Ärztlicher Nachwuchs. Einsichten und Aussichten
Ärztemangel: Seit vielen Jahren ist er da. Spürbar, real, überall. Die Landesärztekammer Hessen hat diesen Umstand bereits vor 15 Jahren zum Anlass genommen, ein bundesweit einmaliges Erhebungs- und Befragungsprojekt auf den Weg zu bringen, um fundiert belegen zu können, mit welchen Erfahrungen, Haltungen und Plänen Medizinstudierende und frisch approbierte Ärztinnen und Ärzte in die Berufstätigkeit und ihre Arbeit in der Patientenversorgung starten. Im folgenden Übersichtsartikel, mit dem eine Serie zum Thema startet, geben wir einen Einblick in das Projekt und summarische Ergebnisse. Dabei wird auch so mache sich hartnäckig haltende Einschätzung und Behauptung widerlegt.
Die Erkenntnisse sind die Basis für eine Auseinandersetzung mit den drängenden Versorgungs- und Nachwuchsfragen und helfen, zielgerichtete Handlungsoptionen zu entwickeln.
Ärztemangel und viele weitere Fragen der zukünftigen ärztlichen und medizinischen Versorgung sind Themenkomplexe, denen sich die Landesärztekammer Hessen (LÄKH) seit vielen Jahren intensiv widmet. Eines der Instrumente der Stabsstelle Qualitätssicherung (QS) sind die bereits seit 2003 entwickelten und durchgeführten standardisierten Befragungen.
Zwei der laufenden Befragungsreihen werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Befragung der Absolvierenden des Studiengangs Humanmedizin in Hessen
Seit Herbst 2009 werden in Kooperation mit dem Hessischen Landesamt für Gesundheit und Pflege (HLfGP)1 zweimal jährlich alle Absolventinnen und Absolventen der ärztlichen Prüfung befragt. Die standardisierten Fragebögen samt Anschreiben und Rückumschlägen werden zwei Mal jährlich mit den Prüfungsergebnissen der abschließenden ärztlichen Prüfung über das HLfGP an alle Absolvierenden verschickt. Die Befragungsteilnahme ist anonym und freiwillig.
Der erste Abschnitt des Fragebogens konzentriert sich auf retrospektive Fragestellungen. In diesem werden die ursprünglichen Motive zur Studienfachwahl, berufliche Pläne zum Studienbeginn und Erfahrungen vor dem Medizinstudium abgefragt. Weiter folgen Fragen zum Verlauf des Studiums, wie nach der Studiendauer sowie einer möglichen Unterbrechung des Studiums. Ferner wird gebeten, die Vorbereitung durch das Studium auf das Berufsleben anhand bestimmter Kompetenzen zu bewerten. Gefragt wird zu den Überlegungen und Gründen über den möglichen Abbruch des Studiums und ob die Befragten sich eine erneute Aufnahme des Medizinstudiums vorstellen könnten.
Der zweite, prospektive Abschnitt des Fragebogens bezieht sich auf zukünftige Berufspläne. Gestellte Fragen sind unter anderem, ob die Absolvierenden eine Stelle als Ärztin oder Arzt antreten möchten oder welche Kriterien bei der Wahl des Arbeitgebers ihnen wichtig sind. Ebenfalls interessierte uns die mögliche Fachrichtung und das langfristige berufliche Ziel zum Zeitpunkt der Befragung.
Verschickt wurden bisher 11.080 Fragebögen, der Rücklauf beträgt insgesamt 50,7 %. Somit können 5.616 Datensätze aus 26 Befragungswellen von Herbst 2009 bis Herbst 2022 analysiert werden.
Befragung der Studienanfänger des Studiengangs Humanmedizin in Hessen
Bei der Auswertung der Fragebögen der Absolventinnen und Absolventen wurde deutlich, dass eine vergleichbare Befragung der Studierenden zu Beginn des Studiums erfolgen müsse, um Haltungen, Pläne und Erfahrungen und ihre Veränderungen während des Studiums zu erfassen. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Soziologie sowie dem Institut für Medizinische Psychologie der Goethe-Universität in Frankfurt konnte 2012 mit der Befragung aller Studierenden des Studiengangs Humanmedizin in Frankfurt begonnen werden. Zwei Jahre später erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie die Befragung an der Universität Marburg.
Die Fragebögen werden im Rahmen eines Pflicht-Seminars vor Ort an die Studierenden ausgeteilt und wieder eingesammelt. Bedingt durch die Umstände rund um Corona und ausschließlich online stattfindender Lehrveranstaltungen mussten die 9. Welle insgesamt und die 10. Welle in Marburg online durchgeführt werden. Die 11. Befragungswelle im Wintersemester 2022/23 konnte erneut vor Ort erfolgen.
Der Fragebogen für Studierende wurde auf Basis des Absolventenfragebogens entwickelt. Dieser beinhaltet neben der soziodemografischen Datenabfrage zwei retrospektive Fragen nach den Gründen für die Entscheidung zum Medizinstudium und zu vorangegangenen Ausbildungen oder Studiengängen. Den größten Teil nehmen prospektive Fragen nach der Wichtigkeit verschiedener Kompetenzen für den Arztberuf, den langfristigen beruflichen Plänen (wie Facharztweiterbildung, berufliche Tätigkeit oder spätere Tätigkeit im Ausland) und Vorstellungen zur späteren Berufsausübung ein.
Bisher haben von 8.301 Medizinstudierenden im ersten Semester 6.497 den Bogen ausgefüllt, was einer Rücklaufquote 78 % entspricht.
Verknüpfung beider Befragungen zu Arztlebensläufen
Bereits vor Beginn der beiden Befragungsreihen wurde vor allem dem Prozess der „Arztwerdung“ vom Anfang des Studiums bis zur Erlangung der Facharztqualifikation eine besondere Wichtigkeit beigemessen. Im Gegensatz zu den punktuellen Untersuchungen ermöglichen die beiden Befragungsreihen und die auf den beiden Befragungen basierende Paneluntersuchung einen Blick darauf, was die angehenden Medizinerinnen und Mediziner im Laufe ihres Studiums bewegt. Sie geben Aufschluss darüber, wie die Beweggründe für berufliche Entscheidungen aussehen, wo die Knotenpunkte der Entscheidungen sind und somit, wie die Versorgung von morgen aussehen könnte.
Auf Basis dieser Erkenntnisse können dann in Folge gezielte Maßnahmen zu spezifischen Zeitpunkten entwickelt werden. Mittlerweile konnten 426 Datensätze verknüpft werden.
Beitrag zur Versorgungsforschung
Bereits sehr frühzeitig hat die Landesärztekammer Hessen vor einem sich weiter verschärfenden Ärztemangel gewarnt und beobachtet die Lage auch weiter. Die gewonnenen Daten aus beiden Befragungen können in diesem Kontext wertvolle Informationen liefern und über die Länge der Zeit nun auch Tendenzen abbilden.
Die Befragungsergebnisse widerlegen unter anderem die wiederkehrenden Behauptungen, dass immer weniger Medizinabsolventen in der direkten Patientenversorgung tätig werden möchten. Lediglich weniger als 2 % der Befragten planen eine Tätigkeit außerhalb der Patientenversorgung.
Die Landesärztekammer Hessen kann sich damit auf valide Daten stützen und gezielt handeln und beraten. Die Ergebnisse werden mit unterschiedlichen fokussierenden Fragestellungen in unterschiedlichsten Gremien und Veranstaltungen präsentiert und können so dazu beitragen, auf Basis fundierter Fakten zu diskutierten und zu entscheiden.
Einzelne Ergebnisse der beiden Untersuchungsreihen werden in unregelmäßigen Abständen in weiteren Ausgaben des Hessischen Ärzteblattes veröffentlicht.
Liina Baumann, M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Stabsstelle Qualitätssicherung, Versorgungsmanagement und Gesundheitsökonomie, E-Mail: Liina.Baumann@laekh.de
Nina Walter, M.A., Leiterin der Stabsstelle Qualitätssicherung, Versorgungsmanagement und Gesundheitsökonomie; Stellv. Ärztliche Geschäftsführerin, Ärztliches Qualitätsmanagement Stabsstelle Qualitätssicherung, Versorgungsmanagement und Gesundheitsökonomie
1 Bis 31.12.2022: Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG).