Leserbrief zum Artikel „Physician Assistant – eine kritische Betrachtung“ von Dr. med. Jonathan Stürmer, HÄBL 02/2022, S. 90
Zur Problematik des Physician Assistant möchte ich an die Medizin des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit erinnern, mit einer unglaublichen Parallelität zu aktuellen Ideen.
Damals lasen die Professoren an den Universitäten ihre Vorstellung über die Gelehrsamkeit der Medizin aus dem Standardwerk des spätantiken griechisch-römischen Arztes Galenos vor, daher der Begriff Vorlesung. Den Patienten ließen sie außer Acht und draußen vor. Am eigentlichen Gegenstand der Ausbildung, dem kranken Menschen, arbeiteten Barbiere, Bader und Feldschere. Diese, auch Wundärzte genannt, kannten sich mit Gesundheitsstörungen und mit der Behandlung von Unfällen wesentlich besser aus, als die akademisch gebildeten Ärzte.
Das änderte sich – langsam – erst ab dem 16. Jahrhundert durch die anatomischen Studien von Andreas Vesalius und durch andere Forscher und erkenntnisbegeisterte Ärzte. Hier möchte ich als Beispiel den Hessen Euricius Cordus1 erwähnen.
Der enge persönliche Kontakt zum Kranken ist unabdingbar. Wenn die Ärzte der Zukunft nur noch die Oberaufsicht fuhren und diese direkte Tätigkeit am Patienten dem Physician Assistant überlassen, dann würden in der Gründlichkeit des Wissens von Diagnostik, Therapie und Einfühlungsvermögen ähnliche Situationen entstehen wie im Mittelalter, nur auf einer moderneren Stufe.
Univ.-Prof. em. Dr. med. Hans Kaffarnik, Marburg-Wehrda
1 Der hessische Humanist Euricius Cordus aus Simtshausen (1486–1535) war nicht nur Arzt, Medizinprofessor und Botaniker, sondern auch Dichter und Verfasser eines vielseitigen Werks. Kurzbiografie z. B. von Stefan Rüger im Internet unter: www.komoot.de/highlight/3116133