Kasuistik
Der klagende Patient suchte wegen Schmerzen die Notaufnahme des Klinikums der Beklagten auf. Dort wurde ihm ein venöser Zugang in der rechten Ellenbeuge gelegt, über den Medikamente verabreicht wurden. Nach einigen Tagen stellten sich Schmerzen, eine Schwellung, Schüttelfrost und Fieber ein. Es wurde die Diagnose einer MRSA-Sepsis, am ehesten bei Thrombophlebitis der rechten Ellenbeuge, gestellt. Im weiteren Verlauf kam es u. a. zu einem Abszess im Bereich der Brustwirbelsäule, der operativ entfernt werden musste.
Der Patient behauptete, es sei zu der Infektion gekommen, weil der behandelnde Arzt in der Notaufnahme keine Händereinigung durchgeführt und bei der Injektion keine Handschuhe getragen habe. Außerdem habe er eine Spritze verwendet, die ihm zuvor auf den Boden gefallen sei.
Die Beklagte bestritt die Behauptungen des Klägers und behauptete, ein Dr. R habe die Injektion unter Einhaltung des notwendigen Hygienestandards vorgenommen.
Der Arzt Dr. R hat vor Gericht als Zeuge ausgesagt, er habe die beim Kläger ergriffenen Maßnahmen wohl lediglich angeordnet, nicht aber selbst durchgeführt. Jemand anders habe die Eintragung der Infusion in die Behandlungsunterlagen vorgenommen. Er könne sich an den Sachverhalt nicht mehr genau erinnern.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Das Oberlandesgericht ist davon ausgegangen, dass die Beklagte auch unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen Dr. R. die Behauptungen des Klägers hinreichend bestritten habe. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass seine Behauptungen zuträfen.
Gesamtkontext
Dieser Fall betrifft die sekundäre Darlegungslast der Behandlerseite bei behaupteten Hygienefehlern. Der Kläger (Patient) muss (primär) darlegen (schildern), worauf er den Vorwurf stützt, dass der Arzt oder das Krankenhaus ihn hinsichtlich der maßgeblichen Hygienebestimmungen fehlerhaft behandelt habe. Genügt die Schilderung des Klägers den an diese zu stellenden „maßvollen Anforderungen“, was in der Regel der Fall ist, trifft die Behandlerseite die (sekundäre) Darlegungslast, konkret zu den ergriffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Hygiene und zum Infektionsschutz bei der Behandlung des Patienten vorzutragen. Diese besonderen Anforderungen an den Vortrag der Behandlerseite werden darauf gestützt, dass die Behandlerseite, anders als der Patient, der insoweit außerhalb des Geschehensablaufs steht, über die Behandlungsdokumentation sowie die notwendigen Informationen zu den Maßnahmen, Arbeitsabläufen und Anweisungen verfügt, die zur Einhaltung der Hygienebestimmungen und zur Infektionsprävention unternommen wurden.
Bewertung des vorliegenden Falls durch den Bundesgerichtshof
Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Beklagte die Behauptungen des Klägers nicht ausreichend bestritten habe, worauf das Gericht sie hätte hinweisen und ihr hätte Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag zu ergänzen. Das Bestreiten sei zum einen nicht ausreichend, weil der Zeuge der Beklagten, Dr. R., in der Beweisaufnahme den Vortrag der Beklagten nicht bestätigt habe, sondern vielmehr ausgesagt habe, die Eintragung in der Behandlungsdokumentation sei von jemand anderem vorgenommen worden. Außerdem sei das Bestreiten nicht ausreichend, weil die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich der behaupteten Hygieneverstöße nicht genügt habe. Sie habe nicht ausreichend vorgetragen, dass sie hinreichende Maßnahmen ergriffen habe, um sicherzustellen, dass die für ein behandlungsfehlerfreies Vorgehen maßgeblichen Hygienebestimmungen eingehalten worden seien.
Mit dieser Entscheidung bestätigt der Bundesgerichtshof die Grundsätze seiner Rechtsprechung zu den Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast der Behandlerseite in Rechtsstreitigkeiten über behauptete Hygieneverstöße und führt diese fort. Um der sekundären Darlegungslast zu genügen, ist regelmäßig konkreter Vortrag der Behandlerseite zur Einhaltung der Hygienebestimmungen einschließlich der zur Infektionsprävention durchgeführten Maßnahmen sowie der diesbezüglichen Arbeitsabläufe und -anweisungen erforderlich.
Dr. med. Solveigh Reul, Richterin am Landgericht Frankfurt am Main, 16. Zivilkammer, Kontakt via E-Mail: haebl@laekh.de
Zur Autorin: Dr. med. Solveigh Reul hat nach einem abgeschlossenen Medizinstudium Rechtswissenschaften studiert und ist seit 2009 als Richterin am Landgericht Frankfurt tätig.