Jeder Mensch lebt in der Gewissheit, sterben zu müssen. Vor dem Hintergrund der Diskussion um den assistierten Suizid in der Gesellschaft und in der Ärzteschaft hat Stephan Sahm, Professor für Medizinische Ethik an der Goethe-Universität Frankfurt und Chefarzt am Offenbacher Ketteler Krankenhaus mit dem Schwerpunkt Tumorbehandlung und Palliativmedizin, ein kleines Büchlein geschrieben, das den gesellschaftlichen Streit klug reflektiert. Nach einer Definition der Begrifflichkeiten begründet er seine eigene klare Haltung aus Sicht des Palliativmediziners wie auch aus ethisch-theologischen Überlegungen: Zuwendung, Beistand, medizinische Behandlung, Linderung des Leids sind grundlegende moralische Verpflichtungen. Tötung auf Verlangen und Suizidassistenz in geschäftsmäßiger Weise verstoßen jedoch gegen das Gebot, das Leben zu schützen: „Es gibt keine Pflicht, beim Suizid mitzuwirken.“ Daraus formuliert Sahm den Appell, dass jeder in seinem Tätigkeitsbereich Hilfe beim Suizid zurückweisen solle und dies auch in Form von Leitbildern oder Richtlinien bei den jeweiligen Institutionen festgeschrieben werden soll. „Zaghaftigkeit ist nicht angebracht. Die Rückweisung der Hilfe beim Suizid ist der menschliche, der bessere Weg“, so der Schlusssatz.
Sahm argumentiert u. a. mit der Präferenz für das Leben als nicht höchstes, aber fundamentalstes Gut und mit einem Axiom für jede freie, die Persönlichkeit und Würde der Person achtenden Gesellschaft: „Die Existenz eines jeden ihrer Mitglieder ist ihrer Nicht-Existenz vorzuziehen.“ Suizidhelferinnen und -helfer brächten dagegen zum Ausdruck, es sei besser, die oder der Sterbewillige lebe nicht weiter. Habe sich die Hilfe beim Suizid etabliert, kämen vulnerable Menschen unter Druck, ihr Weiterleben zu rechtfertigen. Sahm kritisiert weiter die Heroisierung des Suizids als höchste Stufe der personalen Autonomie, wie sie in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2020 zum Ausdruck komme. Das Angebot der Hilfe beim Suizid sei an sich schon ein unmoralischer Akt, weil das Angebot selbst ein wesentlicher Faktor sei, der Personen geneigt mache, den Suizid zu wünschen. Ferner wirke das Angebot der Suizidassistenz quasi als „Infektionsquelle“ des suizidalen Gedankens. Suizidhandlungen sind ansteckend – dafür gibt es viele Beispiele.
Sahm plädiert für eine dem Leben zugewandte Begleitung beim Sterben, für eine palliative Kultur, Palliative Care, die mit multiprofessionellen Teams den ganzen Menschen in den Blick nimmt. Er will mit seinem Buch darin alle bestärken, die das betrifft – beruflich oder privat.
Isolde Asbeck
Siehe dazu den Artikel von Prof. Sahm „Ärztlich assistierter Suizid: Medizinische Ethik und suizidales Begehren“ im HÄBL 02/2021, S. 91.