Mit dieser Frage beschäftigt sich nicht nur die Ärzteschaft, sondern auch der Europäische Gerichtshof, der vor 22 Jahren in seinem Urteil vom 11. Oktober 2001 Folgendes feststellte: „Freie Berufe sind Tätigkeiten, die ausgesprochenen intellektuellen Charakter haben, eine Qualifikation verlangen und gewöhnlich einer genauen und strengen berufsständischen Regelung unterliegen. Bei der Ausübung einer solchen Tätigkeit hat das persönliche Element besondere Bedeutung, und diese Ausübung setzt auf jeden Fall eine große Selbstständigkeit bei der Vornahme der beruflichen Handlung voraus.“
Im deutschen Recht heißt es in § 1 Abs. 2 S. 1 des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes:
„Die Freien Berufe haben im allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.“
In Abschnitt I § 1 der Bundesärzteordnung heißt es zum ärztlichen Beruf: (1) Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. (2) Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf.
Damit betont der Gesetzgeber die Freiberuflichkeit der Ärzte ausdrücklich ohne Ausnahme.
Die ärztliche Freiberuflichkeit gilt daher für jede Ärztin und jeden Arzt, ganz gleich, ob angestellt oder selbstständig tätig. Es gilt die Unabhängigkeit der fachbezogenen Urteilsbildung des Arztes. Auch in der Anstellung gilt die ärztliche Verantwortung, stehen die Berufsträgerinnen und -träger für die Qualität ihrer Arbeit ein. Immer ist das Verhältnis zum Patienten ein persönlich geprägtes Verhältnis.
Und doch wird die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung seit Jahren zunehmend eingeschränkt. Überbordende Bürokratie und staatliche Regelungen gefährden den freien Arztberuf und wirken darüber hinaus demotivierend – und das generationenübergreifend.
Es war und ist daher eine Daueraufgabe der Ärztekammern, sich gegenüber der Politik für den Erhalt des Arztberufes als freier Beruf einzusetzen. Der 112. Deutsche Ärztetag 2009 hob das Privileg und die Verpflichtung der ärztlichen Freiberuflichkeit hervor: „Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf frei aus; sie sind ausschließlich dem Wohl ihrer Patienten verpflichtet. Im Zweifel muss das Wohl der Patienten Vorrang haben vor wirtschaftlichen Interessen.“ Die Freiberuflichkeit ist also kein Selbstzweck, sondern eine unabdingbare Voraussetzung für das Patientenwohl und entspricht dem ärztlichen Selbstverständnis, sich frei von interessengeleiteten äußeren Einflüssen für ihre Patienten einzusetzen.
14 Jahre später betonte der diesjährige 127. Deutsche Ärztetag mit der Essener Resolution erneut Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession: „Ärztinnen und Ärzte üben unabhängig von Stellung und Ort der ärztlichen Tätigkeit einen freien Beruf aus. […] Die individuelle Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfordert allerdings Rahmenbedingungen, die eine freie Berufsausübung sicherstellen. [...] Freiberuflichkeit findet ihren Ausdruck in der persönlichen Verantwortung, die Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen und Patienten gegenüber übernehmen. Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession sind untrennbar mit der ärztlichen Selbstverwaltung als Organisationsprinzip verbunden. [...] Die Ärztekammern stehen für das Prinzip der professionellen Selbstkontrolle, für die Einhaltung der ärztlichen Standards und ethischen Grundsätze und damit für die Qualität einer patientenzentrierten medizinischen Versorgung. [...] Unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen trotz steigendem Behandlungsbedarf, eine zunehmende Kommerzialisierung in der Medizin, staatsdirigistische Eingriffe in die Selbstverwaltung sowie eine überbordende Kontrollbürokratie führen derzeit jedoch zu enormer Arbeitsverdichtung und vielfach auch Überlastung der Berufe im Gesundheitswesen. [...] Die Ärzteschaft fordert eine systematische und strukturelle Einbindung bei allen gesundheitspolitischen Prozessen, Reformvorhaben und Gesetzesverfahren.“
Auch Peter Müller, ehemaliger Ministerpräsident des Saarlandes und seit 2011 Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, bekräftigte, dass das Recht, eigenverantwortlich und weisungsunabhängig nach den Regeln der ärztlichen Kunst über die jeweils einzusetzende Behandlungsmethode zu entscheiden, im Zentrum stehe. Auch wenn er verdeutlichte, dass diese Freiheit nicht grenzenlos ist, machte er doch unmissverständlich klar, dass deren Einschränkung durch das „Überziehen der freiberuflichen Tätigkeit mit Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, Standards und allem Möglichen“ Patienten letztlich nicht nützt, sondern sogar schadet. Seiner Forderung, man müsse deshalb die Frage stellen, ob das rechtlich vertretbar – genauer: ob es verfassungsrechtliche Grenzen für die Regulierung dieses Gesundheitsbereichs gebe, ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Die eigene Freiheit endet an der Freiheit des anderen.
Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident