Gemäß § 630f BGB sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, zur Dokumentation im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Nach § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB ist dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Gemäß § 630g Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Patient auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Dies ist dahin zu verstehen, dass der Patient wahlweise die Anfertigung physischer oder elektronischer Kopien verlangen kann. Gemäß §  630g Abs. 2 Satz 2 BGB hat der Patient dem Behandelnden den entstandenen Aufwand zu erstatten, wobei sich dieser in der Regel auf die Kopierkosten beschränkt. In der Praxis führt dies nicht selten dazu, dass die Kopien erst herausgegeben werden, wenn diese bezahlt sind.

Dieser Kostenerstattungspflicht des § 630 Abs. 2 Satz 2 BGB hat nun der Europäische Gerichtshof als oberstes Gericht der Europäischen Union mit Urteil vom 26.10.2023 [1] eine Absage erteilt und festgelegt, dass die erste Kopie der Unterlagen kostenlos sein muss. Den Anspruch auf kostenlose Überlassung sieht die Kammer in Auslegung des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung 2016/679 durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gedeckt. Patienten haben grundsätzlich ein Recht, eine Kopie ihrer medizinischen Akte zu erhalten und ihnen dürfen dadurch keine Kosten entstehen.

Auskunftsrecht hat Vorrang

Patienten sind auch nicht gehalten zu begründen, ob sie wissen möchten, welche Daten über sie gespeichert werden oder ob sie einen Behandlungsfehler vermuten. Die Ärzteschaft kann sich nur weigern, wenn das Vorgehen der Patienten rechtsmissbräuchlich ist, wenn diese etwa wiederholt oder exzessiv Einsicht verlangen. Der EuGH begründet dies damit, dass der Datenschutz ein „gleichmäßiges und hohes Schutzniveau für natürliche Personen gewährleisten soll.“ Selbst wenn das für die Ärzteschaft Zeit und Aufwand bedeutet, müssen deren wirtschaftliche Interessen zurückstehen, damit das Auskunftsrecht der DSGVO in praxi wirksam ist. Von Bedeutung sei auch, dass die Kopie vollständig ist, damit keine relevanten Daten ausgelassen oder falsch wiedergegeben werden. Der EuGH stellt weiter klar, dass das Recht, Auskunft über Daten zu verlangen, einen hohen Stellenwert besitzt – selbst wenn es nicht nur um die Korrektur von Daten oder den Datenschutz ganz allgemein geht, sondern auch wenn die Betroffenen ganz andere Gründe haben, warum sie Einblick in die Unterlagen bekommen möchten.

Orientierung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Wie wirkt sich nun das Urteil auf die bisherige Rechtslage – grundsätzliche Kostenerstattung nach § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB – aus? Die Entscheidung hat zunächst unmittelbare Bindungswirkung auf das Verfahren in dem das Urteil ergangen ist. Was aber gilt für andere Verfahren? Hier bedarf es einer Unterscheidung zwischen der Bindung unterinstanzlicher Gerichte und der Bindung letztinstanzlicher Gerichte. [2] Unterinstanzlichen Gerichten ist eine Orientierung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu raten, weil sonst die Gefahr besteht, dass ihr Urteil von der nächsthöheren Instanz aufgehoben wird. Eine strikte Bindung könnte vor dem Hintergrund der nicht bestehenden Vorlagepflicht[3] abzulehnen sein, zumal für die beteiligten Parteien auch die Möglichkeit besteht, Rechtsmittel einzulegen.[4] Mit Blick auf die Prozessökonomie ist jedoch zumindest von einer faktischen Bindungswirkung für unterinstanzliche Gerichte auszugehen.[5] Allerdings bleiben noch Fragen offen. Die Kostenerstattungspflicht aus § 630g Abs. 1 Satz 2 BGB ist nach wie vor rechtsgültig. Der EuGH hat sich lediglich mit der Kostentragung auf der Grundlage datenschutzrechtlicher Bestimmungen auseinandergesetzt und die zivilrechtliche Rechtsgrundlage des § 630g BGB unerwähnt gelassen. Die Rechtsprechung wird diese Frage letztendlich zu klären haben.

Dr. jur. Thomas K. Heinz, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, E-Mail: dr.heinz@freenet.de

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