Dem Gründer Prof. Dr. med. Gottfried Lemperle zum 85. Geburtstag am 17.12.2021.
„Es ist nicht unser Verdienst, in eine Welt des Wohlstandes und der optimalen medizinischen Versorgung geboren worden zu sein. Es ist nicht deren Schuld, mit einer Fehlbildung oder Verbrennungsfolgen in einem Entwicklungsland aufzuwachsen, in dem es für die Armen keine Plastische Chirurgie gibt. Lasst uns versuchen, diese Ungerechtigkeit auszugleichen – soweit es in unserer Macht steht.“
Dieser Leitsatz von Donald Laub, einem plastischen Chirurgen aus Stanford, und ein gemeinsamer humanitärer Einsatz in Lateinamerika weckten bei Prof. Dr. med. Gottfried Lemperle im Oktober 1980 die Idee, den gemeinnützigen Verein Interplast-Germany zu gründen. Die ersten Einsätze in Südamerika, Indien und Ghana wurden noch als „Tropfen auf den heißen Stein“ belächelt. Bald fand die Idee jedoch Begeisterung bei plastischen Chirurgen in der Türkei, Italien, Holland und Frankreich. Heute gibt es in den meisten europäischen Ländern gemeinnützige Interplast-Organisationen.
Kleine Patienten in Myanmar: Beispiele für die vielen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten (LKG), die dort versorgt werden müssen
Aufgabe von Interplast-Germany
In der Satzung des Vereins ist das Ziel so formuliert:
„...die plastisch-chirurgische Hilfe, Menschen in Entwicklungsländern mit angeborenen und erworbenen Defekten und Fehlbildungen durch chirurgische Eingriffe sowie begleitende Maßnahmen zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität zu verhelfen...“
Einer der Grundgedanken war, den jeweiligen Einsatzteams keine zentrale Organisation vorzusetzen, sondern die Eigeninitiative von Ärzten und Pflegekräften zu motivieren. Dies hat seine Wirkung nicht verfehlt. In den ersten zehn Jahren kamen 50 Teams zum Einsatz, zum 20-jährigen Bestehen konnten bereits 345 Einsätze mit 2.870 operierten Patienten gezählt werden. 2020 konnte Interplast-Germany auf 1.532 Einsätze zurückblicken. Über 105.000 Patienten waren operativ versorgt worden, weit über eine Million Menschen hatten zumindest eine fachärztliche Untersuchung und Beratung bekommen.
Dezentrale Struktur
Jeder Teamleiter ist persönlich aufgerufen, seinen Einsatzort zu bestimmen, sein Team zu organisieren, Nahtmaterial und Medikamente als Spenden zu sammeln und nach erfolgter Mission mit Publikationen, Vorträgen und anderen Aktionen für weitere Spendeneingänge zu sorgen. Interplast sorgt im Hintergrund für Versicherung, zusätzliche Finanzierung und das Einhalten der Rahmenbedingungen.
Die dezentrale Struktur von Interplast in Deutschland spiegelt sich in der Etablierung von zwölf Sektionen wider, die alle ihre eigenen Projekte betreuen, für die sie selbst verantwortlich sind. Sie kümmern sich um die Spendeneinnahmen und werden bei Bedarf vom Interplast-Hauptkonto unterstützt. So wurden aus begeisterten Einsatz-Teamleitern engagierte Sektionsleiter. Mit Pro-Interplast Seligenstadt e. V kamen 1989 weitere hoch motivierte Spender und Helfer dazu, die seither jährlich mehrere Einsätze finanzieren und eigene dauerhafte Projekte in Indien und Afrika unterhalten.
Interdisziplinäre Teams
Interplast-Teams bestehen in der Regel aus zwei bis vier Chirurgen, ein bis zwei Anästhesisten und einigen Pflegekräften für OP und Anästhesie. Manchmal sind auch Helfer für soziale oder technische Aufgaben dabei. Die sehr unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten sind zu berücksichtigen. Eine erfolgreiche Mission darf auch die Gastgeber niemals überfordern. Neben Plastischen Chirurgen sind von Anfang an weitere Facharztdisziplinen beteiligt wie Anästhesisten, Orthopäden, Augenärzte, auf Mund-Kiefer-Gaumen-Operationen spezialisierte Chirurgen, HNO-Ärzte, Zahnärzte.
Auch hilfsbereite Pflegekräfte gestalten die Interplast-Missionen mit Fachwissen und Zuwendung. Sie sorgen für Sicherheit im OP, Hygiene, Sterilisation der Instrumente und pflegen den Kontakt zum örtlichen Pflegepersonal auf kollegialer Ebene. Das Rückgrat jedes erfolgreichen Einsatzes ist die freundschaftliche Kooperation mit den Gastgebern, die für die Vorauswahl und Nachbehandlung der Patienten verantwortlich sind. Dies auch öffentlich herauszustellen, ist eine Selbstverständlichkeit für jeden Teamleiter.
Aufbau von stationären Einrichtungen
Um die Nachhaltigkeit der chirurgischen Einsätze zu stärken kam dann die Idee auf, Krankenstationen, OP-Einheiten und ganze Krankenhäuser aus Spendenmitteln aufzubauen. Das erste Interplast-Hospital entstand 1992 in Coroatá im Nordosten Brasiliens. Es wird heute regelmäßig von deutsch-brasilianischen Teams genutzt.
Das zweite Hospital gründete Ortwin Joch, Unfallchirurg aus Frankfurt, 1995 in Jalalabad/Afghanistan, nachdem seit 1989 bereits in Peshawar/Pakistan in einer Interplast-Station im dortigen Krankenhaus kontinuierlich Flüchtlinge aus Afghanistan von deutschen Teams versorgt worden waren. Die Einstellung der finanziellen Hilfe durch die EU und die Übernahme des Hospitals durch die Taliban setzten jedoch 1999 dieser wertvollen Arbeit ein Ende.
1997 entstand das dritte Interplast-Hospital aus einer verlassenen Lepra-Station in Sankhu, 18 Kilometer östlich von Kathmandu/Nepal. Das Sushma-Koirala-Memorial-Hospital ist bestens ausgestattet Nepal übergeben worden und heute mit fünf Chirurgen sowie über 2.000 Operationen pro Jahr eines der aktivsten Krankenhäuser Nepals und ein entwicklungspolitisches Vorzeige-Projekt, das ohne die unermüdliche Initiative von Gottfried Lemperle nicht denkbar gewesen wäre.
Hilfe für Noma-Patienten
Interplast-Germany hat gemeinsam mit der AWD-Stiftung Kinderhilfe/Hannover 1995 in Sokoto/Nigeria das Noma Children Hospital – und mit der Hilfsaktion „Noma“ in Regensburg ein Hospital in Niamey/Niger initiiert. In diesen Häusern werden regelmäßig Kinder mit schwersten Entstellungen durch Noma-Infektionen behandelt.
Die Sektion München hat seit 25 Jahren in Myanmar nachhaltige Projekte mit Spendenmitteln von mehreren Millionen Euro aufgebaut, in denen heute von einheimischen Spezialisten und Interplast-Teams auch komplexe plastisch-chirurgische Eingriffe bei Spaltbildungen im Gesicht, Meningomyelozelen und vielen anderen Indikationen erfolgreich operiert werden.
Unser Autor ist selbst ein unermüdlicher Helfer für Interplast: PD Dr. med. Klaus E. Exner mit einem LKG-Kind
Aktuelle Projekte
In Tanga/Tansania soll mit Hilfe der Bundesrepublik ein früheres deutsches Krankenhaus mit einer Abteilung für Plastische Chirurgie reaktiviert werden. Das neueste Krankenhausprojekt liegt in Goma im Kongo, einer von Krisen extrem erschütterten Region mit unendlicher Armut. Lemperle hat wieder unermüdlich private Spender motiviert, sodass vielleicht schon 2022 die Eröffnung erfolgen kann.
Seit Beginn hat Interplast-Germany Stipendien für humanitär eingestellte Ärzte aus vielen Entwicklungsländern vergeben, Die Ärzte konnten in Deutschland in verschiedenen Kliniken Erfahrungen und Spezialwissen erhalten. Einige haben sogar den deutschen Facharzt erworben. So sind in den vergangenen 40 Jahren in Ländern wie Ghana, Myanmar, Paraguay und einigen mehr Fachabteilungen für Plastische Chirurgie entstanden, die auch humanitäre Missionen für die eigene Bevölkerung organisieren. Eine besondere Freude sind dann gemeinsame Einsätze der Interplast-Teams mit den früheren Stipendiaten. Diese Erfahrungen durften auch die Autoren als leitende Ärzte bei jeweils mehr als 50 Missionen mitnehmen.
Konzepte zur Qualitätssicherung – die Interplast-Akademie
Neben den Bemühungen um Nachhaltigkeit der humanitären Hilfe hat Interplast-Germany Konzepte zur Qualitätssicherung umgesetzt. So gilt absoluter Facharztstandard für alle Teams. Die Einsatzleiter verpflichten sich zur Dokumentation der Eingriffe und Komplikationen. Chirurgen und Anästhesisten bereiten sich in speziellen Fortbildungen der eigens geschaffenen Interplast-Akademie auf die erschwerten Umstände in den oft spärlich ausgestatteten Krankenhäusern vor. Dort werden Erfahrungen ausgetauscht und an die jüngeren Aktivisten weitergegeben. Bei den Einsätzen werden möglichst viele einheimische Ärzte, Pflegekräfte und weitere Helfer integriert und Fortbildungsveranstaltungen angeboten. Diplomatische Sensibilität ist eine Voraussetzung für zukünftige Kooperationen, da viele Regierungen die Aktivität von Nichtregierungsorganisationen (NGO) kritisch beobachten.
Die Erfolgsgeschichte von Interplast-Germany ruht auf vielen Schultern. Die humanitären Einsätze sind für alle Beteiligten eine große Herausforderung, aber auch eine unschätzbare Erfahrung. Es gelingt, immer mehr junge Menschen für diese Mission zu begeistern. Unzählige Kooperationen mit nationalen und internationalen Organisationen haben sich entwickelt von Mutter Theresa über den Dalai Lama bis zu großzügigen Sponsoren wie BigShoe e. V.
Interplast ist schon lange nicht mehr der „Tropfen auf dem heißen Stein“. Es ist inzwischen ein mächtiger Stein, der ins Wasser geworfen wird und dessen Wellen überall ankommen.
PD Dr. med. Klaus E. Exner, Dr. med. André Borsche
Interplast-Spendenkonto: IBAN DE52 5502 0500 0008 6660 00