Gesundheitsminister machen Gesundheitspolitik. Oder? Noch zum diesjährigen Deutschen Ärztetag in Bremen war davon nichts zu spüren. In der flachen Rede des Ministers dominierte die Pandemie, Visionen für ein modernes und effizientes Gesundheitswesen unter Mitwirkung der beteiligten Professionen fehlten. Die überreichte „neue“ GOÄ wurde nur widerwillig entgegengenommen. In der Folge wurde der Gesundheitsminister als Nullnummer eingeschätzt. Nach einem weiteren halben Jahr hat sich das Blatt gewendet. Die aktuellen Gesetze leiten immer offensichtlicher eine perfide Strategie hin zu einer Staatsmedizin ein.
„Bis zur Leistungseinschränkung wie in Großbritannien ist es dann nicht mehr weit.“
Lauterbachs Gesetze werden im Bundesgesundheitsministerium (BMG) formuliert, im besten Fall mit den Koalitionspartnern abgestimmt, beschlossen und umgesetzt. Eine Beteiligung der Selbstverwaltung ist gar nicht mehr vorgesehen und erfolgt nur noch formal innerhalb von 24 Stunden. Ein gutes Beispiel aus der jüngsten Zeit ist die Corona-Impfverordnung mit Eingliederung der Impfung in die Regelversorgung. Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen wissen gar nicht, wie sie das so schnell umsetzen können.
Unabsehbare Verwerfungen
Gesetze wie das Infektionsschutzgesetz mit dem Ausschluss einer Ex-post-Triage werden bewusst gegen jeden ärztlichen Rat und gegen jede ärztliche Ethik verabschiedet. Es besteht Einigkeit bei allen Intensivmedizinern (zu denen auch der Autor gehört), dass die Umsetzung zu falschen Prioritäten, Bedrohung von Patientinnen und Patienten und nicht kalkulierbaren rechtlichen Konsequenzen für die beteiligten Ärztinnen und Ärzten führt.
Das GKV-Stabilisierungsgesetz hat die TSVG-induzierten Vergütungen gekappt, die Belastungen wie 25 Kassenarztstunden aber belassen. Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz mit Vergütung für zugewiesene Notfälle wird die finanziellen Einbußen für die Vertragsärzteschaft nicht ausgleichen. Viel wichtiger sind aber die subtilen und perfiden Einzelheiten des Gesetzes, mit dem ärztliche Entscheidungen auf Callcenter umgeleitet werden. Mit anderen Worten: Die Ärzteschaft ist nicht mehr Herr des Verfahrens.
In den Kliniken und deren Organisation sowie deren Weiterbildung ärztlicher Kolleginnen und Kollegen wird es unabsehbare Verwerfungen durch die vorgesehenen Tagesbehandlungen geben – alles ganz schnell im Parlament erledigt. Und wenn die Ärzteschaft und der Rest der Selbstverwaltung nicht bis zum 31. März 2023 spuren, ist schon die Ersatzvornahme durch das BMG angekündigt. Und noch etwas: Mit der einheitlichen und vom Versicherungsstatus unabhängigen Vergütung nach § 115 e–f SGB V findet sich ein klammheimlicher Einstieg in die Bürgerversicherung.
Was folgt aus der Zusammenschau?
Lauterbachs Planlosigkeit entpuppt sich als perfide Strategie. Ärztliche Leistung wird zunehmend dirigiert und substituiert. Der Ärztemangel verfestigt sich durch fehlendes Engagement für Studienplätze in der Humanmedizin, es folgen Forderungen nach Substitution durch Gesundheitskioske und Community Health Nurses. Ärztliche Leistungen in Klinik und Praxis werden finanziell und inhaltlich ausgehungert durch mangelnde Stellenbesetzungen in den Kliniken sowie fehlende Anpassungen und Inflationsausgleich im niedergelassenen Bereich, dazu kommt die Verweigerung einer neuen GOÄ. Für die Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken bedeutet dies im Jahr 2023 ff. einen weiterhin steigenden Leistungsdruck. Selbst inhabergeführte Praxen werden zunehmend entsprechend einem Franchise-System fremdgesteuert. Ein Schelm, wer sich darauf noch einlässt.
Und die Patientinnen und Patienten? Sie werden mit den eingeschränkten Ressourcen des deutschen Medizinsystems alleingelassen. Alle Gesundheitsminister versprachen mehr als sie halten konnten. Minister Lauterbach baut vor, indem er das Gesundheitssystem mit hoher Konsequenz von innen heraus verstaatlicht. Bis zur Leistungseinschränkung wie in Großbritannien ist es dann nicht mehr weit.
Dr. med. Wolf Andreas Fach, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen