4,5 mmol/l stehen Alphablocker oder Betablocker zur Verfügung. Alphablocker wären die erste Wahl bei Phäochromozytom (sehr selten) und (viel häufiger) bei benigner Prostatahyperplasie.
Betablocker sind insbesondere bei chronischer Herzinsuffizienz und/oder tachykardem Vorhofflimmern indiziert. Da diese Begleiterkrankungen bei Hochdruckkranken häufig sind, wird ihr Stellenwert in jüngster Zeit wieder etwas positiver gesehen [9].
Reservemedikamente
Clonidin, Moxonidin, Verapamil, Urapidil, Minoxidil. Kaliumsparende Diuretika (z. B. Triamteren) können überlegt werden, falls Spironolacton (Gynäkomastie) nicht vertragen wird. Schleifendiuretika werden vorzugsweise bei höhergradiger Niereninsuffizienz und Überwässerung eingesetzt. Alpha-Methyldopa hat einen Platz nur während Schwangerschaft und Stillzeit.
Minoxidil als Vasodilatator darf nur mit einem Betablocker oder einer anderen bradykardisierenden Substanz wegen der tachykarden Wirkung gegeben werden. Darüber hinaus ist eine tägliche Gewichtskontrolle wegen der Neigung zu Wasserretention obligat. Es müssen in der Regel Schleifendiuretika kombiniert werden. Sehr problematisch ist Minoxidil bei Frauen wegen des vermehrten Haarwuches leider in allen Körperpartien. Clonidin als Imidazolinrezeptoragonist wirkt bradykardisierend und kann starke Mundtrockenheit und Sedation verursachen. Zu beachten sind bei dem Medikament auch Reboundeffekte bei zu schnellem Absetzen. Alternativ kann das etwas schwächere Moxonidin eingesetzt werden, es soll etwas weniger Mundtrockenheit verursachen.
Schwangerschaft und Stillzeit
Eine neuere Studie hat frühere Bedenken gegen eine zu strenge Blutdruckeinstellung in der Schwangerschaft zerstreut. Es wurde nachgewiesen, dass sich bei einem Zielblutdruckwert < 140/90 mm Hg Vorteile für die Endpunkte Präeklampsie und Frühgeburt ergeben [10]. Wirkstoffe der ersten Wahl zur Therapie der Hypertonie sind Nifedipin in der retardierten Form, Metoprolol und Alpha-Methyldopa. Alle drei Substanzen können auch in der Stillzeit angewendet werden. Zur Verhinderung schwerer Hypertonien in der Schwangerschaft sind Nifedipin und Metoprolol dem Alpha-Methyldopa überlegen. Die meisten publizierten Erfahrungen bestehen für Metoprolol. Bei vorbestehender Hypertonie kann es unter Umständen notwendig sein, Hydrochorothiazid weiter zu geben. ACE-Hemmer und AT1-Blocker müssen in der Schwangerschaft abgesetzt werden. Bei Unklarheiten empfiehlt sich eine Risikoberatung durch das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum der Charité in Berlin (www.embryotox.de). Ein Patienteninformationsblatt zur Arzneimitteltherapiesicherheit in der Schwangerschaft kann man unter: https://www.patienten-information.de/patientenblaetter/bluthochdruck-schwangerschaft/
oder via Kurzlink: https://tinyurl.com/6f56uwes
Hypertensive Entgleisung/ hypertensiver Notfall
Zur Definition: Eine hypertensive Entgleisung wird in der NVL als Blutdruck > 180/110 ohne akute Symptome definiert. Ein hypertensiver Notfall ist die Kombination dieses Blutdrucks mit Symptomen seitens des Hirns (Enzephalopathie, intrazerebrale Blutung und ischämischer Schlaganfall), des Herzens (Akutes Koronarsyndrom, Aortendissektion, Herzinsuffizienz), der Lunge (Lungenödem) und oder einer akuten Niereninsuffizienz. Während die Entgleisung ambulant antihypertensiv zurückhaltend behandelt werden kann, müssen Patient*innen mit hypertensivem Notfall stationär eingewiesen werden. Welches Medikament sie dann benützen (siehe Tab. 5), kann allerdings nicht evidenzbasiert empfohlen werden, sondern beruht weitgehend auf Erfahrungen der Leitliniengruppe.
Tab. 5: Ausgewählte Notfallmedikamente [1] | |||
Wirkstoff | Initial* | Erhaltung* | Kontraindikationen (beispielhaft) |
auch ambulant eingesetzt | |||
Glyceroltrinitrat (sublingual) | 0,5–1 mg/h | maximal 8–10 mg/h | erhöhter intrakranieller Druck Phosphodiesterasehemmer-Anwendung |
Urapidil (intravenös) | 12,5 mg (– max. 50 mg) initial | 5–40 mg/h | Aortenisthmusstenose, arteriovenöser Shunt Besondere Vorsicht bei Herzinsuffizienz, die durch mechanische Funktionsbehinderung bedingt ist (Mitralstenose, Aortenklappenstenose), bei Lungenembolie und bei Perikarderkrankungen. |
Amlodipin (peroral) | 5–10 mg | 5–10 mg | instabile Angina pectoris, akuter Myokardinfarkt und schwere Leberfunktionsstörung |
Clonidin (oral, subkutan, intramuskulär oder intravenös) | 75 μg | 75 μg pro 12 Stunden | instabile Angina pectoris, akuter Myokardinfarkt, Sinusknotensyndrom, Bradykardie, AV-Block II. und III. Grades, fortgeschrittene arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) |
Furosemid (peroral, intravenös) | z. B. 20–40 mg | neben weiteren therapeutischen Maßnahmen Wirkdauer bei chronischer Nierenkrankheit bis zu 24 Stunden Dosierung/-intervall richten sich u. a. nach den Begleitumständen (z. B. Ödeme) | |
eher stationär eingesetzt | |||
Enalaprilat (intravenös) | Initial 1,25 mg (über 5 Minuten) | Dosiserhöhung bis auf 5 mg/6 Stunden | Schwangerschaft Myokardinfarkt Bilaterale Nierenarterienstenose |
Esmolol (intravenös) | Loading dose 500–1000 μg/kg/min (über 1 Minute) | 50–300 μg/kg/min | bereits bestehende Betablockertherapie Bradykardie (dekompensierte) Herzinsuffizienz |
Nitroprussidnatrium (intravenös) | 0,3–0,5 μg/kg/min | Steigerung um 0,5 μg/kg/min | cave: intraarterielle oder engmaschige Blutdruckmessung empfohlen |
* nach ACC/AHA Leitlinie [13] , u. a. abhängig von Indikation moderat oder schnell auf Zielblutdruck zu senken (Lit. siehe [1], dort Tab. 22). |
Interventionelle Strategien
Renale Denervation
Eine renale Denervation kann angeboten werden, wenn nach Ausschöpfung aller medikamentösen Möglichkeiten die Therapieziele nicht erreicht werden können. Die ursprüngliche Euphorie und die darauffolgende Desillusionierung aufgrund schlechter Studienergebnisse sind jetzt einer engen und differenzierten Indikationsstellung gewichen. Die Methode sollte nur in renalen Denervationszentren durchgeführt werden.
Barorezeptorstimulation
Da die Methode nicht unkompliziert ist, große Risiken birgt, sehr kostenintensiv ist und nur sehr beschränkte Erfahrungen vorliegen, sollte die Barorezeptorstimulation nur wenigen speziellen Sonderfällen vorbehalten bleiben, für die eine renale Denervation nicht infrage kommen.
Fazit
Die NVL Hypertonie ist eine sehr ausführlich und gut begründete Empfehlung für eine rationale, evidenzbasierte Diagnostik und Therapie der arteriellen Hypertonie. Insbesondere der Zielkorridor für die Einstellung des Bluthochdrucks und die aktuellen Maßgaben zur Behandlung der Schwangerschaftshypertonie sind wichtige Neuerungen.
Nationale Versorgungsleitlinien (NVL)
Die Nationale Versorgungsleitlinie Hypertonie [1] stellt systematisch entwickelt und wissenschaftlich begründet die Evidenz und den Stand medizinischen Wissens in der Versorgung der arteriellen Hypertonie dar. Nach einem transparenten strukturierten Vorgehen wurde ein Konsens mehrerer Experten und Expertinnen unter Einbeziehung von Patientengruppen erzielt.
Das Programm für Nationale Versorgungsleitlinien (NVL) ist eine gemeinsame Initiative von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zur Qualitätsförderung in der Medizin (AWMF). Die operative Durchführung und Koordination des NVL-Programms erfolgt durch das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Dieses ist eine gemeinsame Einrichtung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung.
Ergänzt werden diese Leitlinien durch Patientenratgeber, die die Sachverhalte allgemein verständlich darstellen.
Leitlinien sind Orientierungshilfen im täglichen klinischen Alltag und keine Zwangsvorgaben. Sie müssen den tatsächlichen Gegebenheiten (Begleiterkrankungen der Patienten, Wünsche des Patienten, vorhandene Ressourcen usw.) angepasst werden. Es bedarf einer guten Begründung, weicht man von den Vorgaben ab. Nur so können die Patienten vor Fehl- oder Überversorgung geschützt werden.
Dr. med. Michael Zieschang, Darmstadt, E-Mail: mzieschang@alicepark.de
Der Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben. Die Literaturhinweise finden Sie am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“ in der PDF-Version dieses Artikels.
Multiple Choice-Fragen
Die Multiple Choice-Fragen zum Artikel „Die Nationale VersorgungsLeitlinie Hypertonie“ von Dr. med. Michael Zieschang finden Sie im Mitglieder-Portal (https://portal.laekh.de) sowie am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“. Die Teilnahme zur Erlangung von Fortbildungspunkten ist ausschließlich online über das Mitglieder-Portal vom 25. September 2023 bis 24. März 2024 möglich. Die Fortbildung ist mit zwei Punkten zertifiziert. Mit Absenden des Fragebogens bestätigen Sie, dass Sie dieses CME-Modul nicht bereits an anderer Stelle absolviert haben. Dieser Artikel hat ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen. Nach Angaben des Autors sind die Inhalte des Artikels produkt- und/oder dienstleistungsneutral, es bestehen keine Interessenkonflikte.