Sicher erwarten Sie, dass ich Sie noch einmal bitte, Ihr aktives Wahlrecht für die Kammerwahl 2023 auszuüben. Das mache ich und zwar sehr gerne und mit voller Überzeugung: Bitte geben Sie Ihre Stimme ab und stärken so die ärztliche Selbstverwaltung, ein ausgesprochen hohes Gut. Dürften Ärztinnen und Ärzte die Angelegenheiten wie zum Beispiel Weiterbildung und Berufsaufsicht nicht selbst regeln, müsste der Staat diese Aufgaben übernehmen und überwachen. Es wäre sicher naiv zu glauben, dass dann alles einfacher oder gar kostengünstiger würde. Das Zusammenspiel aus hauptamtlich Beschäftigten und ehrenamtlich Wirkenden hat sich über Jahrzehnte bewährt.
Während ehrenamtliche Ärztinnen und Ärzte die alltägliche ärztliche Arbeit aus eigener Anschauung kennen und Entscheidungen der Kammer auch sozusagen selbst ausbaden müssen, beherrschen Hauptamtliche das Verwaltungsgeschäft. Beide ergänzen sich hervorragend, um die Anforderungen zu erfüllen, denen die Landesärztekammer Hessen als eine der Aufsicht des Sozialministeriums unterliegende, sogenannte untergesetzliche Behörde genügen muss. Eine derartige Praxisnähe könnte eine echte Behörde wohl kaum erreichen. Dass die Kammer in der bald endenden Wahlperiode viele Aufgaben erfolgreich gemeistert hat, schildert auch Dr. med. Christian Piper (vgl. S. 338), Beisitzer im Präsidium.
Auch in der kommenden Wahlperiode werden sich weder haupt- noch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kammer langweilen.
Die Diskussionen und Bemühungen, die stationäre Versorgung zu reformieren, werden anhalten. Auch wenn mancher Politiker den Wunsch hat, das ohne ärztlichen Sachverstand aus Klinik und Praxis durchzuziehen, sollten die Diskussionen der jüngeren Zeit nun klar gemacht haben, dass eine Reform ohne Einbezug der Betroffenen zum Scheitern verurteilt wäre.
Die Krankenhausreform ist sicher eine der größten Herausforderungen, die das Gesundheitssystem in den nächsten Jahren zu bewältigen hat, doch ganz bestimmt nicht die einzige. Vom Nachwuchsmangel, der auch alle anderen Branchen betrifft, will ich gar nicht sprechen. Meine Forderungen nach mehr auskömmlich finanzierten Studienplätzen für Humanmedizin sind hinlänglich bekannt. Zumindest scheint nun wenigstens etwas Bewegung in die Reform des Medizinstudiums gekommen zu sein. Werden sich Bund und Länder einig, könnte die Reform laut Bundesgesundheitsministerium zum Wintersemester 2027 in Kraft treten, also nur schlappe zehn Jahre nach der grundsätzlichen Einigung zwischen Bund und Ländern, das Medizinstudium zu reformieren. Hier hätte ich mir schon früher mehr Engagement im Bundesgesundheitsministerium gewünscht.
Stattdessen wurden offensichtlich viel Zeit und Mühe in die Legalisierung von Cannabis investiert, ein Vorhaben, das ich entschieden ablehne. Cannabis kann bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu ernsten psychischen Erkrankungen und sogar zu dauerhaften Hirnschäden führen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Zulassung von Cannabisprodukten trotz aller Begleitprogramme zum Schutz von Minderjährigen auch einen konsumverharmlosenden Effekt hat. Der Anteil insbesondere junger Konsumentinnen und Konsumenten mit täglichem Gebrauch steigt und das voraussichtlich mit bleibenden gesundheitlichen Schäden.
Es ist wahrscheinlich, nein mit Sicherheit naiv, zu glauben, dass Behörden und Regierung mit Schwung an den Abbau der überbordenden Bürokratie gehen, die uns allen Tag für Tag Zeit raubt, die der Patientenversorgung dann fehlt. Das betrifft natürlich nicht das Gesundheitswesen allein, sondern alle Bereiche des Lebens. In dem Versuch, alles möglichst bis in das kleinste Detail zu regeln, entstehen nicht nur Ungerechtigkeiten, die eigentlich damit verhindert werden sollen, sondern sinnvolle Lösungen werden behindert. Im schlimmsten Fall kann die Einhaltung der einen Vorschrift zu einer Missachtung einer anderen Vorschrift führen. Genau dieses Dilemma fürchten psychiatrische Kliniken mit dem gesetzlichen Auftrag der Pflichtversorgung, denn der bereits erwähnte Fachkräftemangel macht auch vor psychiatrischen Kliniken nicht halt. Können diese nun die in der Richtlinie zur Personalausstattung in den psychiatrischen Kliniken festgelegten Personalmindestmengen nicht mehr gewinnen, resultiert daraus eine Begrenzung der belegbaren Betten und damit möglicherweise die Gefahr, den Ordnungsbehörden schwer psychisch kranke Patienten nicht mehr abnehmen zu dürfen und den Versorgungsauftrag nicht mehr sicherstellen zu können. Hier bedarf es einer gesetzlichen Absicherung.
Ähnliche Beispiele finden sich auch in nicht-medizinischen Bereichen. Es gibt auch zukünftig viel zu tun.
Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident