Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass die Covid-19-Pandemie und die staatlichen Maßnahmen zu deren Bekämpfung Kinder und Jugendliche in besonderem Maße belastet haben. Kinder konnten nicht in Kitas, Kindergärten oder Schulen gehen. Der Kontakt zu Freunden war erschwert und sogar die Spielplätze im Freien wurden gesperrt. Sportvereine und Jugendzentren durften keine Veranstaltungen organisieren. Großeltern wurde dringend abgeraten, ihre Enkel zu besuchen. Die Kinder verloren somit wichtige Lebens- und Entwicklungsräume sowie Ressourcen in einer Zeit, in der sie mit großer Unsicherheit, unkalkulierbaren Bedrohungen, familiären Belastungen und Verlusten konfrontiert waren.
Diese natürlich eher ungünstigen Bedingungen für die kindliche Entwicklung haben nachhaltige Folgen:
- Kinder haben Gewicht zugelegt und sind in ihrer motorischen Entwicklung teilweise zurück.
- In der schulischen Bildung fehlen viele Inhalte, da in Deutschland ein vernünftiger Online-Unterricht nicht flächendeckend möglich war. So hing es vom Engagement der Lehrer ab, wie sie ihre Kinder betreuten: Teils wurde erfolgreich online unterrichtet, teils wurden Arbeitsblätter ausgegeben, teils geschah einfach nichts.
- Zunehmend werden bei Kindern und Jugendlichen Essstörungen, Depression, Ängste und Spielsüchte in der Zeit während und nach der Pandemie beobachtet.
- Kinder und Jugendliche, die verstärkte Unterstützung und Hilfe benötigt hätten, wurden oft weitgehend alleine gelassen – kein Wunder, dass sich ihre Probleme zuspitzten.
Gesellschaftlich gesehen haben sich Bruchlinien und Spaltungen verstärkt. Bei einem gut unterstützenden Umfeld nahmen die Betreuer massive Belastungen auf sich, um die ausgefallenen Strukturen zumindest teilweise zu kompensieren und überforderten sich dabei oft selbst. Standen weniger Ressourcen zur Verfügung, fielen Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zurück. Mit der Folge, dass sich Störungen im Kindes und Jugendalter verschärften.
Jetzt ist es jedoch an der Zeit, nach vorne zu blicken. Kinder sind auch resilient und können nachholen, was sie versäumt haben. Hierzu bedarf es Unterstützung für zahlreiche Kinder, den Weg in den normalen Alltag wiederzufinden. Die staatlichen und kommunalen Institutionen sind in der Pflicht, ihre Angebote nachhaltig zu verbessern und in Bildung und Sozialarbeit zu investieren.
Die Integration von Kindern mit Problemen erfordert qualifiziertes Personal. Wie wäre es, die Stellenschlüssel der skandinavischen Länder für Kita, Kindergarten und Schulen zu übernehmen?
Kinder und Jugendliche, die eine anhaltende psychische und psychosomatische Störung unter Pandemie-Bedingungen entwickelt haben, benötigen ein therapeutisches Angebot, in dem die präventiven und therapeutischen Angebote im SGB V und außerhalb des SGB V-Bereiches vernetzt werden. So ist anzustreben, dass Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten sowie ambulant und stationär Behandelnde in regelmäßigem Austausch mit Jugendhilfe und Jugendhilfeeinrichtungen, der Arbeitsagentur oder Bildungswerken, aber auch den lokalen Initiativen im Rahmen eines Verbundsystems zusammenarbeiten, sowohl fallbezogen als auch versorgungsbezogen. Hierzu bedarf es Netzwerkstrukturen, die gerade in Zeiten einer Krise eingespielt sein müssen. Bei all diesen Aufgaben ist in Deutschland noch ein weiter Weg zu gehen.
Dr. med. Peter Zürner, Verantwortlicher Redakteur Hessisches Ärzteblatt
Prof. Dr. med. Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg