Die Arbeitsgruppe Antibiotic-Stewardship (ABS-AG) definiert einen gemeinsamen Standard zum Umgang mit der SABak
Die besorgniserregende Zunahme multiresistenter Erreger – in der jüngsten Zeit vermehrt multiresistente gramnegative Enterobakterien –, die zurückhaltende Entwicklung neuer Antiinfektiva und Lieferausfälle wesentlicher Therapeutika zwingen zum sorgsamen Umgang mit Antiinfektiva.
Die Weltgesundheitsorganisation prägte jüngst den Begriff „stille Pandemie“: Denn, anders als die Corona-Viren, schleichen sich Antibiotika (AB)-Resistenzen weitgehend unbemerkt in unser Leben.
Eine neue Publikation aus dem Lancet (2022,[7]) schätzt, dass knapp fünf Millionen Menschen im Rahmen von AB-Resistenzen pro Jahr versterben. In wärmeren Weltregionen (z. B. Subsahara/Afrika) lag die Letalität bei einer Inzidenz durch AB-Resistenzen bei etwa 24/100.000 Einwohnern, gut entwickelte Länder Nordeuropas mit etablierten Hygiene- und ABS-Strategien zählten „nur“ 6–13 Todesfälle/100.000 Einwohner.
ABS-AG im MRE-Netz Rhein-Main
Die ABS-AG hat sich innerhalb des MRE-Netzes Rhein-Main im März 2016 anlässlich einer ABS-Veranstaltung in der BG-Unfallklinik Frankfurt/Main (BGU) gegründet, mit dem Ziel, sektorenübergreifend regionale Aktivitäten im Kampf gegen multiresistente Erreger zu bündeln. Nach wie vor hat die ABS-AG bundesweiten Modellcharakter.
Die AG ist ein freiwilliger Zusammenschluss von mittlerweile fast 30 interessierten Einrichtungen und ihren Fachleuten (Ärztinnen und Ärzte, Apotheker, Hygienefachkräfte/-experten und Pflegende)1, die sich dem rationalen Einsatz von Antiinfektiva verpflichtet fühlen und sich zum Ziel gesetzt haben, die S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus – Update 2018“ [4] für sich, aber auch für einen möglichst großen Anwenderkreis mit Leben zu füllen.
In der ABS-AG vertritt jeder Teilnehmer „seine“ Institution, Klinik oder Praxis, ist in ABS-Strukturen fortgebildet oder hat Interesse hieran und bringt die eigene Expertise ein. Eine große Vielfalt von Themen und Empfehlungen konnten bereits bearbeitet werden (vgl. https://www.bg-kliniken.de/unfallklinik-frankfurt/ueber-uns/kompetenzen/hygiene/antibiotic-stewardship-abs/). Eigene ABS-Strukturen und Projekte werden regelmäßig vorgestellt, das Lernen mit und von dem Anderen auf Augenhöhe ist hierbei ein wesentliches Instrument. Übergeordnetes Ziel bleibt die nachhaltige Verbesserung der Verordnungsqualität von Antiinfektiva mit besserem Outcome für den Patienten. Hier hat sich tatsächlich viel getan!
Warum ausgerechnet SABak?
Die Mitglieder der ABS-AG identifizierten die Staphylokokkus aureus Bakteriämie (SABak) als eine häufig unterschätzte schwere Erkrankung mit hoher Letalität (30–40 % unbehandelt bzw. unzureichend behandelt). SABak betrifft Patientinnen und Patienten aller Fachrichtungen und jeden Alters und erfordert sektorenübergreifend ein schnelles, koordiniertes und entschiedenes Handeln!
Multiresistenzen (Methicillin-resistente Staphylococcus (S) aureus [MRSA]) sind hierbei nur eine Facette der SABak. [3] Die Teilnehmenden waren sich schnell einig, dass insbesondere die ambulant erworbene SABak häufig erst verspätet erkannt und zielführend therapiert wird. Daher ist sie mit einem erheblich schlechteren Outcome verbunden. Innerklinisch können gelebte ABS-Strukturen helfen, Diagnose, Diagnostik und Therapie zu steuern, um komplikationsträchtige Verläufe zu verhüten und hierdurch die Sterblichkeit nahezu zu halbieren! [8]
Bei den – endlich wieder möglichen! – Präsenztreffen in der BG-Unfallklinik nach der „Corona-Pause“ präsentierten die Teilnehmer sehr engagiert und strukturiert „ihre“ Diagnose-/Diagnostik- und Therapiebündel im Umgang mit SABak. Insbesondere der Impulsvortrag des Chefapothekers des Sana Klinikums Offenbach Dr. Rüdiger Warlich konnte deutlich belegen, wie ein strukturierter Diagnose- und (Be-)Handlungsprozess die Letalität drastisch sinken lässt.
Erstes Fazit
So weit lag man mit eigenen Regelungen nicht auseinander, aber eine einheitliche Richtlinie hilft!
Alleine „an SABak denken“ schafft die nötige Aufmerksamkeit, zielgerichtete Diagnostik und Therapiebündel zu initiieren. Gleich zu Beginn aller Diskussionen wurde deutlich, dass grampositive Staphylokokken in Blutkulturen keine Seltenheit sind.
Aber: S. aureus muss hier deutlich abgegrenzt werden von dem Nachweis niedrig virulenter koagulasenegativer Staphylokokken (wie S. epidermidis oder S. hominis), die zur normalen Hautflora gehören und häufig, insbesondere bei einmaligem Nachweis, als „Blutkultur-Kontamination“ gewertet werden können. Demgegenüber ist S. aureus nach Escherichia coli der zweithäufigste Sepsisauslöser in Deutschland. [5]
S. aureus hat eine hohe Gewebspenetranz und -persistenz, neigt zu Früh- und Spätkomplikationen sowie zu Rezidiven nach initialer Genesung.
An dieser Stelle seien beispielhaft nur einige schwere Komplikationen, meist durch Organabsiedlungen/Streuungen hervorgerufen, genannt: Sepsis, Endokarditis, Fremdkörperinfektion, schwere Weichteilinfektionen, Spondylodiszitis, septische Arthritis, die alle die Letalität erhöhen können.
Erstes Fazit: S. aureus in Blutkulturen (BK) ist nie (!) eine Kontamination und muss stets als Bakteriämie gewertet und behandelt werden!
ABS-Behandlungsbündel
Die enge Informationskette zwischen mikrobiologischem Labor und Klinikern ist hier der Königsweg zu schneller Diagnostik und zielgerichteter Therapie. ABS-Strukturen definieren zunächst einen Personenkreis, der über SABak informiert wird, und aktivieren den Prozess: SABak-Konsil oder analoge Struk- turen. [6]
Diese multidisziplinäre Kompetenz kann beispielsweise auch bei Verdacht auf (beginnende) Sepsis unklarer Genese o. ä. „aktiviert“ werden. [1]
Einige Festlegungen aus dem gemeinsamen Standard bei nachgewiesener SABak:
- unverzügliche i.v.-Behandlung mit einem Staphylokokkenpenizillin oder
- Cefazolin bei Methicillin-sensiblem S. aureus (MSSA) bzw. Vancyomycin oder Daptomycin i.v. (cave: nicht bei pulmonalem Fokus) bei MRSA, ggf.
- in Kombination mit Rifampicin bei verbleibenden Fremdkörpern/Implantaten;
- die „unkomplizierte SABak“ (vollständige Fokussanierung, keine Endokarditis, keine Knochen-/Gelenkbeteiligung, Bakteriämiedauer ≤ 5 Tage) wird 14 Tage i.v. antibiotisch therapiert;
- die „komplizierte SABak“ mindestens 4–6 Wochen i.v. (Berechnung der Therapiedauer: die erste negative Blutkultur zählt als Tag 1 einer wirksamen Antibiotikatherapie);
- die unmittelbare Suche (z. B. Echokardiographie zum Endokarditis-Ausschluss) und
- die Sanierung (!) von Foci (z. B. Abszessdrainage, Entfernen von Venenverweilkanülen) sowie
- die Abnahme von Folgeblutkulturen 2–4 Tage nach erster Blutkultur (frühzeitige Identifikation eines Therapieversagens) sind ein Muss. [2]
Fazit
Dieser einheitlich definierte SABak-ABS-Standard ist ein wesentlicher Schritt hin zu einer deutlich verbesserten Patientenbehandlungsqualität in allen hieran beteiligten Einrichtungen. Der seit 2016 unveränderte Anspruch, dass gelebtes ABS nie das individuelle Problem einer Praxis, einer medizinischen Einrichtung oder einer Klinik ist, sondern nur dann zu einer besseren Patientenversorgung führen kann, wenn gemeinsam über Sektorengrenzen hinweg Strukturen geschaffen werden und auch Standards gelebt werden, konnte hier erfolgreich umgesetzt werden!
Das Spannende in den Sitzungen der ABS-AG ist nach wie vor die offene Diskussion und der Wille aller Teilnehmer – wie in diesem Falle – einen übergeordneten SABak-Standard als Leitschnur eigenen Handels zu erarbeiten und diese Struktur in die eigenen Einrichtungen einzubringen. ABS ist hier Qualitätsmanagement für einen rationalen Antibiotikaeinsatz mit den besten klinischen Behandlungsergebnissen.
Interessierte sind willkommen
Als sektorenübergreifende offene Arbeitsgruppe, eingebettet in die Strukturen des MRE-Netzes Rhein-Main, heißen die Teilnehmer der ABS-AG Interessierte jederzeit herzlich willkommen. Melden Sie sich bei Monika Bachus, siehe unten.
Informationen auf der Website
der BG Unfallklinik Frankfurt
www.bg-kliniken.de/unfallklinik-frankfurt/ueber-uns/kompetenzen/ hygiene/antibiotic-stewardship-abs/ oder via Kurzlink:
oder beim MRE-Netz Rhein-Main: www.mre-rhein-main.de/abs-ag.php
Dr. med. Rolf Teßmann, Ltd. Arzt Krankenhaushygiene, Ärztlicher Laborleiter BG Unfallklinik Frankfurt am Main, Friedberger Landstraße 430, 60389 Frankfurt am Main
Anmeldung für die ABS-AG: E-Mail: monika.bachus@bgu-frankfurt.de, Fon: 069 475-1542
Abkürzungsverzeichnis | |
AB | Antibiotika |
ABS | Antibiotic Stewardship |
BK | Blutkulturen |
Foci | Multifokal von lateinisch: focus – Brennpunkt; engl. multifocal = mehrere Herde (Foci) betreffend |
MRE | Multiresistente Erreger |
MRSA | Methicillin-resistente Staphylococcus aureus |
S | Staphylococcus |
SABak | Staphylokokkus aureus Bakteriämie |
Definition Sepsis
Nach aktueller S3-Leitlinie handelt es sich bei einer Sepsis „... um eine lebensbedrohliche Organdysfunktion, ausgelöst durch eine Infektion, welche mit einer Regulationsstörung beim Wirt einhergeht“. [1] Sepsis ist ein medizinischer Notfall, analog zu einem akuten Herzinfarkt oder Apoplex: Frühzeitiges Erkennen und Behandeln rettet Leben!
Die Literaturhinweise finden Sie am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“ in der PDF-Version dieses Artikels.
Fußnote:
1 Das in dieser Arbeit gewählte generische Maskulinum bezieht sich zugleich auf die männliche, die weibliche und andere Geschlechteridentitäten.