Die Stiftung „Leben mit Krebs“ war ihre Idee: Prof. Dr. med. Elke Jäger, seit über 30 Jahren in der Klinik für Onkologie und Hämatologie am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt zunächst als Oberärztin, dann als Chefärztin tätig, engagiert sich leidenschaftlich im Kampf gegen Krebs. „Der Name der Stiftung bringt das Stiftungsziel zum Ausdruck: Menschen, die an Krebs erkrankt sind, sollen Wege finden, gut mit der Krankheit zu leben“, sagt Jäger im Gespräch. Viele Patientinnen und Patienten hätten kein Heilungsziel, doch auch bei ihnen gehe es darum, das Leben lebenswert erscheinen zu lassen. Seit 2005 seien die Behandlungen onkologischer Erkrankungen besser geworden, so Jäger. Schon zu jener Zeit habe sie Krebspatientinnen und -patienten empfohlen, Sport zu treiben, um ihre Lebensqualität zu verbessern.
Über diesen Rat waren nicht nur die Patienten erstaunt, auch die Hausärztinnen und -ärzte, die damals noch zu Schonung bei einer Krebserkrankung rieten. Es bedurfte einer kleinen Pilotuntersuchung gemeinsam mit Prof. Dr. med. Dr. phil. Winfried Banzer, Abteilung Präventiv- und Sportmedizin am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main, „um den Skeptikern zu zeigen, dass Krebspatienten ihre körperliche Verfassung durch Bewegung verbessern können“. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie bestätigten Jäger und zeigten, dass Bewegungstherapie während einer Krebsbehandlung die Leistungsfähigkeit verbessert, die Nebenwirkungen der Chemotherapie lindert und das Selbstvertrauen der Patientinnen und Patienten stärkt.
Rudern gegen Krebs
„Ich wollte das Projekt Sport- und Bewegungstherapie bei Krebs unbedingt finanzieren“, erzählt Jäger. Bereits 2005 rief die Ärztin daher die Benefizregatta „Rudern gegen Krebs“ als eine Initiative der Stiftung „Leben mit Krebs“ in Mainz ins Leben. Mit dem Ziel, medizinisch betreute Sport- und Bewegungstherapien für Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen zu ermöglichen, die sonst nur schwer finanzierbar wären. Die Benefizreihe „Rudern für einen guten Zweck“ gilt längst als Aushängeschild der Stiftung „Leben mit Krebs“ und hat sich mittlerweile zu einer der größten deutschen Breitensportveranstaltungen entwickelt. Jährlich werden bis zu zwölf Regatten mit über 3.000 Teilnehmern ausgerichtet.
Von Berlin über Kiel, Mainz, Hamburg, Magdeburg, Heidelberg, Essen, Lübeck bis Offenbach: Alleine in diesem Jahr fanden bisher neun Regatten statt. In bester Tradition der Veranstaltung starteten am 24. September Patientinnen und Patienten, Ärzteschaft, Pflegepersonal, Rudersportlerinnen und -sportler, aber auch Ruderneulinge regional ansässiger Unternehmen bei der Benefizregatta in Offenbach. Partner der Stiftung „Leben mit Krebs“ waren der Wassersportverein 1926 e. V. Offenbach a. M. – Bürgel und das Sana Klinikum Offenbach. „An allen Veranstaltungsorten stellen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ob zum ersten Mal dabei oder erfahren, ihr großartiges Engagement unter Beweis und setzen durch ihren Einsatz ein ganz starkes Zeichen gegen Krebs!“, betont Jäger.
Benefizregatten als Vehikel
Die Benefizregatten werden von onkologischen Zentren vor Ort auf die Beine gestellt. Mit den Einnahmen fördert die Stiftung „Leben mit Krebs“ am jeweiligen Standort regional therapieunterstützende Angebote in onkologischen Bereichen, insbesondere moderate Sport- und Bewegungsprojekte. „Es gibt eine Initialförderung und der jeweilige Standort ist gehalten, das Programm auszubauen“, erläutert Jäger. Inzwischen existieren 17 Standorte; ihre Programme müssen einem Qualitätskatalog entsprechen, damit onkologische Sport- und Bewegungstherapie als förderungswürdige Leistung angeboten werden kann. Die Stiftung ist dabei, einen solchen Katalog mit dem Netzwerk Onko-aktiv zu entwickeln.
„Alles wurde durch das Vehikel der Regatta angestoßen“, betont Jäger. „Es soll Aufmerksamkeit für das Thema wecken und mit einem Tabu brechen. Dem Tabu nämlich, dass man mit der Krankheit nicht an die Öffentlichkeit geht und schon gar nicht Sport treibt.“
Nicht zuletzt hätten die öffentlichkeitswirksamen Aktionen zu einem Umdenken geführt und bewirkt, dass sich die Sportvereine für Patienten mit Krebs öffneten. Eine wichtige Entwicklung, denn die wissenschaftliche Studie von Jäger und Banzer hatte ergeben, dass Sport in der Gruppe besonders wirkungsvoll ist, weil der soziale Austausch über Motivationstiefs hinweghelfen kann.
„Sport verhilft zu dem Erlebnis: Das kann ich ja!“
„In der Gruppe gemeinsam Sport zu treiben, hat auch einen therapeutischen Effekt. Man merkt, dass man trotz der Krankheit Sport treiben und auch noch Spaß daran haben kann“, sagt Jäger: „Es verhilft zu dem Erlebnis: Das kann ich ja!“ Auf der psychologischen Schiene helfe die gemeinsame Bewegung dabei, sich gegen Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit zu stemmen. „Außerdem gibt es in den Gruppen ein anderes Sozialgefüge“, ergänzt Jäger. „Man will nicht wie sonst im Sport der Beste sein, sondern richtet sich nach dem Schwächsten in der Gruppe. Auch weil man selbst bald der Schwächste sein könnte.“
Zusätzlich zu den sportlichen Aktivitäten vor Ort bietet die Stiftung „Leben mit Krebs“ einwöchige Gruppenreisen an – im Winter zum Skilanglauf und im Sommer zum Wandern. Initiativen, die die Patienten einmal mehr zusammenbringen: Jäger besucht die Reisegruppen oft und erzählt beispielhaft von einer Patientin mit aggressivem Sarkom, die sechs Jahre lang bei den Reisen mitmachen konnte und große Freude darüber empfunden habe: „Sport ist eine Leistung, die die Patienten noch selbst erbringen können, während sie die onkologische Therapie in der Regel passiv über sich ergehen lassen müssen. Durch die Bewegung fühlen sie sich wieder stark und das ist ein extrem wichtiger Effekt.“
Über Krebs sprechen und Tabus brechen
Für die Bewegungsangebote brauche es wiederum einen geeigneten Kontext und diesen wolle die Stiftung „Leben mit Krebs“ schaffen, so Jäger. Darüber hinaus bietet die Stiftung zusammen mit dem Städel Museum das Format „Kunst zu leben“ an, in dessen Rahmen Führungen zu Werken, die etwas mit Krankheit zu tun haben, veranstaltet werden. „Dabei werden Aspekte der Therapie thematisiert und bei der Bildbesprechung auch Instrumente vermittelt, wie man mit der eigenen Erkrankung fertig wird“, erklärt Jäger. Anschließend können die Teilnehmer ihre Eindrücke und Empfindungen im Zeichensaal des Städels selbst zu Papier bringen.
„Viele beschreiben das als eine Art Dammbruch, der zu der Realisierung der eigenen Krankheit beigetragen habe“, so Jäger. „Und das ist die Botschaft, die wir als Stiftung mit unseren Angeboten vermitteln möchten: Wir wollen die Patientinnen und Patienten befähigen, sich selbst zu helfen. Dabei muss jeder Einzelne an das herangeführt werden, was er bzw. sie sich wünscht und noch leisten kann.“ Über die Krankheit sprechen und damit Tabus zu brechen, ist auch Ziel der Vortragsreihe „Über Krebs reden“, die Jäger gemeinsam mit Prof. Dr. theol. Kurt Schmidt, Zentrum für Ethik in der Medizin am Markus Krankenhaus, in Frankfurt initiiert hat.
Auf Unterstützung angewiesen
Um all diese Aktivitäten und die Benefizregatten weiter erfolgreich durchführen zu können, ist die Stiftung kontinuierlich auf die Unterstützung von Sponsoren angewiesen. „Viele Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen haben uns über die Jahre sehr großzügig unterstützt und dafür gesorgt, dass Menschen mit Krebserkrankungen von Hunderten Projekten unserer Kooperationspartner profitieren konnten“, so Jäger. „Auch künftig benötigen wir für die Weiterführung der Angebote finanzielle Unterstützung.“
Informationen über die Stiftung „Leben mit Krebs“ und Fördermöglichkeiten unter: https://www.stiftung-leben-mit-krebs.de
Interview: Katja Möhrle