Den Tag, an dem sie sich mit Covid-19 infiziert hatte, kann Sabine Grimm genau benennen: Es war der 18. Januar 2021; die heute 28 Jahre alte Ärztin in Weiterbildung war auf einer Station für geriatrische Patienten im Darmstädter Elisabethenkrankenhaus tätig. Hier arbeitete sie mit vielen Patienten, die sich in Folge von Demenz oder anderen Erkrankungen nicht an die Hygiene-Regeln halten können. Bei einem Patienten habe sie sich angesteckt.
„Bei mir fing Corona zunächst harmlos mit Gliederschmerzen und Erkältungssymptomen an“, erzählt Grimm. Nach und nach seien weitere Beschwerden hinzugekommen, wie Schnupfen, Kopf- und Gliederschmerzen, Übelkeit und Magen-Darm-Probleme. Insgesamt schien Covid-19 bei ihr einen eher moderaten Verlauf zu nehmen. Doch die Beeinträchtigungen waren auch nach einigen Wochen nicht überwunden. Als sie nach dem Abklingen der Akutsymptome zum ersten Mal wieder einen Spaziergang machte, merkte Grimm, dass sie sich nicht so fit fühlte wie gewohnt. „Mir blieb die Luft weg und ich fühlte mich erschöpft.“ Kein ganz unbekanntes Gefühl für die junge Frau, die sich sechs Jahre zuvor mit dem Epstein-Barr-Virus infiziert hatte. Auch damals hatte sie sich müde und abgeschlagen gefühlt, sich nach der Erkrankung allerdings wieder vollständig erholt. „Nun ging es mir nach der Covid-Infektion ähnlich.“
Kaum mehr belastbar
Grimm nahm ihre Tätigkeit im Krankenhaus wieder auf, doch die Symptome wurden immer schlimmer. „Ich war kaum mehr belastbar und litt zunehmend unter Erschöpfung. Zu Hause musste mein Mann alles erledigen. Für mich bestanden die Tage nur aus Arbeit und Erholungsphasen.“ Mit der Zeit entwickelten sich Herz-Kreislaufprobleme; Grimm hatte Herzrasen und Schweißausbrüche. Hinzu kamen kognitive Schwierigkeiten; ihr fiel es immer schwerer, sich Dinge zu merken. Nach zweieinhalb Monaten war die junge Ärztin nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Erster Kontakt für die Krankschreibung war der Hausarzt, der Post-Covid diagnostizierte. Therapeutisch sei allerdings außer sanften Yoga-Übungen, Meditation und Atemübungen anfangs wenig Wegweisendes dabei gewesen, erinnert sich Grimm. Bewegung, sonst eher förderlich für die Erholung nach längerer Krankheit, habe sich als kontraproduktiv erwiesen und zu einer Verschlimmerung der Erschöpfungssymptome geführt. Selbst leichte Alltagsbelastungen wie Einkaufen im Supermarkt lösten bei ihr Reizüberflutung und Ermattung aus.
Pacing-Konzept
Etwas aufwärts ging es erst, als Grimm das Konzept „Pacing“ im Zusammenhang mit individuell angemessenem Energiemanagement kennenlernte. „Dabei geht es darum, die eigene Belastungsgrenze zu erkennen und im Laufe des Tages immer innerhalb dieser zu bleiben“, erklärt sie. Werde diese Grenze überschritten, verschlechtere sich die Symptomatik schon nach geringfügiger körperlicher und/oder geistiger Anstrengung. Immer wieder habe sie die Erfahrung gemacht, dass es ihr tagelang schlecht ging, wenn sie sich für ihre Verhältnisse zu viel zugemutet hatte. Und sei es nur eine Einladung in der Familie gewesen. „Auch positive Erlebnisse strengten mich an. Je weniger ich machte, desto besser ging es mir.“ Im Juni 2021 dachte sie, mit einer Wiedereingliederung in den Arbeitsalltag beginnen zu können. „Doch das ging leider nicht gut“.
Grimm begann mit Atemphysiotherapie. „Es fiel mir allerdings schwer, dem Therapeuten das Pacing-Konzept näher zu bringen.“ Im Sommer stellte die Ärztin einen Reha-Antrag, parallel lief das Verfahren auf Anerkennung einer Berufskrankheit. Der Antrag wurde bewilligt, doch es dauerte sieben Monate, bis Grimm einen Reha-Platz in einer BG-Klinik bekam – zunächst für drei, dann für fünf Wochen. Eine „ausgesprochen gute Zeit“, in der sich ihr Zustand langsam verbesserte.
Wichtig: Verständnis für die Erkrankung
Neben der Orientierung an dem Pacing-Konzept und therapeutischen Angeboten wie Physiotherapie und psychotherapeutischer Begleitung seien das Verständnis für die Erkrankung und deren vielfältige Symptome in der Reha hilfreich gewesen, betont Grimm. „Für viele Kolleginnen und Kollegen in der Klinik waren meine Beeinträchtigungen auf Grund fehlender sichtbarer und objektivierbarer Befunde schwer nachvollziehbar gewesen“, erinnert sie sich. Etwas, das sie stark belastet habe. „Glücklicherweise habe ich einen verständnisvollen Chef“, ergänzt sie.
In der fünfwöchigen Reha konnte sich Grimm mit anderen Betroffenen austauschen, die ähnliche Symptome hatten. Viele der meist jungen Patienten stammten wie sie aus dem medizinischen oder sozialen Bereich, ein großer Teil von ihnen Frauen. „Durch die Reha habe ich einen riesigen Schritt nach vorne gemacht“, sagt Grimm. „Ich habe gelernt, dass ich meine Ressourcen einteilen muss und noch einen langen Weg vor mir habe, bis ich wieder arbeiten kann.“ Auch Sport sei nach wie vor kontraproduktiv. Das spreche zwar gegen jede Intuition und passe nicht in den Modus der Zeit, doch die Reha habe sie dahingehend innerlich gestärkt.
Frühzeitig Reha beantragen
„Ich kann jetzt langsam mit dem Aufbau beginnen und dieses Jahr möglicherweise mit einer Wiedereingliederung starten. Das wäre mein großer Wunsch.“ Kolleginnen und Kollegen, die an Long-/Post-Covid erkrankt sind, rät sie dringend, sich eigenständig mit Pacing/Energiemanagement auseinander zu setzen und sich frühzeitig um einen Reha-Platz zu kümmern.
Katja Möhrle
S1-Leitlinie zu Post-Covid
Grundlage für die Behandlung von Post-Covid/Long-Covid ist die im Juli 2021 von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) in Kooperation mit weiteren Fachgesellschaften zu Post-Covid/Long-Covid herausgegebene S1-Leitlinie: Ein klinisch-praktischer Leitfaden, der bei Post-/Long-Covid-spezifischen Symptomen „diagnostisch-therapeutische Orientierung auf dem Boden einer sehr häufig noch begrenzten Datenlage“ liefern soll. Eine der Kernaussagen der S1-Leitlinie ist, dass die Diagnose und Behandlung von Post-/Long-Covid eine generalistisch-interdisziplinäre Herangehensweise mit Blick auf den ganzen Menschen sowie eine Kontinuität der Versorgung erfordert. Grundsätzlich könne die Diagnose eines Post-/Long-Covid-Syndroms weder durch eine einzelne Laboruntersuchung noch durch ein Panel an Laborwerten diagnostiziert bzw. objektiviert werden. Ebenso schlössen normale Laborwerte ein Post-/Long-Covid-Syndrom nicht aus. (Quelle: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/125656)