Als Revolution hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach die seit dem 6.12.2022 vorliegenden Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung angekündigt. Ob der Entwurf dieser Ankündigung gerecht wird, ist Gegenstand von Diskussionen. Aus meiner Sicht wäre ein kompletter Ausstieg aus dem DRG-System eine echte Revolution gewesen, die auch den Dokumentationswahnsinn reduziert hätte. Es ist dennoch ein großer Schritt, wenn 18 Jahre nach Einführung des DRG-Systems die Finanzierung im Bereich der Krankenhäuser zumindest teilweise neu aufgestellt wird.
Wie dringend notwendig die Gegenfinanzierung von Vorhaltekosten ist, wurde in diesem Winter im Bereich der Kinderkliniken besonders deutlich. Gerade Kinderkliniken haben ein saisonal schwankendes und wenig planbares Patientenaufkommen. Alle Jahre wieder sehen wir in der Wintersaison eine Überlastung der Kinderkliniken, die im Laufe der vergangenen Jahre sukzessive wegen des Fokus auf Erlösoptimierung kaputtgespart wurden. Gemeinsam mit den Kinderkliniken haben sich die niedergelassenen Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte mit aller Kraft darum bemüht, die Versorgung in der besonders starken und frühen Erkrankungswelle durch RS-, Influenza- und auch Sars-CoV-2-Viren aufrecht zu erhalten. Die Lieferengpässe bei Medikamenten haben die Situation weiter verschärft, ebenso der zunehmende Personalmangel, nicht nur die Anzahl erkrankter Kinder.
„Was wir uns nicht leisten können, ist ein weiterer Stillstand.“
Erfreuliche Forderungen
Die erneute Aussetzung der Pflegepersonaluntergrenzen erscheint dann auf den ersten Blick als logischer Schritt, um die Versorgung der Kinder sicher zu stellen. Gleichzeitig muss klar sein, dass eine Unterschreitung von Personaluntergrenzen sowohl die Versorgung der Patientinnen und Patienten verschlechtert als auch zur weiteren Demotivation des noch vorhandenen Personals beiträgt.
Im vorliegenden Vorschlag der Regierungskommission werden erfreulicherweise auch ärztliche Personalvorgaben als Strukturvoraussetzung gefordert. Konsequent wäre dann eben auch die Gegenfinanzierung aller patientennahen Personalkosten.
Der Einstieg in die Vorhaltekostenfinanzierung setzt ein am regionalen Bedarf orientiertes Versorgungskonzept voraus. Die Regierungskommission schlägt drei Versorgungslevel vor, wobei das Level 1 unterteilt wird in Krankenhäuser mit und ohne Notfallversorgung und das Level 3 in Maximalversorger und Unikliniken. Für jedes Level und dessen Unterteilung werden Strukturvoraussetzungen definiert ebenso wie 128 Leistungsgruppen, die die Kliniken je nach Versorgungsstufe anbieten und abrechnen können. Insofern wird nun die entscheidende Frage sein, inwieweit die Länder bereit sind, die derzeitige heterogene Krankenhausstruktur tatsächlich aktiv im Sinne eines einheitlich gestuften Konzepts zu beplanen und inwieweit das juristisch umsetzbar ist. Mindestens genauso wichtig ist die Frage, ob die Länder endlich bereit sind, ihrer Finanzierungsverantwortung im Bereich der Investitionskosten nachzukommen.
Dokumentationsaufwand entscheidend
Angestellte Ärztinnen und Ärzte verbringen ebenso wie Pflegekräfte im Durchschnitt drei Stunden am Tag mit Dokumentation. Insofern werden sich neue Konzepte auch am Dokumentationsaufwand messen lassen müssen. Im Koalitionsvertrag hat die Ampelregierung einen Bürokratieabbau versprochen. Das brauchen wir im Gesundheitswesen dringend!
Das Jahr 2023 wird also noch viele Diskussionen und sicher auch Anpassungen des vorliegenden Konzepts bringen. Was wir uns aus meiner Sicht aber nicht leisten können, ist ein weiterer Stillstand. Früher galt das Sprichwort: „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“. Leider werden erkannte Gefahren heute oft genug nur zur Kenntnis genommen, ohne dass die zugrunde liegenden Probleme behoben werden.
Die Ärzteschaft hat schon vor der Einführung des DRG-Systems vor den nun allgemein erkannten Problemen und Fehlanreizen gewarnt.
Manchmal wünscht man sich, man hätte nicht recht behalten …
Dr. med. Susanne Johna, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen