Leserbrief zu „Senckenberg und die Frankfurter Universitätsmedizin“, HÄBL 01/2023, S. 36–39, von Isolde Asbeck

Eine informative Zusammenfassung im Hessischen Ärzteblatt eines interessanten Symposiums über den wesentlichen Beitrag von Johann Christian Senckenberg und seiner Stiftung bei der Entstehung einer medizinischen Fakultät und, damit verbunden, der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt.

Ob jedoch Senckenberg selbst (oder seine Brüder) damit einverstanden gewesen wären, über die Stiftung namentlich mit Johann-Wolfgang Goethe verbunden zu werden, muss bezweifelt werden. In „Dichtung und Wahrheit“ [1] bezeichnet Goethe die drei Brüder als „Sonderlinge“ und hinterlässt der staunenden Nachwelt ihren Frankfurter Spitznamen: die „Drei Hasen“.

Hinsichtlich des – späteren – Stifters Johann Christian klagt Goethe, dass dieser „nur wenig und nur in vornehmen Häusern praktiziere“, ein Vorwurf, den auch 300 Jahre später Ärzte nicht gern hören, und mokiert sich nicht nur über sein „etwas wunderliches Äußeres“, sondern auch über sein auffälliges Bewegungsmuster. Er schreibt: „... ging er schnell, doch mit einem seltsamen Schwanken vor sich hin, so dass er bald auf dieser bald auf jener Straßenseite sich befand und im Gehen ein Zickzack bildete.“ Goethe zitiert „Spottvögel“, die meinten, J. C. Senckenberg versuche durch diesen „abweichenden Schritt den abgeschiedenen Seelen aus dem Wege zu gehen, die ihn in gerader Linie wohl zu verfolgen möchten und ahme diejenigen nach, die sich vor Krokodilen fürchten.“

Als echter Sohn seiner Heimatstadt, würdigt der Dichterfürst natürlich, dass aller Spott und Scherze über Senckenberg sich in „Ehrfurcht gegen ihn verwandelten“, als er seine „Wohnung mit Hof, Garten und allem Zubehör auf der Eschenheimer Gasse zu einer medizinischen Stiftung widmete“.

Natürlich hätte Senckenberg mit seinem eigentümlichen, unkontrollierten Gangbild nicht ein Baugerüst besteigen sollen, als dessen Folge sein Sturz und der resultierende katastrophale, nun medizinisch recht interessante Sektionsbefund anzusehen ist. Hinsichtlich einer, die Gangstörung verursachenden, neurologischen Erkrankung ist meines Erachtens der Sektionsbericht nicht diagnostisch, so dass auch die Frage, ob mittels einer modernen neurologischen Diagnostik und Therapie (z. B. in „seiner“ Johann-Wolfgang-Goethe-Universität) das fatale Ende zu verhindern gewesen wäre, nicht beantwortet werden kann. (Prof. Helmuth Steinmetz hätte heutzutage allein schon in Kenntnis der Symptomatik ein Besteigen des Gerüstes untersagt.)

Interessant bei Goethe ist die Idee der Frankfurter von Krokodilen im Main [1]. Das erinnert doch sehr an den Sketch vom „Camel Spotter“ in Mittelengland, kreiert von Monty Pythons Flying Circus – über 250 Jahre später! Frankfurt – also damals schon – seiner Zeit voraus!

Schön, dass die Stadt auch den „Sonderling“ Senckenberg, wie andere Menschen, die sich um die Stadt verdient gemacht haben, mit einer städtischen Anlage gewürdigt hat.

Prof. Dr. med. Friedrich Lübbecke, Uelzen

Literatur:

[1] Johann Wolfgang Goethe: Aus meinem Leben-Dichtung und Wahrheit Teil 1, Buch 2: 72–73, 1998, Wiss. Buchgesellschaft, Insel Verlag, Frankfurt am Main & Leipzig