Dr. Susanne Johna neue BÄK-Vizepräsidentin/Dr. Edgar Pinkowski in Vorstand der Akademie der Gebietsärzte gewählt
Glück auf
Rauchende Schornsteine, Kumpel, deren rußfarbene Gesichter von ihrer gefährlichen Arbeit unter Tage erzählen. Sie gehören der Vergangenheit an, werden in einer Filmsequenz abgelöst von aktuellen Bildern stillgelegter, in Freizeit- und Kulturorte umgewandelter Zechen: Impressionen von dem Wandel der Ruhrgebietsmetropole Essen weg vom Kohlebergbau hin zu einem bedeutenden Industrie- und Wirtschaftsstandort. Auf der Eröffnungsveranstaltung des 127. Deutschen Ärztetages (DÄT) in der Essener Philharmonie illustrierte die musikalische Ouvertüre, das virtuos von dem Folkwang Kammerorchester neu interpretierte Steigerlied „Glück auf, der Steiger kommt“, diese Transformation.
Für ihr herausragendes Engagement um die Ärzteschaft wurden Dr. Cornelia Goesmann, Dr. Claus Vogel und Dr. Leon Weintraub mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet. Emotionaler Höhepunkt war die Verleihung der Medaille an den 97 Jahre alten, im polnischen Lodz geborenen Holocaust-Überlebenden Weintraub, der das Ghetto und mehrere Konzentrationslager überlebt und später Medizin studiert hatte. Noch heute erachtet der Arzt es als seine Verpflichtung, sich gegen das Vergessen einzusetzen. Der Deutsche Ärztetag würdigte Weintraubs außergewöhnliche Lebensleistung minutenlang mit Standing Ovations.
Ärztliches Fachwissen ist kein Lobbyismus
Über die demokratische Grundordnung ließen sich ganze Bände füllen – so begann Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt seine kämpferische Rede zum Auftakt des Ärztetags. Demokratie bestehe aus Debatte und anschließender Entscheidung, zitierte er Altkanzler Helmut Schmidt. Bezogen auf den Deutschen Ärztetag bedeute dies, der innerärztlichen Debatte eine Plattform zu geben und nach außen geschlossen aufzutreten. Kleine Denkfabriken trügen wichtige Ideen zu der Debatte bei; Aufgabe der Bundesärztekammer (BÄK) sei es, diese Ideen zu kanalisieren. Er halte es für einen schweren politischen Fehler, dieses Fachwissen als Lobbyismus zu diskreditieren anstelle es zu nutzen, warf Reinhardt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor. Scharf kritisierte Reinhardt, dass wichtige Organisationen aus dem Gesundheitswesen in Gesetzgebungsprozesse des Bundes nur noch unzureichend eingebunden würden. Insbesondere seien die Fristsetzungen – mitunter nur wenige Stunden – für schriftliche Stellungnahmen bei Gesetzgebungsverfahren viel zu kurz. „Ich halte eine solche pro forma Beteiligung des Parlaments und der organisierten Zivilgesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz politischer Entscheidungen für demokratiegefährdend“, erklärte Reinhardt und forderte, die BÄK bereits bei der konzeptionellen Vorbereitung von Gesetzesinitiativen einzubinden. Nur so könne der notwendige Praxischeck gemacht werden, ohne den jede Reform ins Leere laufe.
Einbeziehung der Ärzteschaft
Diese Einbeziehung sei gerade auch bei der vom Bund geplanten Krankenhausreform notwendig, deren Ziele er grundsätzlich unterstütze, sagte Reinhardt. Die Fallpauschalen heutiger Prägung führten zu ökonomischen Fehlanreizen und extremer Arbeitsverdichtung auf den Stationen. Das könne so nicht bleiben. Reinhardt begrüßte daher das von Lauterbach angekündigte Aus der Fallpauschalen; allerdings müsse den Ländern genügend Spielraum gegeben werden, um die Reform auf ihre regionalen Bedürfnisse auszurichten. Auch sei es notwendig, bei der Reform eine enge Verzahnung mit dem ambulanten vertragsärztlichen Bereich mitzudenken.
Scharf kritisierte Reinhardt, dass der vertragsärztliche Bereich für die Bundesregierung keine Priorität zu haben scheine. Und wenn, dann um zu kürzen und zu streichen.
Reinhardt forderte von der Politik, gesundheitliche Aspekte nicht nur in dem Gesundheitsressort, sondern in allen Politikbereichen stärker zu berücksichtigen. Der Klimawandel mit seinen Folgen für die menschliche Gesundheit, die demografische Entwicklung und sich verändernde gesellschaftliche Strukturen verlangten ein deutliches Umdenken.
Lauterbach unter Druck
Der just vom G7-Gesundheitsministertreffen in Japan zurückgekehrte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) hat erfahrungsgemäß keinen leichten Stand bei der versammelten Ärzteschaft. Vermutlich verkündete er den Anwesenden deshalb gleich zu Beginn eine frohe Botschaft: Die Zahl der Medizinstudienplätze solle um 5.000 jährlich erhöht werden. Auch Pflegepersonal müsse selbst ausgebildet und dann Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die das Personal in ihren Berufen bleiben lasse, ergänzte er zu einem späteren Zeitpunkt
Erneut dankte der Bundesgesundheitsminister den Ärztinnen, Ärzten und ausdrücklich den Organen der Selbstverwaltung für ihre Arbeit in der Corona-Pandemie. Unter Bezug auf den Vorwurf, die ärztliche Selbstverwaltung mit Lobbyismus gleichgesetzt zu haben, versicherte Lauterbach, dass die Organe der Selbstverwaltung mehr seien als Lobbyisten. Doch der Versuch der Relativierung scheiterte. Beifall gab es keinen.
Aufgabe sei es, so Lauterbach, geeignete Bedingungen zu schaffen, um die medizinische Versorgung in Deutschland zu verbessern. Denn gerade fräßen technokratische Lösungen die Seele der Versorgung. Die Ökonomie dürfe die Medizin nicht dominieren, sagte er. Die Kommerzialisierung mache es immer schwieriger, junge Leute weiter für die Medizin zu begeistern. Auch die Arzneimittelversorgung sei von der Ökonomisierung betroffen. Weil Medikamente in Deutschland schlechter vergütet würden, sei es schwieriger, bei Engpässen Medikamente zu bekommen, so Lauterbach. Er wolle die Wirkstoffproduktion wieder nach Deutschland holen, Frühwarnsysteme deutlich ausbauen und drastischere Mittel einsetzen, um insbesondere der Kinderarzneimittelknappheit zu begegnen.
Negative Konsequenzen seien durch investorenbetriebene MVZ zu beobachten, so Lauterbach. Die Überlegung, welche Fälle aus finanzieller Sicht behandelt werden sollten, sei „würdelos“, sagte Lauterbach. Es brauche eine große Reform, um die Qualität der Versorgung und die Situation in den Krankenhäusern zu verbessern. Diese Reform wolle man gemeinsam mit den Ländern umsetzen, versicherte Lauterbach. Es gebe noch viel Gelegenheit miteinander zu sprechen, wies er den Vorwurf zurück, die Ärzteschaft bei den Verhandlungen nicht einzubeziehen. Zunächst müsse ein gutes Werkstück vorgelegt werden.
Auf Reinhardts Forderung nach einer Novellierung der GOÄ ging Lauterbach mit keinem Wort ein.
Tempo bei Digitalisierung
Dagegen räumte er der Digitalisierung einige Redezeit ein. Es sei eine Aufholjagd, sagte der Minister und fand deutliche Worte: „Überall ist man in vielen Bereichen weiter als in Deutschland.“
Zum Schluss seiner Rede gab sich Lauterbach versöhnlich. Nur weil nicht täglich ein strukturierter Dialog stattfinde, seien er und die Ärzteschaft trotzdem im täglichen Austausch. „Schauen Sie nicht zurück, seien sie nicht eingeschnappt, nehmen Sie die Einladung an, dass wir an diesen Baustellen gemeinsam arbeiten werden“, appellierte er an die Anwesenden.
Reformen jetzt umsetzen!
Nach der Eröffnungsveranstaltung begannen am Nachmittag die Plenarsitzungen des 127. Deutschen Ärztetags. In einem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss forderten die Delegierten den Gesetzgeber auf, wichtige Reformen im Gesundheitswesen jetzt umzusetzen. Deutschland brauche eine ganzheitliche und nachhaltig ausgerichtete Gesundheitspolitik, in deren konzeptionelle Ausgestaltung der medizinisch-fachliche Sachverstand und das Versorgungswissen der Ärzteschaft für praxistaugliche Lösungen einbezogen werden müssten. Neben den etablierten wissenschaftlichen Gremien der Politikberatung sei es notwendig, ressortübergreifend auch die Expertise der Akteure aus der Patientenversorgung in alle, die Gesundheit der Menschen betreffenden, Gesetzesinitiativen einzubeziehen. Im Sinne des Ansatzes „Health in All Policies“ (HiAP) schlug der Deutsche Ärztetag außerdem die Einrichtung eines ressortübergreifenden Deutschen Gesundheitsrats unter Beteiligung der Bundesärztekammer und weiterer Vertreter der Selbstverwaltung sowie der Wissenschaft vor.
Freiheit und Verantwortung
Eines der zentralen Themen des 127. Deutschen Ärztetages war die ärztliche Freiberuflichkeit. Intensiv befassten sich die Delegierten mit Herausforderungen für die freiheitliche ärztliche Berufsausübung, Berufsethos, Gemeinwohlorientierung und spezifisch ärztliche Fachkompetenz: Daraus leiteten sich Therapiefreiheit und Weisungsunabhängigkeit bei ärztlichen Entscheidungen, aber auch eine hohe Verantwortung für diese Entscheidungen ab. Allerdings werde die ärztliche Freiberuflichkeit durch die zunehmende Kommerzialisierung der Medizin, die ausufernde Bürokratisierung der ärztlichen Tätigkeit sowie die neuen digitalen Möglichkeiten herausgefordert.
„Freiheit und Verantwortung bilden eine Einheit, das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Diese Einheit, das ist unsere Freiberuflichkeit, die für alle Ärztinnen und Ärzte gilt, ganz egal wo, in welcher Stellung und in welchem Setting sie tätig sind“, stellte BÄK-Vizepräsident Dr. Günther Matheis klar, der gemeinsam mit BÄK-Vizepräsidentin Dr. Ellen Lundershausen durch den Tagesordnungspunkt führte. „Wir müssen die Freiberuflichkeit als Maßstab unserer ärztlichen Tätigkeit bewahren und unsere jungen Kolleginnen und Kollegen unterstützen, die sich in der Selbstverwaltung engagieren wollen“, sagte Lundershausen.
Auf großen Beifall der Delegierten stieß das Referat von Peter Müller, ehemals Ministerpräsident im Saarland, heute Richter des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht, zur Bedeutung einer modernen ärztlichen Selbstverwaltung für die Sicherung und Weiterentwicklung einer patientengerechten Gesundheitsversorgung. Müller definierte ärztliche Freiheit im Sinne von Verantwortung. Der Patient sei kein Kunde. Auch sei die freiberufliche Tätigkeit immer auch Arbeit im Sinne des Gemeinwohls. Eine Gleichsetzung von Freiberuflichkeit und gewerblicher Tätigkeit komme daher nicht in Betracht.
Auf Sachverstand hören
Der Kern der Freiberuflichkeit leide unter der Regulierungswut und Bürokratie; beides beeinträchtige auch die Patienten, so Müller weiter. Das Grundgesetz gehe vom Vorrang der Freiheit aus. Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, sei erlaubt. Deshalb wäre es nur recht und billig, der BÄK Recht und Stimme im Gemeinsamen Bundesausschuss zu geben, erklärte Müller. Der Gesetzgeber sei gut beraten, bei wichtigen Entscheidungen auf den Sachverstand der Experten zu hören.
„Ärztliche Selbstverwaltung und Freiberuflichkeit sind am Ende siamesische Zwillinge. Wenn das eine weg ist, wird das andere auch nicht überleben.“ Deshalb sei es richtig, die Weiterbildung in die Hände der ärztlichen Selbstverwaltung gelegt zu haben. Die Selbstverwaltung übernehme staatliche Aufgaben, daher gehe es einfach nicht, ärztliche Selbstverwaltung auf den Stand eines Lobbyvereins zu reduzieren. Statt des umfassenden staatlichen Regelungsanspruchs seien mehr ärztliche Selbstverwaltung und mehr Freiberuflichkeit vonnöten.
Die Rede war Anlass für die hessische Abgeordnete Anne Kandler, das Wort an das Ärzteparlament zu richten: „Wir dürfen uns nicht auseinander dividieren lassen. Lasst uns dafür sorgen, dass wir gemeinsam eine starke Stimme haben.“ Man solle Kompetenz und Expertise nicht nur beratend, sondern auch stimmberechtigt einbringen.
Nach dem Referat und intensiven Beratungen stellte der Deutsche Ärztetag in einer mit überwältigender Mehrheit beschlossenen Resolution klar: „Die individuelle Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfordert Rahmenbedingungen, die eine freie Berufsausübung sicherstellen.“ Aus diesem Grund fordert die Ärzteschaft: „[…] eine systematische und strukturelle Einbindung bei allen gesundheitspolitischen Prozessen, Reformvorhaben und Gesetzesverfahren.“
Die hessischen Abgeordneten Pierre Frevert und Dr. Christof Stork gaben gemeinsam mit weiteren Abgeordneten einen Antrag erfolgreich zur Abstimmung, der die Beendigung der Möglichkeit zur Gewinnentnahme aus Krankenhausbetrieben fordert. Die Bewertung der ökonomischen Effizienz müsse durch die der medizinischen Effizienz ersetzt werden.
Mit Blick auf die politische Einflussnahme und Angriffe auf die nationale Ärztekammer in Ungarn stimmte das deutsche Ärzteparlament einem Antrag der Hessen Dr. Lars Bodammer, Pierre Frevert und Dr. Wolf Andreas Fach zu und forderte die Bundesärztekammer damit auf, die Bedeutung der Ärztekammern auf europäischer Ebene zu stützen.
Medizinstudium und Arzneimittelengpässe
Mit Blick auf das Medizinstudium forderten die Delegierten von Bund und Ländern, die Reform der Approbationsordnung für Ärzte zügig voranzubringen. Zukünftige Ärztinnen und Ärzte benötigten eine moderne und praxisnahe Ausbildung an Patientinnen und Patienten. Die Umsetzungsfrist der Reform auf 2027 zu verschieben, sei „nicht hinzunehmen“.
Angesichts anhaltender Lieferengpässe von Arzneimitteln forderte der Deutsche Ärztetag die Einrichtung einer nationalen Arzneimittelreserve für versorgungskritische und versorgungsrelevante Arzneimittel einzurichten. Auch müssten Anreize geschaffen werden, die Produktion von Arzneimitteln in europäische Länder zurückzuführen – einschließlich der Produktion von Ausgangs- und Hilfsstoffen. Nachdrücklich appellierten die Delegierten an die Bundesregierung, innerhalb der Europäischen Union darauf hinzuwirken, EU-weite Lösungen für die wiederkehrenden Lieferengpässe zu finden.
Gesundheitsbildung
Bewegungsmangel, Übergewicht und Adipositas, verstärkter Drogenkonsum: Die gesundheitlichen Probleme von Kindern und Jugendlichen haben seit der Pandemie nochmals deutlich zugenommen. Mit überwältigender Mehrheit hat der Deutsche Ärztetag daher nachhaltige Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitsbildung junger Menschen gefordert. Kitas und Schulen spielten eine entscheidende Rolle dabei, Kindern und Jugendlichen Wissen und Kompetenzen für eine gesunde Lebensführung zu vermitteln, sagte BÄK-Präsident Reinhardt bei seiner Einführung in den Tagesordnungspunkt. Das Bildungssystem könne nicht alle Fehlentwicklungen stoppen, doch es sei zukunftsweisend, bundesweit an allen Schulen, Gesundheitsthemen fächerübergreifend zu vermitteln.
Auf Grundlage der Referate von NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller und Prof. Dr. Orkan Okan, Experte für Gesundheitskompetenz an der TU München, diskutierte der Ärztetag über den aktuellen Beitrag des Erziehungs- und Bildungssystems zur Gesundheitsbildung.
Gesundheits- und Bildungswesen hätten laut Feller eines gemeinsam: Beide handelten in der Gegenwart und hätten gleichzeitig die Zukunft fest im Griff. Ein Landesprogramm in NRW versuche, das Thema Gesundheit im gesamten Schulalltag zu integrieren. Es gehe dabei darum, Themen wie Ernährung und Gesundheit in den Unterricht einfließen zu lassen und die Kompetenz aller am Schulalltag Beteiligten nachhaltig zu stärken. Die Medienkompetenz, so Feller, sei ein weiterer wichtiger Aspekt in der Gesundheitsförderung. Der Meinung ist auch Okan. Gesundheitskompetenz definierte er als den kompetenten Umgang mit Informationen zu Gesundheit. Lerninhalte in Schulen sollten sich stärker auf die Vermittlung von Gesundheitskompetenzen mit Medienkompetenzen konzentrieren. So könnten Medien zur fächerübergreifenden Vermittlung genutzt werden. Nötig sei, auch Lehrerinnen und Lehrer durch Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Thema Gesundheitskompetenzen zu schulen.
Nach intensiven Diskussionen forderte der Deutsche Ärztetag die Kultusministerkonferenz (KMK) auf, eine länderübergreifend abgestimmte Strategie zu entwickeln, mit der die Förderung der Gesundheitskompetenz von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen nachhaltig verankert werden kann. Neben Fortbildungen für das Schulpersonal seien Mustercurricula und fächerübergreifende Lehr- und Unterrichtsmaterialien notwendig. Die Lerninhalte zur Gesundheitskompetenz müssten als verbindlicher Bestandteil in den (Rahmen-)Lehrplänen verankert und die Expertise der Ärzteschaft bei der Erarbeitung der Inhalte und der Schulungsmaßnahmen für Lehrkräfte eingebunden werden. Spätestens ab der fünften Klasse müsse das Thema „gesunde Ernährung“ bundesweit fest im Lehrplan des Sachkundeunterrichts verankert werden.
Wie Dr. Susanne Johna, Hessen, im Anschluss betonte, gehe es bei dem Thema Gesundheitsbildung nicht nur um die Vermittlung von Wissen, vielmehr müsse dieses Wissen auch in Handlungen umgesetzt werden. Gemeinsam mit Mitgliedern des BÄK-Vorstands und weiteren Abgeordneten reichte Johna den Antrag mit dem Titel „Gesundheitsbildung als Bestandteil der Primärprävention“ zur Abstimmung ein. Mit Annahme des Antrags forderte der 127. Ärztetag von den Kultusministern der Länder die Aufnahme der Gesundheitsbildung als Unterrichtsthema. Auch richtete er die Forderung an die Bundesregierung, den im Koalitionsvertrag verankerten Präventionsplan zügig umzusetzen.
Ebenso forderte der Deutsche Ärztetag die Gesetzgeber in Bund und Ländern auf Antrag der hessischen Abgeordneten Stork und Frevert auf, ein Werbeverbot für gesundheitsschädliche Lebensmittel einzuführen, bei denen Kinder medial adressiert werden.
Klares Zeichen für Klimaschutz
„Der Klimawandel stellt eine wachsende Bedrohung für alles Leben auf der Erde dar“, heißt es im Beschlussantrag des Vorstands der BÄK zum Thema „Klimawandel und Gesundheit – ganz konkret“. Konkret wurde es dann auch in den Sachstandsberichten. Der wichtigste Punkt, um eine klimaneutrale Bundesärztekammer zu erreichen, liege im Gebäude, so Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer. Zwar könne man ein modernes Bürogebäude nicht zu einem Passivhaus machen, doch gebe es geplante und bereits umgesetzte Maßnahmen, um diesem Ziel so nahe wie möglich zu kommen. Man befinde sich in einer Transformationsphase. So berichtete Quitterer von der Umrüstung auf LED-Beleuchtung im Kammergebäude, dem Verzicht auf Plastikverpackungen im Betriebsrestaurant und der Reduzierung von Dienstreisen.
Der menschengemachte Klimawandel stelle die Ärzteschaft vor eine Aufgabe , so der Präsident der Ärztekammer Berlin PD Dr. Peter Bobbert. Die Thematik müsse in die Köpfe kommen – das Wissen angeeignet und vermittelt, Verantwortlichkeiten benannt werden.
Die darauffolgende Abstimmung war ein klares Zeichen für den Klimaschutz: So forderte der Deutsche Ärztetag einen Bundesfonds für ein klimagerechtes Gesundheitswesen. Alle Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und im Gesundheitswesen wurden außerdem aufgefordert, Klimaschutz und Klimaanpassung durch entschiedene Maßnahmen voranzutreiben. Angemahnt wurden konkrete Maßnahmen zum Hitzeschutz. Dabei dürfe es nicht bei Absichtserklärungen bleiben.
In einem weiteren Beschluss empfahl der Deutsche Ärztetag auf Antrag von Frevert et al. den ärztlichen Versorgungswerken, die Durchführung einer jährlichen Klimawirkungsanalyse der investierten Anlagen. Die Abgeordneten forderten darüber hinaus Bund, Länder und Kommunen auf, die umweltmedizinische Expertise der Ärzteschaft und des ÖGD bei Klimaschutzmaßnahmen, wie bspw. Hitzeplänen, einzubinden.
Der Deutsche Ärztetag unterstützte außerdem den bei der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereichten Vorschlag zum Verbot der Herstellung und des Einsatzes aller per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Diese als „Ewigkeitschemikalien“ bezeichneten Substanzen finden Einsatz in unterschiedlichen Produkten. Sollte die Europäische Kommission dem Vorschlag Folge leisten, forderten die Abgeordneten, entsprechende Produktalternativen zu suchen, heißt es im Beschlussantrag von Bodammer et al.
Wie geht Personalbemessung?
Die Arbeitsgruppe „Personalvorgaben für Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus“ entwickelt ein fachübergreifendes Tool zur Personalbedarfsplanung aus ärztlicher Perspektive, das nicht nur die Tätigkeiten einkalkuliert, die der direkten Patientenversorgung dienen, sondern auch hinzukommende Aufgaben und Pflichten, wie bspw. Qualitätssicherung und regulative Beauftragung. Gesammelt wurden 105 ärztliche Aufgaben und Pflichten und 23 Patientengruppen, sagte die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Johna. Mit unterschiedlichen Hilfstabellen, die in die Gesamtkalkulation einflossen, sei die Nutzung des Tools zeitintensiv, müsse jedoch nur einmal jährlich gemacht werden, betonte Johna. Aktuell würden Pretests durchgeführt, so Prof. Dr. Henrik Herrmann. Sobald das Instrument ausgetestet sei, könne man interessierten Dritten das Abstract vorstellen.
Der Deutsche Ärztetag forderte daraufhin den Gesetzgeber auf, das Personalbemessungssystem der Bundesärztekammer zu verwenden und bei der geplanten Krankenhausreform auch in den Gesetzesentwürfen zu verankern.
Digitale Transformation
„Digitale Lösungen im Nachhinein an die Versorgungsrealitäten anzupassen, wird ansonsten erneut zu Frust und Zeitverzögerungen führen. Wir werden jedenfalls alles daransetzen, dass die Ärzteschaft auch zukünftig wirkungsvoll an der digitalen Transformation des Gesundheitswesens mitwirken kann“, erklärte Bobbert, Co-Vorsitzender des BÄK-Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ in einer flammenden Rede zur Digitalisierung auf dem Ärztetag. In Deutschland hänge man den anderen europäischen Ländern weit hinterher; jetzt müsse alles unternommen werden, um bei der digitalen Transformation aufzuholen.
Der Deutsche Ärztetag lehnte die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) geplante vollständige Übernahme der Gematik-Trägerschaft durch den Bund strikt ab. Die Ausgrenzung der bisherigen Gesellschafter aus der Gematik GmbH passe nicht zu der Stärkung der Nutzerorientierung, die das BMG mit der neuen Digitalstrategie für das Gesundheitswesen angekündigt habe, kritisierten die Abgeordneten. Stattdessen müsse die BÄK weiterhin Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte in der Gematik haben, die der Rolle der Ärzteschaft im Gesundheitswesen gerecht werden.
Um die Nutzer- und Praxisorientierung bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu stärken, müsse zudem ein Panel eingerichtet werden, bei dem sich Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten für die Test-Nutzung von digitalen Anwendungen registrieren könnten. Diese könnten konstant und frühzeitig die Phasen „Identifikation prioritärer digitaler Anwendungen“, „Erhebung von Anforderungen“ und „Bewertung und Nachjustierung umgesetzter Anforderungen“ begleiten.
Medizinische Apps
Dass medizinische Apps – vor allem Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) – immer mehr zum Versorgungsalltag gehören, machte Erik Bodendieck, ebenfalls Co-Vorsitzender des o. g. BÄK-Ausschusses, deutlich. Diese dürften jedoch nicht zu einem eigenen Versorgungsbereich parallel zu anderen medizinischen Versorgungsbereichen werden, warnte er. Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten bleibe, externe Evidenz und die Beurteilung einer Therapie für ihre Patientinnen und Patienten miteinander abzuwägen – basierend auf der eigenen ärztlichen Erfahrung.
Auf der Grundlage des Positionspapiers der BÄK „Der Arztberuf im Wandel digitaler Transformation – eine Standortbestimmung zum Einsatz medizinischer Apps in der Versorgung“ forderte der 127. Deutsche Ärztetag, DiGA stärker in die ärztliche Therapie zu integrieren.
Die Delegierten begrüßten die Pläne der EU-Kommission für einen europäischen Gesundheitsdatenraum. Zugleich forderten sie Nachbesserungen an dem EU-Verordnungsvorschlag, insbesondere bei den Rahmenbedingungen zur Nutzung von Patientendaten für Forschungszwecke.
Reinhardt wiedergewählt
Mit großer Spannung war die Wahl zur Präsidentschaft der Bundesärztekammer erwartet worden, für die sowohl der bisherige Amtsinhaber Dr. Klaus Reinhardt als auch Dr. Susanne Johna, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen, Bundesvorsitzende des Marburger Bundes und Mitglied im Vorstand der BÄK, kandidierten.
Nach Auszählung der Stimmen stand der Ausgang der vom BÄK-Ehrenpräsidenten Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery geleiteten Wahl fest: Mit 125 zu 122 Stimmen setzte sich Reinhardt gegen Johna durch und wurde damit erneut zum Präsidenten der Bundesärztekammer gewählt. Der 62-jährige Allgemeinmediziner aus Bielefeld steht nun für weitere vier Jahre an der Spitze der deutschen Ärzteschaft.
Johna neue BÄK-Vizepräsidentin
Nach der Bestätigung von Lundershausen in ihrem Amt als erste Vizepräsidentin wurde die hessische Internistin Johna mit überwältigender Mehrheit zur zweiten Vizepräsidentin der BÄK gewählt. In ihrer Rede warf sie der Gesundheitspolitik mangelnde Vorausschau bei den großen Herausforderungen der Gegenwart – der wachsenden Versorgungskrise und den Folgen des Klimawandels – vor.
Mit den Worten „Lassen Sie uns gemeinsam Mauern einreißen, die einer guten Versorgung entgegenstehen“ forderte Johna den Abbau von Doppelstrukturen, eine Überwindung von Sektorengrenzen, das Ende der Budgetierung und einen Bürokratieabbau, der diesen Namen verdiene. „Wir wollen Patienten versorgen“, betonte Johna leidenschaftlich.
Als ältester Delegierter des diesjährigen 127. Deutschen Ärztetages verpflichtete Dr. Gabriel Nick aus Hessen den Vorstand zur getreuen Amtsführung.
Pinkowski in den Vorstand der Akademie der Gebietsärzte gewählt
Der Präsident der Landesärztekammer Hessen Dr. Edgar Pinkowski wurde auf dem 127. Deutschen Ärztetag in den Vorstand der Deutschen Akademie der Gebietsärzte gewählt. Die Akademie wurde von der Bundesärztekammer als Beirat für die Bearbeitung und Förderung von Berufsfragen der Gebietsärztinnen und -ärzte eingerichtet.
Ärztliche Weiterbildung im Fokus
Dr. Johannes Albert Gehle und Prof. Dr. Henrik Herrmann, die beiden Vorsitzenden der Ständigen Konferenz (StäKo) „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärztekammer moderierten den nächsten Tagungsordnungspunkt Ärztliche Weiterbildung. Die (Muster-)Weiterbildungsordnung (WBO) müsse dringend entschlackt werden, erklärten Gehle und Herrmann. „Wir müssen uns die Frage stellen, ob die Qualifikationen inhaltlich überfrachtet sind“, so Herrmann: „Wir können nicht immer mehr reinpacken und sagen, das müssen wir in kürzerer Zeit machen.“ Außerdem sei es wichtig, dass die Arbeit in interprofessionellen Teams trainiert würde.
Das Präsidium der BÄK und die StäKo wurden von den Abgeordneten beauftragt, bis zum nächsten Ärztetag Eckpunkte zur Fortentwicklung der Weiterbildung zu erarbeiten. Dabei sollen die konkrete Definition für eine kammerkontrollierte Weiterbildung vorgelegt, Hands-On-Training und Blended Learning einbezogen, die Berufsverbände beteiligt und die WBO wirklich entschlackt werden. Nach Überzeugung der Delegierten steht die schlechte Qualität der Rahmenbedingungen für Ärzte in Weiterbildung auch in Zusammenhang mit den begrenzten finanziellen Mitteln. Die Überlegung, für die Förderung der Weiterbildung Steuermittel zu fordern, wurde jedoch von einigen Delegierten scharf kritisiert: „Wenn wir die Politik in die Weiterbildung und Finanzierung integrieren, können wir unser Mandat als Bundes- und Landesärztekammern gleich an der Tür abgeben“, sagte Dr. Wolf Andreas Fach aus Hessen. Die BÄK befinde sich bei der Finanzierungsfrage „direkt auf der Autobahn“, kommentierte Gehle. Das Thema habe höchste Dringlichkeit bei der StäKo.
In einem weiteren Beschluss sprachen sich die Delegierten für eine Verständigung in den Weiterbildungsgremien über die Auslegung des Begriffs „Vollzeit“ aus. Der Begriff „ganztägig“ werde bisher je nach Kammer unterschiedlich interpretiert. Um Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung bei einem Kammerwechsel vor einer unverschuldeten Verlängerung der Weiterbildungszeit zu bewahren, müssten sich die Kammern auf eine einheitliche Definition des „Vollzeitbegriffs“ einigen.
Eigentlich in der Weiterbildung vorgesehen, werde laut aktueller Evaluation 61,9 % der Ärzte in Krankenhäusern weiterhin kein Programm für ihre Weiterbildung ausgehändigt. Das sei ein Skandal, stellte Gehle fest.
Evaluation der Weiterbildung
Immerhin zeige die Evaluation, dass sich dort, wo ein Programm existiere, in 75 % der Fälle an den Plan gehalten werde. 62,5 % der Befragten bejahten auch die Frage, ob es ein regelmäßiges Weiterbildungsgespräch gebe. Allerdings hatten 26,3 % kein Gespräch. Das eLogbuch ist inzwischen in 15 der 17 Landesärztekammern eingeführt. 42 % der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung nutzten bei der Dokumentation der erlernten Fähigkeiten im eLogbuch die elektronische Dokumentation, dagegen erfolgte die Bestätigung der dokumentierten Fähigkeiten durch den Weiterbilder im eLogbuch nur in 35,1 % der Fälle, berichteten Gehle und Herrmann.
Demnächst sollen die Ergebnisse der Evaluation ausführlicher präsentiert werden. Fach, Delegierter der LÄKH, betonte, dass eine einheitliche Evaluation notwendig sei, um frühzeitig Schwachpunkte der Weiterbildung zu erkennen und Analysen ohne absehbare Konsequenzen zu vermeiden. Nach seiner Überzeugung mache die zunehmende Differenzierung der medizinischen Profession auch eine neue Strukturierung der ärztlichen Weiterbildung erforderlich.
Weiterbildung vereinheitlichen
Aktuell sei der Umgang mit dem eLogbuch in den einzelnen Landesärztekammern noch sehr unterschiedlich, sagte Fach. Daher müssten diese Differenzen intensiv bearbeitet werden. „Wir dürfen die Weiterbildungsordnung nicht zerfasern lassen“, machte Fach deutlich. Nur so könnten Anerkennung und Qualität der in der (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO) 2018 vorgegebenen Kompetenzen bundesweit sichergestellt werden.
Um die Evaluation der Weiterbildung zu verbessern, forderten die Delegierten die BÄK und die StäKo auf, eine einheitliche und qualifizierte Evaluation der Weiterbildung zu entwickeln. Eckpunkte zur Fortentwicklung der Weiterbildung sollen bis zum Ärztetag im kommenden Jahr vorgelegt werden. Auf Antrag von Fach et al. forderten die Delegierten außerdem, dass künftig ein möglichst bundesweit einheitlicher Umgang mit dem eLogbuch sichergestellt werden soll. Die Dokumentation von Inhalten und Zeiten der Weiterbildung von Ärzten müsse nach klaren und vergleichbaren Regeln geführt werden.
Des Weiteren beschlossen die Delegierten, ebenfalls auf Antrag von Fach et al., das eLogbuch als zentrale Dokumentation der Weiterbildung dem persönlichen Bereich der oder des jeweiligen Weiterzubildenden zuzuordnen. Das eLogbuch sei die Schnittstelle zwischen Ärztin oder Arzt in Weiterbildung, befugter Ärztin oder Arzt und zuständiger Landesärztekammer und habe einen persönlichen Zeugnischarakter, der primär der Datenhoheit der Ärztin oder des Arztes in Weiterbildung unterliege. Allerdings müsse das eLogbuch für die oder den Befugten zur Bestätigung erworbener Kompetenzen freigegeben werden. Außerdem in einigen Fällen für die zuständige Landesärztekammer.
Katja Möhrle, Marissa Leister